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Die Bedingungen für ausländische Arbeiter im WM-Gastgeberland Katar stehen heftig in der Kritik.

© dpa

Unterwegs mit einem Gastarbeiter in Katar: Diskriminierung gehört zum Alltag

Sie werden wie Leibeigene gehalten. Viele müssen ihren Pass abgeben, schlafen zu acht in einem Zimmer. Dennoch ist der Zustrom von Gastarbeitern ins reiche Katar ungebrochen. Denn hier gibt es, was sie zu Hause kaum finden: Arbeit.

Es gibt Pinguine in der Wüste. Und abends, wenn es langsam kühler wird, kommen sie in die Stadt. Dann werden sie zur Gefahr. Namur hat vor Pinguinen Angst. Nervös blickt er in seinem Auto in den Rückspiegel. Von hinten kommen sie meistens.

So wie jetzt auf dem mehrspurigen Highway, der von den Vororten Dohas in die Innenstadt führt. Mit etwa 150 Stundenkilometern rast ein Pinguin heran und fährt mit seinem roten Ferrari dicht auf Namurs Limousine auf. Lichthupe. 120 Stundenkilometer sind erlaubt. Namur wird unruhig, er gibt die Spur frei. Ist sicherer. Der Pinguin rauscht vorbei, entschwindet am Horizont, und Namur schüttelt den Kopf. „Typisch“, sagt er.

Pinguine nennt Namur die einheimischen Frauen im Wüstenstaat Katar. Er spricht es „Peng! Gin“ aus, Englisch mit südostasiatischem Dialekt. Es verrät seine Herkunft: Bangladesch.

Pinguine?

„So sehen sie doch aus, Sir.“ Und er meint ihr schwarzes Gewand, die Burka, und, wie er hinzufügt, die breit gewordenen Wohlstandshüften, wenn sie aus ihren Luxuswagen aussteigen und, behangen mit schweren Diamanthandtaschen, beim Laufen von einer Seite zur anderen wanken.

Ist das nicht diskriminierend?

„Diskriminierend?“, fragt Namur. Er versteht nicht. Westler benutzen dieses Wort. In seiner Welt spielt es keine Rolle. Diskriminierung gehört zum Alltag in diesem Land. Mal subtil, mal offensichtlich. Er hat sich dran gewöhnt.

Ein Ausschnitt einer der reichsten Gesellschaften der Welt

Von der Rückbank eines Taxis aus, wie Namur es gerade durch den Verkehr Dohas steuert, bekommt man nur einen flüchtigen Einblick in eine der reichsten Gesellschaften der Welt, nur einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Aber was, wenn man schon auf dieser Rückbank alles begreift? Und was sagt es aus über ein Land, dass es in ein Taxi passt?

Pinguine. Langnasen. Schlitzaugen. Wer wie Namur seit mehreren Jahren in Katar lebt, denkt in einfachen Mustern. Man gewöhnt sich an, Menschen ihrer Herkunft, Abstammung und Tätigkeiten nach in Kasten einzuordnen. Er, Namur, gehört zu einer unteren Kaste. Ein dunkelhäutiger, aus Bangladesch stammender Mann von hagerer Statur, Mitte 20, der sich in Doha als Taxifahrer verdingt. Seine Fahrgäste, allesamt Europäer, hat er in ihrem Compound abgeholt. Er ist zuständig für das von Mauern umgebene Wohngebiet, in dem überwiegend Ausländer leben. Viele Katarer wohnen weiter draußen, in riesigen abgeschotteten Villen, abends ist es ihnen ein Vergnügen, mit ihren teuren Autos in die Innenstadt zu fahren.

Namur muss sie fürchten. In seinem Unternehmen hat jeder Fahrer für Unfallschäden selbst zu haften. Bei einem Monatsverdienst von umgerechnet 800 Euro ist der Crash mit einem Ferrari ein Schicksalsschlag. Bisher blieb Namur verschont, viele seiner Kollegen hatten weniger Glück. Und oft waren katarische Frauen in die Unfälle verwickelt, sagt er. Für ihn sind sie Wesen aus einer anderen Welt. Einer besseren Welt?

