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Sport: Vier Stürze – Platz zwei

Das neue Wertungssystem im Eiskunstlaufen erregt viel Unverständnis

Sarah Villanueva nahm Anlauf, sie rotierte zum dreifachen Salchow, dann fiel sie aufs Eis. Sekunden später der dreifache Rittberger, Villanueva rotierte, sie landete, sie lag wieder auf dem Eis. Der Doppelaxel, gestürzt. Die Kombination Doppel-Lutz/Doppel-Toe-Loop, wieder eine missglückte Landung, aber diesmal war einer der sechs Preisrichter gnädig. Er wertete: nicht gestürzt. Die fünf anderen waren weniger rücksichtsvoll: Sturz. Sarah Villanueva aus Oberstdorf, 17 Jahre alt, lag bei den deutschen Eiskunstlauf-Meisterschaften in Oberstdorf nach dem Kurzprogramm noch auf Platz drei. Nach ihren Stürzen in der Kür am Samstagabend verbesserte sie sich auf Rang zwei. Besser war nur Annette Dytrt aus München. Die verteidigte ihren Titel.

Christiane Berger aus Mannheim fiel fünf Mal in der Kür, am Ende wurde sie Dritte. Denise Zimmermann aus Mannheim stürzte nur zwei Mal, sie stand aber vier dreifache Sprünge, sie landete am Ende einen Platz hinter Berger. Viele Zuschauer schüttelten nur noch den Kopf.

Spät in der Nacht saß Reinhard Mirmseker, der Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU) im Ballettsaal der Oberstdorfer Eishalle und sagte: „Da fehlen selbst mir die Worte. Das Ergebnis, vor allem von Villanueva, hat auch mich verwundert.“ Mirmseker ist vom Fach, er war selber internationaler Preisrichter, aber er muss diplomatisch bleiben. Ein anderer Preisrichter, der bei den Frauen nur zuschaute und lieber anonym bleiben möchte, muss das nicht. Er sagte knapp: „eine Katastrophe“.

Willkommen in der neuen Welt des Eiskunstlaufs. Gerechter soll sie sein, fairer zu den Athleten. Seit Sommer gilt ein neues Wertungssystem, die Note 6,0 ist abgeschafft, jetzt werden Punkte ohne Obergrenze vergeben. Kungelei von Preisrichtern soll so verhindert werden. „Eigentlich ein gutes System“, sagt Reinhard Ketterer, Berlins Leitender Landestrainer. Aber am Samstagabend zeigte sich, wie groß die Schwächen dieses Systems sind. Und wie groß unverändert der Einfluss des menschlichen Faktors ist.

Im neuen System wird die Bedeutung der Sprünge reduziert, die künstlerischen Noten dagegen werden aufgewertet. Gute Pirouetten und Schritte werden höher benotet als früher. „Das ist ja nicht schlecht“, sagt Ketterer. Aber wenn Stürze keine große Rolle mehr spielen, solange ein Athlet nur gut seine Schritte platziert, dann gibt es ein Problem. „Es kann nicht sein, dass man so weit vorne landet, wenn man vier oder fünf Mal stürzt“, sagt Mirmseker.

Sarah Villanueva und Christiane Berger haben eine deutlich bessere Ausstrahlung als Denise Zimmermann. Die wirkt bei Pirouetten ein bisschen steif, die Quittung dafür waren niedrige Noten. Zu niedrige im Vergleich zu Villanueva oder Berger. „Die Sarah ist zu gut weggekommen“, gibt Elke Treitz zu, Preisrichterin und DEU-Präsidiumsmitglied.

Villanuevas Ergebnis zeigt aber nicht bloß die Schwächen des neuen Wertungssystems, sondern auch den großen Einfluss der Preisrichter. Sie bewerten schließlich immer noch den Glanz eines künstlerischen Auftritts. Und Villanuevas hohe Noten in diesem Bereich verwundern auch Ketterer. „Der künstlerische Eindruck wird in fünf Komponenten bewertet. Eine davon ist die Präzision des Auftritts. Und wenn ich vier Mal stürze, dann ist der Auftritt nicht präzise. Wenn im Ballett jemand zweimal stürzt, ist die Vorstellung auch gelaufen.“ Außerdem habe er keine Verbindungsschritte gesehen. „Von fünf Komponenten fehlten also zwei.“ Solche Probleme sind nicht auf die nationale Ebene begrenzt. International, sagt Ketterer, könne sich so etwas jederzeit wiederholen. „Die Diskussionen über die Notengebung haben hier wieder Nahrung bekommen.“

Mirmseker versuchte, Schadensbegrenzung zu betreiben: „Die Preisrichter kennen das System bisher nur von Seminaren, in der Praxis gibt es noch ein paar Anpassungsprobleme.“ Dass künstlerische Elemente bei einer Sturzserie nicht besonders hoch bewertet werden dürften, das müssten die Juroren noch lernen. Ein Preisrichter wird deutlicher: „Gehen Sie einmal davon aus, dass aus dieser Vorstellung einiges gelernt wird.“

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