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Sport: Verbotene Liebe

Lange war Frauenfußball in Deutschland unerwünscht, heute ist das kaum vorstellbar. Ein Blick zurück

Der Blick zurück in die Steinzeit des deutschen Frauenfußballs mutet Nia Künzer immer noch unglaublich an. „Für junge Frauen von heute ist das Verbot von damals nicht zu verstehen“, sagt die ehemalige Nationalspielerin, „Wenn ich dann noch lese, was 1955 zur Begründung gesagt und geschrieben wurde, muss ich hier und da sogar schmunzeln. Für die Frauen jedoch, die seinerzeit Fußball spielen wollten, war das Ganze natürlich sehr ernst, zum Teil auch erniedrigend.“ Die 31-Jährige erzielte 2003 in der kalifornischen Stadt Carson das Golden Goal, das Deutschland den ersten WM-Titel der Frauen bescherte – und damit ein weithin sichtbares Zeichen für den Aufschwung ihres Sports in Deutschland setzte.

Wäre Künzer in den fünfziger oder sechziger Jahren aufgewachsen, hätte sie ihre Leidenschaft nicht in einem Verein ausleben können, der unter der Obhut des mächtigen Deutschen Fußball-Bundes (DFB) steht. Ein Jahr nach dem Wunder von Bern, mit dem WM-Sieg der deutschen Männernationalmannschaft, verbot der in Frankfurt residierende Verband den Frauenfußball kurzerhand. Die meisten Deutschen sahen den Fußball damals als reine Männersache an. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut“, lautete die Begründung des DFB, „Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“

Trotz des Verbots wurden inoffizielle Länderspiele wie die Premiere gegen Holland in Essen am 21. September 1956 – ein 2:1-Erfolg vor 18 000 Zuschauern – oder das folgende Duell mit Westholland am 17. März 1957 im Münchner Dante-Stadion vor 17 000 Besuchern ausgetragen. Den Reiz des offiziell Verbotenen zu erleben, war vor allem für viele Männer ein Beweggrund, sich Eintrittskarten für diese privat organisierten Spiele zu kaufen. Zu jener Zeit gab es auch eine führende Vereinsmannschaft in Deutschland: Fortuna Dortmund galt von 1955 bis 1965 als das beste Team weit und breit. Die durchweg berufstätigen Frauen aus dem Revier ließen sich ihre Freude am Fußball weder durch Verbote noch durch andere Widrigkeiten rauben. Oft genug wurden sie von ihren wechselnden Trainingsplätzen vertrieben, doch davon ließen sich Anne Droste und Renate Bress, die 1955 den Dortmunder Damenfußball-Verein Fortuna gegründet hatten, nicht schrecken. Sie inspirierten auch andere Frauenfußballteams im Ruhrgebiet und Rheinland, sich über die DFB-Schranken hinwegzusetzen. Anne Droste bestritt das erste Länderspiel gegen die Holländerinnen noch unter falschem Namen. „Ich wollte nicht, dass in der Firma bekannt wurde, dass ich Fußball spiele“, sagt sie heute.

Erst 1970 hob der DFB sein anachronistisches Verbot auf. 1974 gewann die TuS Wörrstadt, ein Klub aus der Nähe von Mainz, die erste offizielle Deutsche Meisterschaft, 1982 folgte das erste offizielle Länderspiel. Gegner war, wie auch bei der Länderspielpremiere der Männer 1908, die Schweiz. Beim 5:1-Sieg wurde eine gewisse Silvia Neid eingewechselt, die seit 2005 Cheftrainerin der Frauennationalmannschaft ist. 1989 eroberte die deutsche Nationalmannschaft in Osnabrück den ersten von inzwischen sieben Europameistertiteln. 1990, kurz vor der deutschen Wiedervereinigung, kamen auch die Fußballfrauen der DDR zu ihrem Länderspiel-Einstand. Sie verloren ihr erstes und einziges internationales Duell 0:3 gegen die Tschechoslowakei.

Danach aber ging es rapide aufwärts mit dem deutschen Frauenfußball, der auch die beiden letzten Weltmeisterschaften 2003 und 2007 gewann. Dazu bestimmen Bundesligaklubs wie Turbine Potsdam, der 1. FFC Frankfurt und der FCR Duisburg den internationalen Vereinsfußball seit Jahren mit. Längst ist auch der DFB stolz auf die Leistungen und die repräsentative Klasse der besten deutschen Fußballerinnen. Mehr als eine Million der 6,7 Millionen DFB-Mitglieder sind inzwischen weiblich.

Die Spitzenfußballfrauen, die sich in der Zeit ihrer Verbannung weniger als Kämpferinnen für die Ziele der Emanzipation denn als Streiterinnen für ihr Recht, einfach nur mitspielen zu dürfen, verstanden, werden mittlerweile nicht nur auf dem Platz ob ihrer sportlichen Qualität wahrgenommen. Viele Spielerinnen sind als Werbeträgerinnen gefragt, absolvieren Medienauftritte mit großer Selbstverständlichkeit und schminken sich vor den Spielen. Das hat Nia Künzer zu ihrer Zeit nie getan, verstehen kann sie es trotzdem: „Wenn ich mir Mario Gomez angucke, habe ich das Gefühl, dass auch er sehr auf sein Äußeres achtet. Warum sollte zum Fußballspielen nicht ein wenig Glamour gehören?“ Gleiches Recht für alle eben.

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