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Im Netz der Geschichte. Matthias Sammer war 1990 Kapitän des DDR-Teams. Foto: dpa

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Sport: Unter uns

Mit 20 Jahren Verspätung spielt heute in Leipzig Lothar Matthäus gegen Andreas Thom

Der große Fußball ist in Leipzig lange nicht zu Gast gewesen. Das ambitionierte Projekt Rasen Ball, gesponsert von einem österreichischen Brausefabrikanten, will in ein paar Jahren in der Bundesliga spielen, tritt aber zurzeit in der Viertklassigkeit auf der Stelle. Da trifft es sich gut, dass am Samstag der Weltmeister nach Leipzig kommt, und wenn es auch nur der von 1990 ist.

Damals waren Ost und West noch politische Begriffe, hinter denen eigene Nationalmannschaften standen. Die im Westen kürte sich vor 20 Jahren in Rom zum Weltmeister und wollte sich ein paar Monate später mit der aus dem Osten zum Vereinigungsgipfel treffen. Schwere Randale, ausgerechnet in der Stadt der friedlichen Revolution, verhinderte das Spiel „Wir gegen uns“ im November 1990. Heute kommt es zur leicht verspäteten Neuansetzung (20.30 Uhr, live im RBB und MDR). Wieder im einstigen Zentralstadion, nach radikalem Umbau und Sponsorenübernahme trägt es nunmehr den Namen des österreichischen Brausefabrikanten. Aber die Hauptdarsteller sind immer noch die von 1990. Die alten Männerfreunde Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann auf der einen Seite, Andreas Thom, Ulf Kirsten und Dariusz Wosz auf der anderen.

Was von diesem Spiel zu erwarten ist? „Stellen Sie sich einfach das Unprofessionellste vor, was es gibt“, sagt Matthias Sammer, „dann sind Sie nahe dran.“ Das Spieltempo werde sich wohl dem „von Günter Netzer zu seiner aktiven Zeit anpassen“, und die „Trikots werden etwas breiter ausfallen“. Sammer lacht. Er wirkt so schlank und austrainiert wie 1990, aber als Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist der frühere Ausnahmespieler aus Dresden ein bisschen raus aus dem Tagesgeschäft. Weil ihn eine Knieverletzung zum Sportinvaliden gemacht hat, sitzt Matthias Sammer beim Spiel „Wir gegen uns“ nur auf der Tribüne und wird, Ehrensache!, „der DDR die Daumen drücken“.

Das verspätete Vereinigungsspiel ist das sportliche Hors d'œuvre zur Gala am Sonntag, exakt 20 Jahren nach der Überführung des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR (DFV) in den DFB, die ebenfalls in Leipzig über die Bühne ging (wie übrigens auch die Gründung des DFB im Jahr 1900). Der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters wird am Sonntag als Hauptredner auftreten.

Ganz besonders stolz sind sie in Leipzig, dass sich auch Michel Platini angesagt hat. Der Franzose kommt zwar als Präsident des europäischen Dachverbandes Uefa, aber er wird sich die eine oder andere Bemerkung anhören müssen über jenes Spiel im September 1985, es war eines der besten in der Geschichte des DDR-Fußballs. Die Franzosen waren als Europameister mit allen Stars an- und mit einer 0:2-Niederlage abgereist. Rainer Ernst vom Berliner FC Dynamo und der Leipziger Lokalmatador Roland Kreer vom 1. FC Lok schossen die Tore vor 78 000 Zuschauern im Zentralstadion. Michel Platini trug 90 Minuten lang seine Kapitänsbinde spazieren und trat ansonsten nicht weiter in Erscheinung, was der liebevollen Einzelbetreuung seitens des 19 Jahre alten Dresdners Jörg Stübner zuzuschreiben war.

Stübner war einer von denen, denen nach der Vereinigung eine große Karriere im Wesen prophezeit wurde. Wie seinen Dresdener Klubkollegen Ulf Kirsten, Heiko Scholz, Matthias Sammer und später auch Jens Jeremies und Alexander Zickler, die es allesamt in die gesamtdeutsche Nationalmannschaft schafften. Doch Stübner war überfordert mit den Anforderungen im neuen Deutschland, er wollte nicht fort aus der Heimat, fand keinen Anschluss im Profifußball und verfiel dem Alkohol. Heute ist er 45 und lebt wieder in bescheidenen Verhältnissen in Dresden.

„Eigentlich war der Fall der Mauer für uns alle ein Segen“, sagt Matthias Sammer, „für ein paar wenige Leute ist es leider nicht so gut gelaufen.“ Für Leute wie Jörg Stübner. Auch darüber wird zu reden sein, wenn Ost und West an diesem Wochenende 20 Jahre deutsche Fußballeinheit feiern.

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