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Sport: Vertrauensfrage Klinsmann

Von Sven Goldmann

Jürgen Klinsmann ist ein gelegentlicher Gast im Bundeskanzleramt. Der Bundestrainer schätzt und bewundert Gerhard Schröder, der sich wiederum gern bei Fußballspielen zeigt, besonders jetzt, da die deutsche Nationalmannschaft so attraktiv spielt wie beim ConfedCup. Parteiübergreifend hofft die Politik, dieses Land möge Fahrt aufnehmen im unverhofften Aufschwung des Fußballs, der doch noch bei der Europameisterschaft vor einem Jahr als Symbol stand für deutsche Unbeweglichkeit. Bei Umfragen rechnen immer mehr Deutsche damit, dass ihre Nationalmannschaft im nächsten Jahr Weltmeister werden kann – aber nur wenige glauben daran, dass sich auch unter einer neuen Bundesregierung Entscheidendes zum Positiven verändern wird. Ist das ein Widerspruch?

Die Wahrheit ist: Es gibt keine Wechselwirkungen zwischen erfolgreichem Fußball und erfolgreicher Politik. Eine fröhliche Grundstimmung durch gewonnene Spiele gibt den Bürgern weder mehr Vertrauen in den Staat, noch nimmt es diesem die Verantwortung zur Gestaltung ab. Andernfalls wäre Brasilien längst Export- und Importweltmeister in einem. Und doch lohnt es sich zu vergleichen, was dieser Klinsmann besser macht als die Politik. Sein Erfolg basiert keineswegs auf der Kunst des Schönredens, wie seine Kritiker gerne suggerieren. Schlechte Fußballer spielen nicht dadurch besser, dass man ihnen eine nicht vorhandene Qualität vorgaukelt. Klinsmann hatte einfach den Mut, sich der Wirklichkeit zu stellen, Konsequenzen daraus zu ziehen und entsprechend zu handeln. Und das in der gebotenen Radikalität, ohne sich von den Kritikern beirren zu lassen.

Fußballkunst basierte hier zu Lande seit dem Wunder von Bern auf den berühmten deutschen Tugenden, auf Fleiß, Ausdauer, Einsatz. Und auf Kampf. Das war nicht ein so großes Erfolgsgeheimnis, dass nicht auch andere Nationen darauf kommen konnten. Längst grätschen Argentinier hingabevoll, haben Brasilianer perfekte Ausdauerwerte, ordnen sich Mexikaner bedingungslos taktischen Vorgaben unter. Diese Nationen haben sich weiterentwickelt, die Deutschen sind bei ihren Tugenden stehen geblieben. Unter Klinsmann sind sie vorangekommen, vor allem im Kopf. Mit der Vermittlung einer neuen Form des taktischen Denkens hat der Bundestrainer das noch vor einen Jahr scheinbar Unmögliche auf den Weg gebracht: Er hat eine deutsche Mannschaft auf attraktiven Angriffsfußball getrimmt. Wer denkt noch daran, dass für die Nationalmannschaft vor nicht allzu langer Zeit eigens der Begriff „Rumpelfüßler“ erfunden werden musste? Jürgen Klinsmanns Erfolg ist ein Erfolg des Geistes, der körperliche Fitness als selbstverständlich voraussetzt. Grundgedanke seines Konzepts ist die Forderung: „Wir müssen die zweiten Bälle gewinnen.“ Dieses Bild steht für die Aufgabe des Fußballspielers, über die konkrete Situation hinauszudenken. Wer den zweiten Ball will, der gibt sich nicht mit dem ersten zufrieden.

Globalisierung bedeutet auch, von anderen zu lernen und das mitzunehmen, was gut ist, wie ungewöhnlich es erst einmal erscheint. Täuscht der Eindruck, oder haben sich Teile der deutschen Wirtschaft dieser Erkenntnis bisher entzogen? Warum stellt Finnland das perfekte Handy her und nicht die Technologie-Nation Deutschland? Der Blick für den zweiten Ball setzt die Fähigkeit zur Antizipation voraus, zur geistigen Vorwegnahme dessen, was als nächstes passiert. Dafür hat Klinsmann intelligente Persönlichkeiten entdeckt, die vorher kaum jemand kannte. Wo sind die Per Mertesackers der Politik, wo jagen sie den zweiten Bällen nach? Bei Projekten wie Gesundheits-, Bildungs- oder Steuerreform hat man nicht immer den Eindruck, als dächten die gestaltenden Personen über mehr als die unmittelbaren Folgen nach.

Neues wird in Deutschland noch immer skeptisch beäugt, im Fußball wie in der Politik. Klinsmann regiert gegen die vierte Gewalt im Land, die „Bild“-Zeitung, die ihn nicht mag, und noch immer wird er von Kollegen und vermeintlichen Experten angefeindet, für seinen Wohnsitz in den USA genauso wie für seinen Stil und seine Methoden. Doch das nimmt er in Kauf. Ein bisschen Mut gehört eben schon dazu.

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