„Keine Ahnung, Sir.“

Doha ist rasant gewachsen

Namur spricht seine Fahrgäste stets mit „Sir“ oder „Misses“ an. So oft, bis man sich irgendwann wichtig vorkommt. „Darf ich Ihnen mit dem Koffer helfen, Sir?“ – „Vielen Dank, dass Sie sich für unser Taxi entschieden haben, Sir.“ – „Sir, wo soll es hingehen?“

In den Souk soll es an diesem Abend gehen, Dohas Altstadtviertel, das eigentlich nur ein teilweise überdachter Markt mit engen Gängen und einem großen zentralen Platz ist. Bis dahin ist es aber noch weit. Je näher man dem Zentrum kommt, desto langsamer geht es voran. Die Stadt mit 800 000 Einwohnern, die meisten davon sind Ausländer, ist in den letzten Jahren rasant gewachsen, die Straßen sind zu schmal geworden für die vielen Autos. Es riecht nach Benzin und Abgasen. Ein alter, heruntergekommener amerikanischer Schulbus quält sich durch den Verkehr. In ihm sitzen Bauarbeiter, die Gesichter voller Staub.

Fahrgäste in seinem Taxi sind für ihn Wesen aus einer anderen Welt

Namurs Funkgerät knarzt ständig. Anrufe aus der Zentrale. „Very busy night, Sir.“ Viel zu tun. Aber er kommt mit seinem Taxi nicht vom Fleck. Der Verkehr ist zu dicht.

Es ist Donnerstagabend, Zeit des Vergnügens in der islamischen Welt. Freitag haben die meisten Menschen frei. Namur nicht. Er arbeitet so viel wie möglich, manchmal zehn Tage in Folge. Frei könne er später noch machen, sagt er. Wenn er das Geld zusammenhabe, um daheim in Bangladesch ein Haus zu kaufen und sich zur Ruhe zu setzen. Das ist Namurs Traum. Deshalb ist er vor vier Jahren nach Doha gekommen. „In Bangladesch gibt es keine Arbeit. Dort wäre das unmöglich, Sir.“

Am Horizont flimmern die Lichter der Wolkenkratzer in der heißen Luft. Das Funkgerät knarzt erneut. Jetzt ist Namurs Onkel dran. Er will wissen, wo sein Neffe bleibe. Der Onkel kam vor acht Jahren nach Katar, erklärt Namur, inzwischen sei er der Leiter des Unternehmens.

Ist er der Eigentümer?

Ohne "Sponsor" geht für Ausländer gar nichts

Namur muss lachen. „Natürlich nicht, Sir. Eigentümer sind immer Katarer.“ Gastarbeiter könnten nicht einfach so eine eigene Firma gründen. Ohne die Zustimmung eines Einheimischen geht nichts. Das liegt am sogenannten „Sponsorensystem“ Katars. Jeder, der hier arbeiten will, benötigt einen persönlichen Sponsor, genannt Kafala. Dessen Befugnisse reichen weit. Vor allem Arbeitern aus ärmeren Ländern wird bei der Einreise vom Kafala oft der Pass abgenommen. Die Ausreise aus dem Land oder eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sind dann nur mit Zustimmung des Kafalas möglich. Darauf warten viele vergeblich.

Zuletzt sorgte der Fall des Fußballers Zahir Belounis für Aufsehen. Der Spieler war von seinem Verein entlassen worden, bekam aber seine Papiere nicht zurück. Belounis saß fest. Er trat in den Hungerstreik, schrieb Hilfegesuche an Fußballgrößen wie Zinedine Zidane und Bayerns Trainer Pep Guardiola. Nichts half. Anfang der Woche durfte Belounis endlich zurück nach Paris reisen. Bei seiner Ankunft am Flughafen sagte er: „Ich hätte nicht gedacht, dass das Kafala-System einen Menschen so zerstören kann. Und ich bin Franzose und Profifußballer. Was sollen erst die sagen, die niemand kennt und deren Hilferufe niemand hört.“ Belounis will sich nun in psychologische Behandlung begeben.

Namur möchte über solche Dinge nicht sprechen, auch will er nicht verraten, ob er seinen Pass noch hat oder nicht. Er ist vorsichtig, deshalb bittet er auch, seinen richtigen Namen nicht zu nennen. Ihm ist es in Katar bisher gut ergangen, und er will, dass es so bleibt.

"Alarmierendes Ausmaß an Ausbeutung"

Von Amnesty International hat Namur schon mal gehört. Aber er glaubt nicht, dass die Menschenrechtsorganisation ihm helfen würde. In ihrem jüngsten Bericht beklagte sie ein „alarmierendes Ausmaß an Ausbeutung bis hin zu Zwangsarbeit“. Namur fühlt sich nicht ausgebeutet, er hat nie so viel Geld für seine Arbeit erhalten wie in Katar. Trotzdem würde er lieber in einem Büro arbeiten. „Taxi fahren ist zu gefährlich, Sir.“

Endlich tut sich was. Auto für Auto setzt sich wieder in Bewegung. Auf einer beleuchteten Baustelle wird noch gearbeitet. Ein kleiner Mann schleppt in zehn Metern Höhe einen großen Stein an eine Außenwand und beginnt zu mauern. Kein Baugerüst könnte ihm Halt geben.

