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Schweres Gepäck. Thomas Haas war bei seiner Niederlage gegen Michail Juschni anzumerken, wie viele Matches der 35-Jährige zuletzt absolviert hat.Foto: AFP

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US Open: Müde gesiegt - alle Deutschen sind draußen

Nach einem erfolgreichen, aber kraftraubenden Sommer scheidet Thomas Haas bei den US Open aus. Damit ist das Turnier für alle deutschen Profis beendet. Zudem ist auch Roger Federer ausgeschieden.

Nebenan auf dem Grandstand wurde es wieder laut, das Echo hallte herüber. Die Fans brüllten und klatschten besorgt, dort kämpfte mit Tim Smyczek der einzig verbliebene Amerikaner um den Einzug ins Achtelfinale. Letztlich vergeblich, auch die US Open würden ohne einen US-Spieler in die zweite Turnierwoche gehen – ein Desaster für die einst so große Tennisnation. Aber da war doch noch einer, den sie in Flushing Meadows als einen der Ihren betrachten und für den sich bald doppelt so viele Fans wie für Smyczek ins angrenzende Louis-Armstrong-Stadium gedrängt hatten: Thomas Haas. Die Flutlichter erhellten längst die Arena, und es lag jene Schwüle in der Luft, die das Flirren der New Yorker Abendmatches fast magisch machen kann. Haas hat hier viele besondere Augenblicke erlebt, und er wünschte sich noch mehr Glücksmomente bei seinem 16. und vielleicht letzten Auftritt. Doch so sehr sich die 10 000 Fans auch mühten, ihren Tommy gegen Michail Juschni anzufeuern, so klangen auch ihre Rufe bald resigniert. Sie spürten, wie sehr er mit sich rang. Vergeblich. „Es war einer dieser Tage, an denen man alles versucht und sich reinbeißt, aber trotzdem nichts funktioniert“, sagte Haas nach seiner 3:6, 2:6, 6:2 und 3:6-Niederlage. Zuvor war mit Angelique Kerber bereits die letzte von ursprünglich sieben deutschen Starterinnen ausgeschieden. Sie unterlag im Achtelfinale gegen die Spanierin Carla Suárez Navarro 6:4, 3:6 und 6:7 (3:7).

Zwischen Haas und Juschni war es im Achtelfinale der French Open noch genau umgekehrt gelaufen, da hatte Haas den Russen sogar derart frustriert, dass dieser seinen Schläger zertrümmerte. An diesem Abend jedoch flog vor allem das Arbeitsgerät des Deutschen durch die Gegend. Allerdings ohne die Selbstbeschimpfungen, die zu Haas’ Standardrepertoire gehören. „Ich habe versucht, ruhiger zu bleiben“, meinte er, „aber das war ein Fehler. Ich hätte im zweiten Satz mal die Sau rauslassen sollen, um mich zu pushen.“ Es war nicht der Tag des Weltranglisten-13. Das Timing in seinen Schlägen passte nicht, auch die Spritzigkeit fehlte. Zudem machte die schwüle Luft die Bälle schwerer, und Haas’ mehrfach operierte Schulter konnte nicht die zusätzliche Zugkraft aufbringen, um das auszugleichen. „Ich würde lügen, wenn ich sage, ich würde die Schulter jetzt nicht spüren“, sagte Haas. Schon seit Wochen hatte sie ihn geplagt.

Haas hat ein enormes Pensum in diesem Sommer gestemmt, gegen Juschni wirkte er müde und kraftlos. Seit den French Open Ende Mai war es bereits sein 29. Match gewesen. Das Viertelfinale in Paris, das Achtelfinale in Wimbledon, dazwischen das Halbfinale in Halle waren der Anfang. Nach den Viertelfinals von Hamburg und Stuttgart begann Haas auch die Hartplatzsaison in Washington gleich mit dem Halbfinaleinzug. Er wollte die Turniere, die ihm wichtig sind, unbedingt mitnehmen. Denn er weiß nicht, was in einem Jahr sein wird. Eine echte Pause gönnte er sich nicht, die folgt erst jetzt. „Ich werde sicher ein paar Tage brauchen, um das zu verdauen“, sagte er, „aber nach zehn Tagen Urlaub sehe ich die Dinge wieder positiver.“ Denn bei aller Enttäuschung treibt Haas noch ein großes Ziel an: Als einer der besten acht Spieler das Tourfinale in London zu erreichen. Eine Teilnahme bei der WM ist ihm bisher nie gelungen, auch nicht zur der Zeit als Nummer zwei der Welt. Immer kam eine Verletzung dazwischen. „Vielleicht ist da noch was drin“, sagte Haas, „ich werde alles geben für die Außenseiterchance.“ Dieser Biss zeichnet ihn aus, brachte ihn wieder nach oben, obwohl Haas’ Krankenakte inzwischen so dick sein mag wie das New Yorker Telefonbuch.

Bei der nächsten deutschen Spielergeneration sucht man vergeblich nach diesem bedingungslosen Willen. Jene, die zehn, 15 Jahre jünger sind als Haas, fühlen sich wohl nicht angespornt genug, ihren Anführer vom Sockel zu stoßen. Der ehemalige Profi Nicolas Kiefer hat dieses Verhalten am Rande der US Open scharf kritisiert. Die Jungen seien eben schon „zu zufrieden mit Rang 30, anstatt Tommy anzugreifen. Deshalb klafft hinter ihm auch so eine große Lücke“, meinte Kiefer. Mit Jan-Lennard Struff und Peter Gojowczyk verkauften sich zwei Neulinge schon sehr ordentlich in New York. Doch ob sie den Biss haben, die Wachablösung voranzutreiben, bevor Haas von sich aus den Schläger weglegt, ist zu bezweifeln.

Bei seinem wusste sich Haas in prominenter Gesellschaft. Roger Federer nährte mit seiner fast schon Mitleiderregenden Niederlage gegen den 31 Jahre alten Tommy Robredo aus Spanien die Zweifel, ob er jemals wieder zur Form vergangener Tage zurückfinden wird. „Es ist enttäuschend und frustrierend“ sagte der 17-malige Grand-Slam-Champion nach dem 6:7 (3:7), 3:6, 4:6 gegen den Weltranglisten-22. Robredo. Seine Bilanz in diesem Jahr liest sich für Federer-Verhältnisse ernüchternd: ein Turniersieg im westfälischen Halle, Absturz auf Platz sieben der Rangliste. Sein Abschneiden bei den Grand-Slam-Turnieren: Halbfinale Australian Open, Viertelfinale French Open, Zweitrunden-Aus in Wimbledon und jetzt das Achtelfinal-Scheitern in New York.

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