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Sport: Verlustgeschäft mit der Identität

Axel Vornbäumen über den Streik von Rafael van der Vaart

Der Fußballspieler Wolfram Wuttke, wahrlich kein einfacher Mensch, hat in den Achtzigerjahren mal seinen Sohn zum Training beim 1. FC Kaiserslautern mitgenommen – damit der mal sehen könne, mit wie vielen dummen Menschen sich sein Papa während der Arbeitszeit herumschlagen müsse. Das kam nicht besonders gut an, wurde aber schon damals als Indiz für vorangeschrittene Desillusionierung unter Berufsfußballern begriffen. Identifikation mit dem Verein? Eher mäßig. Man kann sagen: Wuttke ist seinerzeit womöglich ein wenig nassforsch vorgegangen – aber wenigstens war er ehrlich.

Der Fußballspieler Rafael van der Vaart hat seinen Sohn in dieser Woche, nein, nicht zum Training des HSV mitgenommen, er hat ihn (angeblich) lieber daheim hochgehoben, sich dabei praktischerweise den Rücken verrenkt, auf dass er eben gar nicht mehr mit den dummen Menschen beim HSV zusammenarbeiten muss. Van der Vaarts Söhnchen ist gerade mal ein Jahr alt, selbst wenn der Babybrei gut angesetzt hat, ein halbwegs unfallfreies Herumtragen müsste für einen austrainierten Sportler da schon machbar sein. Ob Rafael van der Vaart also wirklich ehrlich war?

Der Sport hat für so was einen Begriff: taktische Verletzung. Es ist aber in Wahrheit das bislang dreisteste Bubenstück in der noch jungen Saison, es ist Arbeitsverweigerung auf unterstem Niveau, eine Art von wildem Streik. Dabei hat der Niederländer seinen Marktwert sogar noch gesteigert durch sein konsequentes Fernbleiben von seinem Arbeitsplatz. Statt sich mit dem HSV bei Honved Budapest für den Uefa-Cup zu qualifizieren, baut er lieber darauf, demnächst mit dem FC Valencia in der Champions League spielen zu können. Hätte er gegen Budapest mitgemacht, wäre das in diesem Jahr nicht mehr möglich gewesen.

In Hamburg laufen sie nun Sturm, die enttäuschten Fans, und van der Vaart bangt um die Unversehrtheit seiner Familie. Eine untragbare Situation ist entstanden, und wenn man van der Vaart Übles unterstellen will – und nichts spricht dagegen, dies zu tun –, dann passt dem in Ungnade gefallenen HSV-Star auch das noch in den Kram. Denn eine Identifikationsfigur, der die Massen die Gefolgschaft verweigern, hat für den Verein nur noch eine begrenzte Halbwertszeit. Rafael van der Vaart hat also seinen Wert für den FC Valencia nicht nur gesteigert, er hat ihn für den HSV auch gesenkt.

Durch Arbeitsverweigerung in eine beruflich attraktivere Position zu kommen, ist im „normalen“ Arbeitsleben eher selten. Das Zeitalter der Globalisierung wird ja gerade durch den Umstand markiert, dass nicht nur der Einzelne jederzeit ersetzt werden kann, sondern, wenn’s denn sein muss, ganze Belegschaften. Fußball, zumal für die, die ihn auf hohem Niveau betreiben, ist in dieser globalisierten Welt eine Insel der Glückseligen, ja, man kann fast sagen: eine Traumwelt. Dass diese Traumwelt Helden braucht, die über Tugenden jenseits des gepflegten Vollspannstoßes verfügen sollten, hat Rafael van der Vaart offenkundig nicht begriffen. In einem Gewerbe, das vom Geschäft mit der Identität lebt, braucht es Figuren, die Identitäten auch transportieren, zumindest für die Dauer des laufenden Vertrages. Rafael van der Vaart hat das in Hamburg nicht geschafft. Beim Träumen von der Champions League hat er sich verhoben.

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