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Mutig nur auf dem Feld. Royce White (l.) setzt sich in einem Collegespiel mit Iowa State gegen den späteren NBA-Spieler Michael Kidd-Gilchrist (Mitte) durch.

© AFP

US-Basketball: Royce White: Botschafter der Angst

Royce White hat das Talent zum Basketballstar. Doch er leidet unter Panikattacken, fürchtet sich vorm Fliegen und vor Menschenmassen. Kann er es damit in die NBA schaffen?

Royce White holt einen Rebound, dribbelt blitzschnell nach vorn und wirft den Ball zu einem Mitspieler, der von der Dreierlinie trifft. Wenig später gibt White den Ball nicht ab, er schlängelt sich selbst zum Korb und versenkt den Ball. Auch Whites krachenden Dunking kann die Verteidigung nicht verhindern. Nur Fouls helfen, den 2,03 Meter großen und 120 Kilogramm schweren Flügelspieler zu stoppen. Am Ende hat White 23 Punkte, neun Rebounds und vier Vorlagen gesammelt. Sein Basketballteam, die Rio Grande Valley Vipers, hat er zum Sieg in der NBA-Development-Liga geführt. Keine Aufgabe auf dem Feld scheint für ihn zu schwer. Die Probleme von Royce White beginnen nach dem Spiel.

Für den Weg nach Hause braucht White manchmal 34 Stunden. Anstatt mit seiner Mannschaft zu fliegen, fährt der 21-Jährige mit dem Bus. Er hat Angst vor dem Fliegen. Doch das ist nicht alles. Er fürchtet sich vor Dunkelheit, vor großen Menschenmassen und in vielen anderen alltäglichen Situationen.

Royce White leidet unter Panik- und Zwangsstörungen. Er ist damit nicht allein, nach US-amerikanischen Untersuchungen leiden 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung einmal im Leben an einer Angststörung. In Deutschland sind es laut einer Studie etwa 10 Prozent.

Whites erste Erfahrung mit Angstattacken liegt Jahre zurück. Während eines Trainings kollabiert sein bester Freund. Eine Herzkrankheit. Der Freund überlebt, doch die Angst, selbst auf dem Feld tot umzufallen, begleitet White fortan und weitet sich in den Alltag aus. Seine Leistungen werden dadurch nicht schlechter. White ist eines der vielversprechendsten Talente im Bundesstaat Minnesota. „Meine Ärztin sah mir in die Augen und sagte, dass Basketball nicht das Beste für mich sei. Sie sagte: Diese Industrie ist aufgebaut, um jemanden wie dich zu vernichten“, berichtet White. Trotzdem bestärkte sie ihn darin, Profi zu werden. „Ich will, dass du den Leuten zeigst, dass du mit deiner Krankheit klarkommst.“

Das nimmt sich Royce White vor und wechselt an die Universität von Minnesota. Dort hält die Ruhe allerdings nicht lange an. Zwei Mal wird er beim Klauen erwischt. Seine Leistungen stagnieren, er hat Probleme mit Mitschülern und Lehrern. Schließlich verlässt er die Uni. Sogar das Basketballspielen gibt er auf. Sein ehemaliger Highschool-Coach Ken Novak jr. führt Whites Probleme in dieser Zeit auf fehlende Routinen zurück. Auch White sagt: „Mein DVD-Regal ist alphabetisch, mein Kleiderschrank nach Farben, und meine Schuhe mit perfekten Zwischenräumen geordnet. Ich brauche das einfach.“

Ohne Basketball hält es White nicht lange aus

Ohne Basketball hält es White jedoch nicht lange aus. Er entscheidet sich für einen Neuanfang an der Iowa State University und spielt sich in die Notizbücher zahlreicher NBA-Scouts. Es gibt nicht viele Basketballspieler, die so groß und dabei so beweglich sind wie er. Doch Aufmerksamkeit verschafft ihm noch etwas anderes: Im Juni 2012 begleiten ihn die Macher des Blogs „Grantland.com“ 24 Stunden lang. White spricht offen über seine Panikattacken: „Dein Herz schlägt immer schneller, Panik toppt Panik toppt Panik. Es fühlt sich an, als würde ich sterben.“

Wie sehr eine psychische Krankheit einen Sportler beeinflusst, ist selten offener dargestellt worden als in dieser Dokumentation. Eine Schlüsselsequenz zeigt White in der so genannten Draft-Nacht. Dort werden von den 30 Klubs der Profiliga NBA die größten Talente der Welt verpflichtet. White hat gute Chancen, sehr früh gezogen zu werden. Eigentlich ein schönes Ereignis, doch er kann es nicht genießen. Die Kamera zeigt einen verängstigten jungen Mann: White tigert durch einen kleinen Raum, guckt verlegen durch eine Fensterscheibe in die Sporthalle seiner Universität. Dort sitzen seine Fans und warten hoffnungsvoll, welches Team White verpflichtet.

