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© dpa

Vereinswechsel: Die Liebe kommt, die Liebe geht

Vereinstreue war einst ein hehres Gut – jetzt betrachten auch die Fans Spielerwechsel nüchterner.

Rafael van der Vaart hat es nicht gemacht. Zumindest nicht bei seinem Tor gegen Leverkusen. Vielleicht macht er es aber bald, als Geste der Versöhnung, weil er nun doch beim Hamburger SV bleiben muss. Lincoln hat es dagegen gerne gemacht. Wenigstens ab und zu, als er noch für Schalke spielte. Und Jermaine Jones hat es gemacht, als er mit Eintracht Frankfurt im DFB-Pokal bei den Offenbacher Kickers spielte, sogar vorm OFC-Fanblock. Es ist als süße Liebesbekundung gemeint, als Zeichen an die Fans, „seht her, ich liebe euch doch alle“. Er ist die zarteste Versuchung, seit es Diskussionen um Söldner im modernen Fußball gibt: der Kuss auf das Vereinswappen am Trikot.

Gerne praktiziert von Spielern, die angeblich gerade den Verein verlassen wollen, lange nicht getroffen haben oder auf den die Fans sonst irgendwie gerade nicht gut zu sprechen sind. Doch was ist dieser Kuss noch wert? Und was ist heutzutage überhaupt ein Söldner, und wer ist Identifikationsfigur? Lincoln küsst jetzt das Trikot von Galatasary Istanbul und Jermaine Jones könnte bald das Schalke-Trikot mit seinen Lippen benässen, wenn er denn trifft.

Kritiker dieser Gesten gibt es viele. Mehmet Scholl, 15 Jahre beim FC Bayern aktiv und gerade erst von der Fußballbühne abgetreten, bezeichnet es als bloße „Effekthascherei“. Auch Franz Beckenbauer beklagt natürlich die „Söldner-Mentalität“. Wenn es bei einem Verein nicht klappe, gingen viele Spieler einfach kurzerhand zum nächsten. Juan Pablo Sorin ist für Beckenbauer demnach sicher so etwas wie der Prototyp des Söldners. Der Hamburger SV ist mittlerweile sein neunter Verein. Thomas Brdaric hat es vor seinem Engagement bei Hannover 96 schon auf zehn Vereine gebracht, auch Marko Pantelic spielt in Berlin für seinen zehnten Verein.

Nur wirklich verärgert ist über diese Spieler wohl niemand. Wenn einer von ihnen den Verein wieder verlässt, wird es vermutlich ein kurzes Murren der Fans geben, aber keine große Aufregung. Zu normal sind häufige Vereinswechsel heute im Fußball.

Früher, da hat Günter Sebert zwischen 1966 und 1987 für Waldhof Mannheim gespielt. 21 Jahre am Stück, das ist Rekord im deutschen Profifußball. „Je länger ich da war, desto schwieriger wurde es, zu gehen. Ich war mit der Zeit der Kopf der Mannschaft, Kapitän, Aushängeschild“, sagt der 59-Jährige, der vor kurzem sein 50. Vereinsjubiläum hatte. „Wenn ich heute irgendwo hinkomme, werde ich sofort gefragt: ,Was macht der Waldhof?’“ Sebert ist mit der Region verwachsen, seine Freunde und Bekannten leben hier. „Ich habe es nie bereut, weil wir ja auch für ein paar Jahre in der Bundesliga gespielt haben. Es gab Angebote vom KSC, dem BVB und 1860 München. In Mannheim haben sie aber immer gesagt: ,Wenn du gehst, fällt die Mannschaft auseinander.’“ Der entscheidende Unterschied sei, dass damals ein Vertrag noch ein Vertrag gewesen sei, an den sich beide Seiten gebunden fühlten. Das hat sich geändert. Vor ein paar Jahren ließen sich der Brasilianer Mario Jardel und der Franzose Claude Makelele noch psychische Probleme attestieren, um einen Klubwechsel zu forcieren. Im vergangenen Sommer war dann der Hamburger Khalid Boulahrouz plötzlich verletzt, weil er in der Champions League lieber später für den FC Chelsea als sofort für den HSV spielen wollte. In Chelsea waren sie sauer auf den Franzosen William Gallas, der mit einem Eigentor gedroht haben soll, wenn er nicht zum FC Arsenal darf. Van der Vaart posierte vor einer Woche mit dem Trikot des FC Valencia. Und kündigte „Schmerzen im Herzen“ an, wenn er bleiben müsse.

Es bedarf schon solcher Provokationen, um noch für Aufregung zu sorgen. Zwar spielen noch immer regionaler Bezug und Vereinstreue eine Rolle für die Beliebtheit eines Spielers bei den Fans. Sehr geschätzt wird in Hamburg der vereinstreue echte Hamburger Volker Schmidt aus der zweiten Mannschaft. „Publikumslieblinge sind aber auch die Stars wegen ihrer fußballerischen Qualität“, sagt Christopher Gnauck von den HSV-Supporters. Bei Torwart Frank Rost, der erst seit einem halben Jahr beim HSV ist, ist es aber nicht nur die Leistung. „Er hat gleich gesagt, dass er im Herzen Schalker bleibt. Diese Ehrlichkeit ist gut angekommen. Und als er vom Klub aus beim Fan-Turnier ein Spiel pfeifen sollte, hat er den ganzen Tag weitergemacht und großen Spaß gehabt“, sagt Gnauck. Die Fans hätten ein sehr feines Gespür dafür, ob ein Spieler sie ernst nimmt oder nicht, wenn er das Trikot küsst. „Mannschaften und Spieler kommen und gehen“, sagt Gnauck. „Der Verein und die Fans bleiben.“

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