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Sport: VfB Stuttgart: Magath singt den Blues

Den genauen Zeitpunkt der Midlife-Krise kann kein Psychiater terminieren; sie klingelt ja nicht Sturm an unserer Seele, sondern schleicht sich eher langsam ins Unterbewusstsein. Die Vorstellung, er sei im Bundesliga-Trainergeschäft nicht mehr richtig am Platz und beim VfB Stuttgart in einer ihm immer mehr entfremdeten Welt gelandet, ist Felix Magath zum ersten Mal gekommen, als er nach zehn Tagen in der neuen Stadt zum Friseur musste.

Den genauen Zeitpunkt der Midlife-Krise kann kein Psychiater terminieren; sie klingelt ja nicht Sturm an unserer Seele, sondern schleicht sich eher langsam ins Unterbewusstsein. Die Vorstellung, er sei im Bundesliga-Trainergeschäft nicht mehr richtig am Platz und beim VfB Stuttgart in einer ihm immer mehr entfremdeten Welt gelandet, ist Felix Magath zum ersten Mal gekommen, als er nach zehn Tagen in der neuen Stadt zum Friseur musste. Der Mann, der diesen schmalen und eigenwilligen Streifen Haare auf dem Kopf zur Fasson schnitt, erklärte dabei seinem prominenten Kunden, wieso weder dessen Mannschaft und erst recht nicht das Umfeld höheren Ansprüchen genüge.

Die Stuttgarter haben unter Magath eine ordentliche Bilanz (drei Auswärts-Remis, ein Heimsieg) hingelegt, stecken aber immer noch genauso tief im Abstiegsschlamassel wie vor seinem Dienstantritt. Vielleicht hat Magath deshalb den Blues bekommen und sich selbst die Sinnfrage gestellt. "Meine Probleme fingen immer an, wenn ich Unmögliches erreicht hatte", sagte Magath nach dem trostlosen 0:0 am Sonntag in Unterhaching. "Ich weiß nicht, ob ich dieses Geschäft noch verstehen will und kann. Die Entscheidung darüber wird bei Sonne und Strand stattfinden." Also einfach aussteigen aus dem Kontrakt mit dem VfB Stuttgart und ab ins Ausland, wo er "Fußball auf höchstem Niveau erleben will. Aber das ist immer mehr Geschäft und weniger Fußball. Vielleicht ist es besser, dorthin zu gehen, wo es weniger Geschäft ist, aber wo die Leute noch barfuß Fußball spielen."

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Allerdings sollten die künftigen Stars des Fußball-Entwicklungshelfers nicht jammern, falls sich mal Blasen an der Sohle melden. So wünscht es sich Magath. Indianer und Eskimos kennen ja bekanntlich keinen Schmerz. Vielleicht leiden auch die Kicker in Aruba, Barbados oder Cayman Islands gern und still vor sich hin beim Dauerlauf; anders als die wehleidigen und neureichen Profis in Hamburg und Bremen, Nürnberg oder Frankfurt, wo Magath die Vornamen "Saddam" bzw. "Quälix" in den Zeitungen bekam. Auch aus dem VfB-Camp dringen mittlerweile die ersten Klagen an die Redaktionen. Von Spielern, die sich nach Waldlauf oder Steigerungsläufen hinter den Büschen übergeben, ist da die Rede. Und dass der gestrenge Ausbilder absolute Distanz wahre. Nur mit dem Bulgaren Balakow würde er ständig kommunizieren. Der "Bala", an dem zuletzt Trainer Rangnick gescheitert ist, und womöglich noch der ganze Klub kaputtgeht, ist Magaths V-Mann.

Irgendein Ziel aber muss Magath verfolgen. Ein Kopfmensch und Denker wie er lässt sich nicht von einer Laune leiten. Denn die Kritik Magaths an der Unterhaltungs-Gesellschaft Bundesliga und deren Qualitätsverlust sowie seine Sehnsüchte nach mehr Familienleben und fremden Landen hatten sich in mehreren Interview-Folgen über die letzten Tage hinweg jedesmal gesteigert bis zum Unterhachinger Gefühlsausbruch. Warum ausgerechnet der Experte fürs Stuttgarter Selbstbewusstsein plötzlich an sich selbst zweifelte, hat alle im Roten Haus überrascht. "Wahrscheinlich war es eine Überreaktion auf den Stress. Auch der Trainer hat mal ein Ventil gebraucht, um den Druck abzulassen", vermutet Manager Rüssmann. Prompt gab es gestern eine Pressemitteilung, in der Magath wie folgt zitiert wird: "Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass ich irgendwelche Überlegungen über meinen Vertrag beim VfB Stuttgart anstelle. Es ist vielmehr mein Ziel, beim VfB Stuttgart langfristig zu arbeiten."

Soll man das nun als Rückzieher werten? Bekanntlich liegt in den in erster Erregung gesagten Worten mehr Wahrheit als in jenen, die man später mit Kalkül von sich gibt.

Martin Hägele

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