Wieder ertönt der Taxiruf. Namur nimmt ab und legt gleich wieder auf. Fehlalarm. Ob er auch Katarer mit dem Taxi befördere? „Selten, Sir. Und wenn, muss immer alles ganz schnell gehen. Aber Sie sehen ja selbst. Der Verkehr, Sir.“

Einheimische verdienen in Katar mindestens 9000 Euro pro Monat

Immer in Eile. Dabei haben die meisten Katarer viel Zeit. Nur knapp ein Drittel der 230 000 Einheimischen geht Berufen nach. Sie haben Jobs in der Verwaltung, im Staatsdienst oder sind Lehrer. Gehälter ab 9000 Euro monatlich und lebenslang beitragslose Krankenversicherung sind ihnen sicher. Kein Katarer würde auf die Idee kommen, als Portier in den Hotels, als Verkäufer, Kindermädchen oder auf einer der unzähligen Baustellen zu arbeiten. Das Land besitzt Öl- und Gasvorkommen für die nächsten 120 Jahre, der Reichtum wird überdauern. Durch spektakuläre Sportereignisse hofft man, die Anerkennung des Westens kaufen zu können. Vor der Fußball-WM 2022 findet 2015 die Handball-WM in Doha statt. Große Tennisturniere und Reitsportveranstaltungen werden jährlich abgehalten. Allerdings interessieren sich die Einheimischen dafür nicht besonders, sie bevorzugen die Falkenjagd und Kamelrennen.

Namur mag Cricket. Gut möglich, dass die Katarer sich auch in dieser Sportart die WM bald erkaufen.

Berührungspunkte zwischen Einheimischen und Ausländern gibt es kaum

Auf der Straße geht es nun zügig voran, Downtown Doha sieht aus wie in einer beliebigen nordamerikanischen Großstadt. Gläserne Hochhäuser, Bürogebäude, Banken, Hotels. Alles neu, alles gepflegt. Vor den Fünfsternehotels liegen rote Teppiche. Namur steuert sie in Nächten wie dieser oft an. Hotelbars gehören zu den wenigen Orten in Doha, an denen Alkohol ausgeschenkt werden darf. In ihnen treffen sich die gut bezahlten Gastarbeiter aus dem Westen. Ingenieure, Banker, Anwälte. Jeder muss seinen Ausweis vorzeigen. Durch die Kontrollen soll verhindert werden, dass sich Frauen aus Katar unter die vergnügungswütigen Westler mischen.

Einheimische und Gastarbeiter leben in Katar nebeneinander. Berührungspunkte jenseits von Arbeitsverhältnissen gibt es nicht. Das wird vor allem im Souk sichtbar, wo Namur sich fürs Erste verabschiedet, er kommt seine Gäste später wieder abholen. Der Souk ist einer der seltenen Orte, an denen sich Einheimische zeigen, wenn sie ihre Anwesen in der Wüste oder in Küstennähe verlassen, um Geselligkeit zu suchen. Die Luft ist vom süßlichen Apfelaroma der Wasserpfeifen geschwängert. An den Tischen sitzen Katarer-Familien. Die Männer rauchen, ihre Gesichter leuchten blass im Licht ihrer Smartphones, die Frauen unterhalten sich oder versuchen, ihre Kinder ruhigzustellen. Fremde bekommen in den Restaurants einen Tisch abseits zugewiesen. Kontakt ist unerwünscht.

Acht Gastarbeiter in einem Zimmer

Zwei Stunden später ist Namur noch immer in Eile. „Viel zu tun, Sir.“ Die Straßen sind leer. Im Compound der Ausländer angekommen, muss sich Namur ausweisen. Er hat das jedes Mal zu tun, wenn er einen Fahrgast zurückbringt. Vor dem Compound, in dem er lebt und sich mit sieben weiteren Personen ein Zimmer teilt, gibt es keinen Kontrolleur und kein elektrisches Eingangstor.

Am nächsten Tag ist Namur wieder da. Dieses Mal soll es zum Flughafen gehen. Er sieht müde aus.

Ging es gestern noch lange?

„Yes, no sleep, Sir.“

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