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Unterwegs mit der Autorennationalmannschaft (2): Linekers Gesetz

Kurz vor Beginn der EM reist die deutsche Autorennationalmannschaft nach Polen und in die Ukraine, um sich mit den Gastgebern sportlich und literarisch zu messen. Auf Einladung der Autoren nimmt unser Reporter Lucas Vogelsang an dieser Reise teil.

Und am Ende gewinnen immer die Deutschen. Serhij Roschko, Schriftsteller und Fotograf aus Charkiw, das Gesicht eines Fabrikarbeiters der 20er-Jahre, windhunddünn, hat sich gerade erst sein Trikot überzogen. Gelb wie die Felder seiner Heimat. Doch ein Blick auf den Rasen, das kann man an seinen Augen ablesen, reicht aus, um die gesamte Spannung aus seinem Körper weichen zu lassen. Ein Blick nur, schwarze Adler auf weißen Trikots.

Deutschland gegen Polen, Zwischenstand kurz vor dem Ende: Zwei zu Null. Er zieht an seiner Zigarette, die längst kaum mehr als ein brennender Filter ist, tritt sie in den Rasen, sagt dann, Worte wie ausgespuckt: „Germany, Maschina!“ Roschko lacht dabei. Germany. Maschina. Das ist vor allem eines: Gary Lineker auf Ukrainisch. Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass der Sohn eines Gemüsehändlers aus Leicester, auch unter den Kumpeln Charkiws oder in den Straßencafés von Lemberg ähnlich bekannt ist wie in Deutschland. Dafür ist die Ukraine zu weit weg von der Insel, deren bis heute wichtigstes Tor keines war. Aber man muss Lineker und seinen berühmtesten Satz, aus dem auch immer die Angst des Gentleman vor dem Elfmeter spricht, nicht kennen, um zu verstehen, wie der Fußball funktioniert, wie er sich verändert, wenn zufällig eine deutsche Mannschaft in der Nähe ist.

Linekers Gesetz greift schließlich auch an diesem Sonntagnachmittag in Krakau. Fernab der Weltbühne des Fußballs, in einem kleinen Stadion unweit des jüdischen Viertels. Adler auf der Brust ist eben Adler auf der Brust.

Roschko und seine Ukrainer haben dem Ganzen deshalb nur das Schulterzucken des Fatalisten entgegen zu setzen. Sie haben kein System, zudem in Serhij Zhadan einen Torwart, der zu klein ist für das große Tor. Und einen Trainer, der mit Magenverstimmung im Bett liegt. Bei den Deutschen dagegen, volles Kontrastprogramm, steht Klaus Döring an der Seitenlinie, mit Matchplan, Klemmbrett und der original 80er Jahre Kalli-Feldkamp-Frisur. Ein Trainer, bei dem der Spaß beim Spaß aufhört, der seine Spieler schon vor Stunden mit dem Megaphon aus der REM-Phase gerissen hat, um das Verschieben in der Viererkette auf dem Flipchart zu skizzieren. Das ist dann die Ernsthaftigkeit, die Verbissenheit der Maschinen, der die Ukrainer allerdings auf ihre Weise begegnen. Mit einer Mischung aus dem ihnen eigenen melancholischen Frohsinn und bernsteinfarbenem Wodka, den sie in ihren Sporttaschen tragen, so selbstverständlich wie andere isotonische Getränke. Während die Deutschen, als eine Art Linedance-Gruppe mit Schienbeinschonern, die Raumdeckung üben, sitzen sie auf der Tribüne, von der die Farbe blättert, und wärmen sich von innen auf. Schluckimpfung gegen die zwangsläufige Enttäuschung. Begleitet von einem hochprozentigen Lachen.

Bildergalerie: Das deutsche EM-Aufgebot

Man sagt, der Charakter eines Menschen offenbart sich im Kampf, oder, in diesem Fall und in Ermangelung eines Kampfes, auf dem Fußballfeld. Für Nationen gilt ähnliches. Die ukrainische Seele ist ein Underdog, der jedoch singend im Abseits steht. Denn wer nichts gewinnen kann, hat auch nichts mehr zu verlieren. Und eigentlich müssten die Nachbarn aus Polen musizierend daneben stehen. Geteiltes Leid, das ganze Verbrüderungs-Ding.

Die Ukrainer aber haben eben keinen Lewandowski

Aber sie haben ihren persönlichen Triumph bereits am Abend zuvor, weil Polen in Berlin den DFB-Pokal holt. So sehen sie das. Denn jeder Sieg von Borussia Dortmunds ist irgendwie auch ein Sieg der polnischen Nationalmannschaft. Polonia Dortmund, sagen sie, und später, als Lewandowski, Błaszczykowski und Piszczek im Berliner Olympiastadion die rot-weiße Flagge in den schwarz-gelben Nachthimmel halten, deuten sie mit dem Zeigefinger auf das Fernsehbild und schreien, nationalstolz: „Our Player!“

Die Ukrainer aber haben eben auch keinen Lewandowski, an dem sie sich jetzt mal eben, stellvertretend, hochziehen könnten. Sie haben nur Anatoli Tymoschtchuk, der in den Jahren auf der Bank des FC Bayern offensichtlich vergessen hat, dass er einmal der David Beckham des Ostens war. Und heute allenfalls noch als Double Martina Navratilovas internationalen Ansprüchen genügt. Aber vielleicht ist das auch genau richtig so, weil sie einen solchen Helden gar nicht brauchen, weil der gar nicht zu ihnen passen würde. Das würde nur die ganze Melancholie verwässern, als würde man Wodka mit Champagner strecken.

Das Spiel gegen die Deutschen geht dann, natürlich, verloren. Wie hoch genau, weiß später keiner mehr. Die Ukraine wird Letzter, wie schon in Berlin, was, diplomatisch, als guter dritter Platz umgedeutet wird. Anschließend bricht der deutsche Kapitän Christoph Nußbaumeder, so gehört sich das für einen Dramatiker seines Schlags, in aller gebotenen Theatralik mit dem Pokal auf dem Rasen zusammen. Die Ukrainer aber, ohne Pokal oder System, zucken nur wieder kurz mit den Schultern.

Später, in einem Restaurant im Schatten des Wawel, großes Bankett, sagt Serhij Zhadan, einen Maßkrug in der Hand für den er eigentlich zu klein ist, zum Abschluss seiner Rede als Kapitän der Ukrainer noch: „Wir haben heute nicht verloren, denn wir haben neue Freunde gewonnen.“ Die letzten Silben ertrinken in polnischem Bier. Die mit dem Adler auf der Brust klatschen in ihre Maschinenhände. Roschko und die anderen stimmen ein ukrainisches Volkslied an. Und am Ende singen immer die Ukrainer.

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