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Unterwegs mit der Autorennationalmannschaft (1): "Big Fries" für Michel Platini

Kurz vor Beginn der EM reist die deutsche Autorennationalmannschaft nach Polen und in die Ukraine, um sich mit den Gastgebern sportlich und literarisch zu messen. Auf Einladung der Autoren nimmt unser Reporter Lucas Vogelsang an dieser Reise teil.

Zwei Stunden hinter der polnischen Grenze ist eine gewisse Enttäuschung zu spüren. Schließlich wurde traditionelle polnische Küche versprochen. Geschmortes Rindfleisch, Suppen aus vergorenem Mehl oder vergorener Roter Beete, dazu Blutwurst mit angebratenen Zwiebeln. Doch weil der Fahrer die richtige Ausfahrt verpasst hat, steht der Bus, der die Autorennationalmannschaften Deutschlands, Polens und der Ukraine von Berlin nach Krakau bringen soll, nun auf einem dieser uniformen Rastplätze am Rand der Autobahn und statt Bigos oder Kaszanka gibt es, eher weniger polnisch, eher weniger traditionell: Big Mac und Cheeseburger.

Der erste Zwischenstopp auf dieser Reise durch die Gastgeberländer der Europameisterschaft, hinein in den ehemaligen Ostblock, führt die deutsche Delegation, und das ist dann auch schon wieder nur konsequent, zu McDonald's. Große Pause unter dem Insignium des Kapitalismus schlechthin. Dem goldenen "M", das ja überall auf der Welt immer gleich golden ist, damit auch ja keine Missverständnisse aufkommen. Die Botschaft ist dabei ziemlich klar: Die Europameisterschaft, dieses Franchise-Turnier der Uefa kann kommen. Da ist Ronald McDonald kein schlechterer Botschafter des Westens als Michel Platini. Clowns sind eben überall auf der Welt gern gesehene Gäste.

Die Autoren aber stehen noch etwas ratlos zwischen der Eingangstür und der obligaten bunten Rutsche. "Sie hatten uns eine polnische Gaststätte versprochen", sagen sie. "Borscht und Wurst, da hätte ich jetzt Lust drauf", sagen sie und wissen nicht weiter. Jetzt gilt es, eigentlich, Haltung zu bewahren. Aber der Hunger treibt sie rein. Und immerhin gibt es dort dann auch noch einen Crashkurs in Sachen Globalisierung. Denn 25 Jahre nach Ende des Realsozialismus begrüßt ein junger Mann, leuchtende polnische Rapsfeldern hinter dem schmalen McDrive-Fenster, zufällig vorbei kommende Deutsche tatsächlich mit der Frage "Big Fries?" Das hätte damals mal jemand dem Ulbricht erzählen sollen.

Immerhin gibt es dann aber noch Espresso, die Laune also bewegt sich auf der Weiterfahrt doch deutlich über Sparmenü-Niveau, es herrscht nun eine Stimmung irgendwo zwischen Landverschickung und Backstage-Bereich am dritten Tag der Frankfurter Buchmesse. Der Dramatiker Christoph Nußbaumeder, Kapitän der Deutschen, leichtes Veilchen über dem rechten Auge, liest wahlweise in einem Buch von Anna Maria Jokl oder verteilt Waffeln an alle, die gerade so aussehen, als könnten sie Waffeln vertragen. Und weiter vorne begeistert Zbigniew Masternak, immerhin polnischer Meister im Matschfußball, die Deutschen um Trainer Klaus Döring und Pressesprecher Norbert Kron mit Bildern von der letzten Schlammschlacht.

Astronautentraining auf Polens Straßen

Seine Mitspieler lassen derweil einen Flachmann mit selbst gebranntem Wodka kreisen. Da ist es dann schon fast egal, dass der Busfahrer scheinbar nur eine CD an Bord hat. Lady Gagas "Poker Face", das in einer Endlosschleife abwechselnd im Radio Edit oder im dreiundzwanzig Minuten langen David-Guetta-Remix aus den Lautsprechern plärrt. Was aber dann auch schon wieder irgendwie stimmig ist. Denn Lady Gaga ist natürlich längst auch in Polen angekommen. McDonald's für die Ohren. Da hat sich viel getan.

Viel Geld wurde in Polen vor der EM in die Infrastruktur gesteckt. Nicht überall merkt man das schon.
Viel Geld wurde in Polen vor der EM in die Infrastruktur gesteckt. Nicht überall merkt man das schon.

© dapd

Kaum verändert haben sich allerdings, zumindest auf den ersten hundert Kilometern hinter der Grenze, die ja eigentlich kaum noch eine ist, die polnischen Straßenverhältnisse. Auf die ist immer noch Verlass, auf das Rütteln, das zu akuter Seekrankheit führen kann, auf dieses ganze Stoßdämpfer-Orchester auf der Klaviatur der notdürftig verlegten Betonplatten. Das hat, in den waghalsigsten Momenten dann fast etwas von Astronautentraining, simulierte Schwerelosigkeit für Tausendstelsekunden.

Was ein paar der Autoren dazu bringt, sich die Zeit mit einem Spiel zu vertreiben, mit einer Art Familienduell für unterwegs. Also: Nennen Sie etwas, das man auf polnischen Autobahnen lieber nicht tun sollte. Hier die Topantworten: Sich ein Tattoo stechen lassen. Aus Mangel an Skatkarten eine Partie Jenga beginnen. Kontaktlinsen einsetzen. Blut spenden. Die Schminktipps aus der Cosmopolitan ausprobieren, egal wie verführerisch ein kräftiger Lidstrich sein kann. Und, ganz weit vorne: Gefäßchirurgie.

Das mit der Autobahn aber hat sich dann auch schnell erledigt. Schon weit vor Krakau ist nun doch zu spüren, dass sich hier ein Land für die Europameisterschaft herausputzt. Es ist ja im Vorfeld viel über die Investitionen in die Infrastruktur gesprochen worden, über die Mängel, den Pfusch. Aber, um das an dieser Stelle mal genau so festzuhalten, ein Großteil des Streckenabschnitts der Autobahn nach Krakau rückt Gefäßchirurgie an Bord von Reisebussen durchaus in den Bereich des Möglichen. Was eine gute Nachricht ist, für Polen, für das Turnier im Juni, für die Limousine von Michel Platini, aber vor allem für Besucher von Raststätten mit McDonald's Filialen.

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