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Unterwegs mit der Autorennationalmannschaft (4): In der Enge des Raums

Kurz vor Beginn der EM reisen die Autorennationalmannschaften aus Deutschland, Polen und der Ukraine gemeinsam von Berlin über Krakau nach Lwiw - unser Reporter ist dabei.

Im ganzen Saal, aus allen Mündern, sein Name. Martin Scharfe steht einfach nur da. Im Gesicht die Fassungslosigkeit eines Mannes, der soeben Lottomillionär geworden ist, oder Oscarpreisträger, oder beides auf einmal. „Scharfe, Scharfe, Scharfe“, dröhnt es im ganzen Saal . Und Scharfe löst sich in seiner eigenen Rührung auf. Ein Stadiongesang im Volksmusik-Klatschtakt, entsprungen aus der Ecke der Ukrainer. Erst zaghaft, dann Crescendo, stimmten die Polen am Nachbartisch mit ein. Schließlich auch die Deutschen, die für einen kurzen Moment nicht wussten, ob das jetzt in Ordnung ist, als Deutsche in Polen, in einem Wirtshaus im Schatten des Krakauer Wawel, die Stimme zu erheben und zu singen. Gemeinsam lassen sie Scharfe, langes dunkelblondes Haar, linker Mittelfeldspieler der deutschen Autorennationalmannschaft, nun hochleben, unaufhörlich, schwebend auf einem deutsch-polnisch-ukrainischen Klangteppich. Warum, das werden die Ukrainer bis zum letzten Abend der Reise für sich behalten.

Denn Scharfe ist ein eher unwahrscheinlicher Held. Typ Außenläufer, nicht nur auf dem Feld, mit einer Gutmütigkeit in seinem schmalen Körper, die ihm nur zu leicht als Phlegma ausgelegt werden kann. Doch so ist das nun einmal mit Experimenten. Ihr Ausgang ist, das macht ihren Reiz aus, ungewiss, mitunter gar erstaunlich. Und nichts anderes ist diese Reise der Autorennationalmannschaft, unterstützt von der Kulturstiftung des DFB, als das Experiment einer komprimierten Völkerverständigung unter dem Brennglas des Fußballs. Titel der siebentägigen Versuchsreihe: „Im Osten geht die Sonne auf.“

Ein Bus, drei Länder, neun Spiele. Dazu Lesungen in jeder Stadt. „Brückenbildung“, heißt das dann offiziell im Kulturstiftungsdeutsch. Noch in Berlin allerdings, beim ersten Kennenlernen, sitzen die Autoren an separaten Tischen. Viel haben sie sich dort nicht zu erzählen, sie taxieren sich. Blicke hinter Sprachbarrieren. Diese multinationale Reisegruppe in den Sonnenaufgang ist eben auch der Versuch einer Quadratur des Kreises. Es gibt nichts Schlimmeres für einen, der aus der Perspektive des Erzählers lebt, als auf andere Schriftsteller zu treffen. „Das ist wie ein Liliputaner-Kongress. Alle haben das gleiche Problem, aber keiner spricht drüber“, sagt einer an diesem Abend.

Stadien und Städte der EM-Gastgeber Polen und Ukraine:

Ein Bus voller Autoren ist vor allem auch ein Egotrip, eine Butterfahrt des Narzissmus. Geballte Satire, geballtes Einzelgängertum, jeder für sich ein Kosmos aus Geschichten, autark. Nun aber werden Berührungen erzwungen. Man kann sich, an Bord des Busses, im Hotel, auf dem Fußballplatz, in der Enge des Raumes, ja gar nicht aus dem Weg gehen. Das ist natürlich ganz im Sinne der Brückenbildner der Kulturstiftung, deren Leiter Oliver Tietz, irgendwo kurz vor der polnischen Grenze, zufrieden feststellt: „Völkerverständigung ist ja nicht, wenn da einfach zwei Fahnen aufgestellt werden, es ist nicht die symbolische Geste wie ein Wimpeltausch, dann Händeschütteln und ein paar Fotos. Eine gemeinsame Busfahrt ist da sehr viel mehr wert.“

„Wir waren Gegner und Freunde zur gleichen Zeit“

Mit dem ersten gemeinsamen Grenzübertritt verringert sich tatsächlich die anfängliche Distanz. Die polnischen Spieler öffnen Plastikflaschen mit polnischem Wodka, selbst gebrannt. Die Deutschen lesen polnische Lyrik in der Übersetzung, oder raffen in Gesprächen mit den Ukrainern das letzte, noch verfügbare Schulrussisch zusammen. Die Sprachbarrieren werden mit Körpereinsatz umgangen. Der Rest ist Fußball, das Esperanto der kurzen Hosen und Stollenschuhe.

Klare Sache. Findet auch Klaus Döring, 80er-Jahre-Kalli-Feldkamp-Frisur, Drehbuchautor und Spielertrainer der Deutschen: „Wenn wir auf Reisen gehen, steht für die Schriftsteller, da muss man ehrlich sein, der Fußball im Vordergrund.“ Es mag auf den ersten Blick widersinnig klingen, doch erst über das Spiel beginnt auch eine literarische Annäherung, befördert von einer Neugier für den anderen, der gerade noch, hartnäckig und schweißgetränkt, Gegenspieler war, später aber aus seinem letzten Gedichtband liest.

Da kracht dann, ungebremst, der Schaubühnen-Dramatiker in ein junges Dichterkollektiv aus Charkiw und der polnische Bestsellerautor, sonst ein ausgewiesener Humorist, tritt den Essayisten, eher weniger humorvoll, in den Rasen. Unmittelbarer Vollkontakt. Begegnungsstätte Mittelkreis. Ein viel größeres Kontrastprogramm zum antiseptischen Speeddating im Backstagebereich einer Buchmesse kann es kaum geben. Und fast scheint es, als würde der Schriftsteller auf dem Platz vergessen, dass er Schriftsteller ist.

„Auf dieser Reise ist eine Nähe entstanden. Interessant ist aber, dass die Nähe auf dem Fußballplatz dann wieder weg war“, sagt Klaus Döring dann auch am letzten Abend der Reise, auf der Dachterrasse eines Restaurants in Lwiw. Neben ihm steht der polnische Abwehrchef Jan Grzergorczyk und nickt: „Wir waren Gegner und Freunde zur gleichen Zeit.“ Eine Woche ist vergangen seit dem ersten Treffen in Berlin. Jeder, das wird an den zumeist schleppenden Bewegungsabläufen deutlich, hat alles gegeben. Es herrscht dennoch der Lärmpegel einer Bahnhofshalle, Sprachfetzen fliegen durch die Luft. Polnisch, Ukrainisch, Englisch, Russisch, Deutsch und auch wieder: Fußball.

Dann aber bitten die Ukrainer um Ruhe. Sie wollen das jetzt noch erklären, die Sache mit Scharfe. Einer der Spieler spricht, der Trainer übersetzt: „Wir haben auf dieser Reise auch nach der Seele der Deutschen gesucht.“ Kunstpause, das ist schließlich auch ein Dramatikertreff hier. „Und wir haben sie bei Martin gefunden.“ Poetenblick in die Runde: „Er ist die Sonne, die nach Osten strahlt.“ Großer Völkerverständigungsapplaus. Das hätten sich selbst die deutschen Kulturstifter nicht besser ausdenken können.

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