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Von Sieg zu Sieg: In Berlin schwamm Jessica Long Weltrekord.

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US-Schwimmerin Jessica Long: Model mit Prothesen

In Sibirien geboren, in den USA adoptiert und schon zwölfmal Gold: Jessica Long zählt zu den Stars des Behindertensports und schwimmt in Berlin.

Vor kurzem ist sie erst 22 geworden, aber sie hat schon drei Paralympics hinter sich. Seit der Premiere mit zwölf Jahren in Athen 2004 hat Jessica Long, die als Tatjana Olegowna Kirillowa im sibirischen Bratsk geboren wurde, zwölfmal Gold gewonnen. Ihre leiblichen Eltern hatten das ohne Knochen in den Unterschenkeln geborene Mädchen in ein Waisenheim gegeben, mit 13 Monaten wurde es vom Ehepaar Long aus Baltimore adoptiert. Fünf Monate später wurden ihre Unterschenkel amputiert, sie lernte peu á peu, sich mit Prothesen zu bewegen.

Werbestar in den USA

Ihre Wahleltern nannten sie Jessica, immerhin blieb Tatjana als zweiter Vorname und Indiz auf ihre Herkunft erhalten. Die Sprache ihrer Heimat spricht sie nicht, ihre Biografie hat etwas vom Stoff, aus dem Hollywoodgeschichten gestrickt sind. "I am a typical American girl", sprudelt es aus ihr am Beckenrand bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften der Behinderten in Berlin heraus.

Vor kurzem war sie drei Wochen lang in Sotschi, um als Fernsehreporterin für den US-amerikanischen Sender NBC bei den Winter-Paralympics für Quote daheim zu sorgen. Das Schwimmtraining litt in dieser Zeit etwas, aber offensichtlich nicht so, dass Jessica Long ihr erstes von drei Rennen in Berlin nicht gleich mit einem Weltrekord beenden konnte. Über 100 Meter Schmetterling schwamm sie im Vorlauf 1:09,60 Minuten, verfehlte diese Marke im Finale nur um 13 Hundertstel. "Ich staune über mich selbst, aber das Becken hier gilt ja als sehr schnell." Die 50 Meter Rücken am Freitag waren danach weniger aufregend, für die 400 Meter Freistil am Samstag wollte sie noch keine Prognosen abgeben. "Auf jeden Fall werde ich mich nicht schonen."

Zu Hause in den USA ist sie ein Star und kann von ihrem Sport und ihrer Vermarktung leben. Was nur wenigen im Behinderten-Schwimmsport gelingt. Sie wirbt für Getränke, eine Kreditkarte, Bekleidung und Sportartikel, allesamt Weltmarken. Mit ihrer Geschichte ist ihr mediale Aufmerksamkeit immer wieder gewiss.

Überragend: Bei den Paralympics 2012 in London gewann Jessica Long acht Medaillen.
Überragend: Bei den Paralympics 2012 in London gewann Jessica Long acht Medaillen.

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"Schwimmen hat mir so viele Türen geöffnet"

Jessica Long ist in einem Sechs-Kinder-Haushalt mit viel Bewegung und körperlichen Herausforderungen aufgewachsen – trotz ihres Handicaps. Turnen, Basketball, Cheerleading, Eislaufen, Radfahren, Laufen, Klettern, alles hat sie ausprobiert. Aber Schwimmen, das sie im Pool der Großeltern lernte, hat sie am meisten geliebt. "Ich habe Stunden im Wasser verbracht und mich wie eine Nixe gefühlt", erzählt sie. Mit zehn Jahren bestritt sie den ersten Wettkampf – mit zwölf hing ihr schon Paralympics-Gold um den Hals.

Es klingt, als staune sie selbst, wenn sie das Jahrzehnt seitdem im Zeitraffer Revue passieren lässt. "Ich habe fast die ganze Welt gesehen, Schwimmen hat mir so viele Türen geöffnet." Auf dem Podium zu stehen, "ist das beste Gefühl der Welt". Mehrfach ist Jessica Long, die in Baltimore wie Michael Phelps von Bob Bowman trainiert wird, als Behinderten-Sportlerin des Jahres ausgezeichnet worden, sie hat den Roten Teppich mit Sport-Assen und Kultur-Größen geteilt. Die Schlagzeilen als Model und ihre Prothesen hat sie längst zum Bestandteil ihres Lebens gemacht. "Ich glaube nicht, dass ich mir ein Dasein mit Beinen vorstellen könnte", sagt sie.

Keine Beine zu haben, sei keine Behinderung, es sei eine Chance. "Ich konzentriere mich darauf, was ich habe, nicht darauf, was ich nicht habe", sagt sie. So gehe sie auch mit ihren "Beinen" um. "Ich habe ,Running Legs’ fürs Training und ,Sexy Legs’ für High Heels und bemalte Fußnägel." Über allem aber steht Schwimmen. "Schwimmen hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Im Becken kann ich 100 Prozent ich selbst sein."

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