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Sport: Verein der Nationen

Die türkische Fußballerinnen von Anadoluspor widerlegen ein Vorurteil nach dem anderen

Yesim Yzdincer steht in blauer Trainingshose und Sweatshirt auf einem Kunstrasenplatz in Kreuzberg und denkt über die Herkunft ihrer Spielerinnen nach. Die türkische Fußballtrainerin zählt auf: „Fünf Türkinnen, drei Französinnen, zwei Griechinnen, der Rest sind Deutsche, was gibt es noch?“ Jugoslawinnen? „Haben wir nicht.“ Einige Minuten später versammelt sie acht Spielerinnen im Strafraum zum Training, eine von ihnen kennt sie noch nicht. Die Neue hat ihren Schwiegervater und ihre kleine Tochter als Zuschauer zum ersten Training mitgebracht. Sie heißt Nela und stammt aus Serbien/Montenegro.

Die Mannschaft der SG Anadoluspor, die jeden Mittwoch auf dem Platz an der Blücherstraße trainiert, ist eine Auswahl der Vereinten Nationen. Allerdings eine Frauenauswahl. „Wir sind jemischt“, sagt Yzdincer, die in Berlin aufgewachsen ist. Ihr Vater, ein ehemaliger türkischer Fußballprofi, hat den Verein gegründet. „Der war auf dem sozialen Trip“, sagt die Trainerin, „die Jugend von der Straße holen und so.“ Sie wuchs mit Anadoluspor auf. „Bei den Spielen der Männer habe ich immer auf die Halbzeit gewartet, damit ich auf das Feld kann.“ Jahrelang spielte sie in anderen Vereinen Fußball, vor einem Jahr gründete sie die Frauenfußballabteilung bei Anadoluspor. Sogar im Vorstand sitzt sie jetzt.

So kommt es, dass sich inzwischen im Vereinslokal „Anason“ in der Blücherstraße Männer und Frauen nach dem Training treffen. Namuk Akca freut sich darüber. „Die Frauen sind eine Bereicherung“, sagt der 37-Jährige. An einer Wand prangt ein Sinnspruch aus einer Zeit, als das Lokal noch ein Bierlokal war: „Ob sich das Leben aber lohnt, bezweifelt Dr. Luther schon.“ Auf jeden Fall lohnt es sich, Frauen im Verein zu haben, findet Akca. „Es ist doch anstrengend, wenn Männer nur unter sich sind“, sagt der Türke, „Frauen heben das Niveau.“

Es ist schon erstaunlich, wie selbstverständlich bei Anadoluspor ein Vorurteil nach dem nächsten widerlegt wird. Von wegen traditionalistische Türken, die ihre Frauen am liebsten zu Hause sehen. „Wir sind ein linksorientierter Verein“, sagt Akca, „tolerant und offen.“ In der schwul-lesbischen Zeitung „Siegessäule“ suchte der Klub nach neuen Spielerinnen. Auf diese Weise kam Kordula Kuhn zur Mannschaft. „Ich find’ es spannend, dass auch türkische Frauen dabei sind“, sagt die 19-Jährige.

Schon einmal gab es einen türkische Frauenfußballmannschaft in Berlin. Beim BSC Agrispor gründete sich 1991 eine türkische Mädchenmannschaft. Zeitungsartikel erschienen über das ungewöhnliche Team, sogar ein Dokumentarfilm handelte von der Mädchenclique vom Görlitzer Park. „In der U-Bahn hat einmal jemand gesagt: Hey, du warst doch in dem Film vom SFB“, sagt Safiye Kok. Die 25-jährige Türkin kickt jetzt bei Anadoluspor und arbeitet im Vereinslokal „Anason“. In dem Dokumentarfilm spielt sie eine zentrale Rolle, weil sie in einem Aufstiegsspiel ihre Gegnerin umgetreten hat. Sie wollte ihren Trainer verteidigen.

„Wir haben uns damals sehr schnell provozieren lassen“, erinnert sich Kok. Für den Tritt sperrte sie der Fußballverband eineinhalb Jahre. „Es war die längste Sperre, die je in Deutschland gegen eine Fußballerin verhängt wurde, das hat mir damals richtig wehgetan“, sagt die 25-Jährige. Dann geht sie wieder hinter den Tresen.

Es gibt noch andere Geschichten von Agrispor. Türkische Mädchen, die heimlich mitspielten, weil ihre Eltern das nicht wollten. „Es gab aber auch Eltern, die kein Spiel verpasst haben“, erinnert sich die griechische Torhüterin Paraskewi Boras, die nun ebenfalls für Anadoluspor spielt, aber zurzeit verletzt ist. Bis in die Regionalliga, die zweithöchste Spielklasse für Frauen, stieg Boras mit dem Klub auf. Dann wendete sich das Schicksal. Der langjährige Trainer ging und nahm sechs Spielerinnen mit. Einige heirateten, und nach mehreren Abstiegen interessierten sich die Sponsoren nicht mehr für die Frauen von Agrispor. In der Saison 2000/2001 löste sich das Team auf.

Bei Anadoluspor versuchen Boras und Kok einen Neuanfang. Es ist nicht wie vorher. „Man kann neun Jahre nicht mit zwei Monaten vergleichen“, sagt die Griechin. Agrispor war ihre Jugend, nun ist sie erwachsen. Ein Jahr hat sie nach dem Ende ihres alten Klubs pausiert. Inzwischen aber weiß die 25-Jährige: „Ich kann mit dem Fußball noch nicht aufhören.“

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