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Kevin Anderson servierte gegen Murray mit 218 Stundenkilometern .

© AFP

US Open: Kevin Anderson: Es geht auch anders

Kevin Anderson zeigt bei den US Open gegen Andy Murray, dass er auch große Matches gewinnen kann. Und nun steht er als erster Südafrikaner seit Wayne Ferreira 1992 im Viertelfinale von New York.

Gerade war ein Ass mit 218 Stundenkilometern an Andy Murray vorbeigezischt, das seinen 0:2-Satzrückstand im Achtelfinale der US Open besiegelte, da schoss der 28-jährige Schotte selbst ein ganzes Salven-Arsenal ab. Murray hockte auf seinem Stuhl und schickte die übelsten Beschimpfungen und Unflätigkeiten in Richtung seiner Box, in der neben seinem Trainer Jonas Björkman auch seine Mutter Judy und der britische Fußballstar Frank Lampard saßen. Seine Tiraden wollten kaum enden, kurz darauf malträtierte Murray noch seinen Schläger. Unter seiner Trainerin Amelie Mauresmo, die gerade Babypause macht, waren solche Wutausbrüche passé, doch mitunter hatte es Murray auch gutgetan, den Ärger rauszulassen. An diesem Tag in der drückenden Hitze des Louis-Armstrong-Stadiums half es nur bedingt. Kevin Anderson spielte das Match seines Lebens und brachte den 4:18 Stunden dauernden, packenden Marathon mit 7:6, 6:3, 6:7 und 7:6 ins Ziel – den letzten Tiebreak gewann der Underdog sogar zu null.

In der zweiten Runde hatte Murray einen 0:2-Rückstand gegen den Franzosen Adrian Mannarino noch drehen können, doch nun riss seine bemerkenswerte Serie von 18 Viertelfinal-Teilnahmen hintereinander bei den Grand Slams seit 2010. „Für diese Konstanz habe ich jahrelang sehr hart gearbeitet“, sagte der Weltranglistendritte, „ich bin sehr von mir enttäuscht.“

Anderson kam erst mit 21 Jahren auf die Profi-Tour

Anderson konnte sein Glück dagegen kaum fassen. Sieben Mal war der 29-jährige Südafrikaner zuvor in Major-Achtelfinals gescheitert, jeweils gegen einen Top-Ten-Spieler, nun hatte er den Fluch endlich gebrochen. „Mir fehlen gerade die Worte“, sagte der schüchterne und so harmlos wirkende 2,03 Meter große Hüne, „das war eines meiner besten Spiele im Leben. Und endlich habe ich es geschafft, das Ding durchzuziehen.“ Das war bisher vielleicht das Problem des Spätstarters, der zunächst an der Universität von Illinois Tennis spielte und erst mit 21 Jahren auf die Profi-Tour kam. In den entscheidenden Momenten versagten Anderson meist die Nerven.

Wie zuletzt im Achtelfinale von Wimbledon, als er gegen Novak Djokovic mit 2:0-Sätzen führte und noch verlor. „Ich habe nach dem dritten Satz tatsächlich daran gedacht“, sagte Anderson, „aber ich habe mich darauf konzentriert, was ich in dem Match damals gut gemacht hatte. Dieses Mal habe ich nicht locker gelassen.“ Und das war nicht einfach, denn Murray hatte die 10 000 Fans im Stadion mit seiner wilden Aufholjagd auf seine Seite gezogen. Hätten sie gewusst, dass Anderson seit zehn Jahren in den USA lebt und mit einer Amerikanerin verheiratet ist, hätten sie wohl ihn angefeuert. Der Weltranglisten-15. zog aus der tosenden Stimmung trotzdem seine Energie, hämmerte 25 Asse und 81 Winner ins Feld.

Murray unterliefen lediglich 20 leichte Fehler, ein beachtlicher Wert. Doch Anderson untermauerte, dass er weit mehr ist als ein bloßer Aufschlagspezialist. Er variierte und passierte hervorragend von der Grundlinie und blieb seiner Taktik konsequent treu. „Ich arbeite inzwischen auch mit einem Sportpsychologen“, erklärte Anderson, „ich fühle mich jetzt viel wohler in den wichtigen Momenten der großes Matches.“ So hatte er in Winston-Salem nach sieben verlorenen Endspielen in Folge erstmals seit drei Jahren wieder einen Titel gewonnen. Und nun steht Anderson als erster Südafrikaner seit Wayne Ferreira 1992 im Viertelfinale von New York und trifft dort auf den Schweizer Stan Wawrinka. Den hat er in den letzten vier Duellen geschlagen. „Ich bin zwar ein Spätstarter“, meinte Anderson, „aber ich verbessere mich immer noch weiter.“

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