Er lächelt in die Kamera: „Ich kann da nicht rein. Ich kann einfach nicht. Da ist so viel Freude in diesem Raum, aber so fühlt sich mein Kopf nicht an, da ist nur Angst.“ Sein Agent teilt ihm über Handy mit, wer ihn verpflichten will, vielmehr, wer nicht. „Denver is out, Boston is out, Indiana is out …“ Ein Team nach dem anderen will ihn nicht und wählt Spieler, die weniger begabt sind als er. Vermutlich auch wegen seiner Krankheit.

Dabei ist Royce White nicht der erste Profi mit Angststörungen. Auch der von Flugangst geplagte ehemalige holländische Fußballprofi Dennis Bergkamp oder der von starkem Heimweh betroffene spanische Fußballprofi Jesús Navas litten daran. In der NBA spielten mit dem am Tourette-Syndrom erkrankten ehemaligen Profi Mahmoud Abdul-Rauf und dem noch aktiven Delonte West, der unter einer schweren Depression leidet, bereits Sportler mit psychischen Krankheiten.

Am Draftabend nimmt White die Absagen der Klubs regungslos zur Kenntnis. Schließlich wählen ihn die Houston Rockets an 16. Stelle. Erleichterung. Freude. Aber statt zu seinen Fans, geht White lieber in die Umkleidekabine. Zu seiner Mutter. Beide nehmen sich in den Arm – mit Tränen in den Augen.

Whites offener Umgang mit der Krankheit macht anderen Mut

Nach der Dokumentation rücken White und seine Krankheit noch mehr in den Fokus. Das ist in seinem Interesse. „Es macht mir Angst zu wissen, dass es ernsthafte Konsequenzen haben kann, wenn ich nicht offen mit meinen Problemen umgehe“, sagt White, „Verstecken ist für mich keine Option mehr.“ Sein offener Umgang mit der Krankheit macht anderen Mut.

Bei den Houston Rockets absolviert er allerdings nie ein Spiel. Ein Teil des Problems ist: An der Universität konnte er den Großteil der Fahrten mit dem Bus absolvieren. In der NBA spielen die Teams mindestens 82 Spiele. Teilweise legen sie für ein Spiel mehr als 3000 Kilometer zurück. White macht deshalb klar, dass er nur einen Teil der Spiele absolvieren und bestimmte Strecken mit dem Bus zurücklegen werde. Daryl Morey, Manager der Houston Rockets und einer der Vordenker der Liga, unterstützt ihn. Einige Fans jedoch nicht. Sie beschimpfen ihn als „kleinen Jungen in einer Männerliga“, als „Muttersöhnchen“. Sogar Morddrohungen erhält er, White veröffentlicht sie sofort im Internet. Gleichzeitig verschlechtert sich das Verhältnis zu seinem Klub.

White unterstellt, dass sich die Rockets nicht genügend um seine Gesundheit bemühten. Außerdem weigert er sich, mit von ihnen gestellten Psychologen zu arbeiten. Er vertraue nur den eigenen Ärzten, sagt er. Klub und White arbeiten an einer Lösung. Sie einigen sich darauf, dass er vorübergehend für das Nachwuchsteam der Rockets in der NBA-Development-Liga spielen soll, bei den Rio Grande Valley Vipers. White sagt, „es ist nicht der Anfang und nicht das Ende, es ist ein Teil eines langen Prozesses.“ Der Sprung aus der D-League in das NBA-Team der Rockets ist immer noch zu schaffen, gerade hat das auch der Deutsche Tim Ohlbrecht bewiesen.

Doch auch in der zweitklassigen Liga gibt es Probleme. Einmal wird White suspendiert, einmal verkündet er, das Team zu verlassen und kehrt doch wieder zurück. Es ist das vorerst letzte Ausrufezeichen eines unbequemen Patienten.

Whites Karriere ist ein Lehrstück über den Umgang mit psychisch Kranken im Leistungssport. Ein Satz von ihm beschreibt das Dilemma: „Das Wichtigste ist für mich, gesund zu sein.“ Während sein Fokus auf seiner Gesundheit liegt, liegt der des Klubs auf dem sportlichen Erfolg. Diese Diskrepanz fördert Ausgrenzung.

Royce White wehrt sich offen dagegen. Vor wenigen Tagen schreibt er nach Beschimpfungen im Netz: „Entspannt euch Leute. Ihr seid zu empfindlich, wenn es um Sport geht.“

Sebastian Schuldt

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