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Sport: Vierschanzentournee: Suppenhühner verscheucht

Vor seinem Hoteleingang begegnete Reinhard Heß der neuen Zeit. Der Skisprung-Bundestrainer wollte gerade sein Oberstdorfer Hotel betreten, da sprach ihn ein Kameramann an, der vor dem Eingang filmte.

Vor seinem Hoteleingang begegnete Reinhard Heß der neuen Zeit. Der Skisprung-Bundestrainer wollte gerade sein Oberstdorfer Hotel betreten, da sprach ihn ein Kameramann an, der vor dem Eingang filmte. Der Mann fragte, als ob er einen Komparsen für eine Fernsehproduktion vor sich hatte: "Können Sie noch einmal in einem weiten Bogen um die Koffer herumgehen?" Das war zu viel für den impulsiven Thüringer. "Ja, sind wir denn hier im Affenzirkus?", dachte sich Heß. "Ich habe dann etwas Schlimmes gesagt."

Den genauen Wortlaut seiner Schimpftirade wollte der Bundestrainer nicht wiederholen. Heß hatte sich auf der Pressekonferenz vor der Qualifikation für das erste Springen der Vierschanzentournee in Oberstdorf wieder beruhigt. "Das Interesse der Öffentlichkeit muss man positiv sehen", sagt der Cheftrainer, "beim Langlaufen sind sie schon glücklich, wenn zwei Journalisten zur Pressekonferenz kommen." Heß kennt auch die Zeit, als das Skispringen noch nicht so populär war. "Auch Heß musste durch die neue Situation umlernen", beschreibt Rudi Tusch, der Technische Leiter Nordisch des Deutschen Skiverbandes (DSV) seinen Trainer, "und das hat er sehr schnell getan."

Das ist eine der Qualitäten des Bundestrainers. Mit seinen 55 Jahren ist der ehemalige Verbandstrainer der DDR noch bereit, sich auf neue Situationen einzustellen. Für die jungen Springer ist er eine Vaterfigur. Doch der Cheftrainer hat auch andere Seiten. "Er ist impulsiv und reagiert manchmal über", sagt Tusch über seinen Nachfolger. 1993 hat Heß das deutsche Skisprung-Team übernommen, das gerade an einem Tiefpunkt angekommen war. "Rudi Tusch und seine Suppenhühner", titelte die Bild-Zeitung damals. Mit Heß kehrte der Erfolg zurück. Ihm gelang es, seinen Schützling aus DDR-Zeiten, Jens Weißflog, zu reaktivieren. Schon 1994 dankte es ihm dieser bei den Olympischen Spielen von Lillehammer mit Gold auf der Großschanze und Gold mit dem Team. Den endgültigen Karrierehöhepunkt scheint der Diplomsportlehrer Heß nun mit dem zweimaligen Weltcup-Gesamtsieger und Deutschlands Sportler des Jahres 1999, Martin Schmitt, erreicht zu haben.

Es wäre allerdings ungerecht, den Leistungsaufschwung der deutschen Skispringer allein Heß zuzuschreiben. "Am Erfolg sind viele beteiligt", sagt Dieter Thoma, der sechs Jahre unter dem Thüringer sprang. "Das fängt bei den Eltern an, geht über die Heimtrainer und hört beim Bundestrainer auf." Martin Schmitt und Sven Hannawald trainieren die meiste Zeit des Jahres unter Kotrainer Wolfgang Steiert. Henry Glass und Andreas Bauer ergänzen das deutsche Trainergespann.

Aber: Heß ist der Chef. Und das zeigte er in der Vergangenheit auch gerne. "Er war früher diktatorischer als jetzt", sagt Rudi Tusch. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig, denn das gesteigerte Medieninteresse bringt Menschen hervor, die mitreden wollen: Manager, Sponsoren oder der Fernsehsender RTL, der sich die Rechte am Skispringen bis 2002 gesichert hat. Längst hat Heß den Sport als Unterhaltung begriffen. Vor ein paar Jahren fragte ihn ein Biathlon-Trainer: "Warum machst du das mit, du bist doch kein Schauspieler?". Heß antwortete: "Du hast die Zeit nicht begriffen."

Heß besitzt beim DSV einen unbefristeten Vertrag, aber das Jahr 2003 könnte sein letztes als Bundestrainer werden. "Ich werde dann in den Körper reinschauen, ob ich das gesundheitlich noch machen kann", sagt der Trainer, "und ob ich noch das Brennen und die Liebe für diesen Job verspüre." Schließlich gebe es junge Kollegen, die auch den Anspruch hätten, eine Mannschaft zu führen. Ob Steiert, Glass oder Bauer ihm nachfolgen könnten, ließ er offen. "Die haben alle das Herz für den Skisprung."

Heß liebt seinen Sport. Ob Skispringen nun eine Trendsportart sei, fragte ihn ein Journalist. "Es wird nie ein Massensport werden", antwortete der Cheftrainer und lächelte stolz. Schließlich könne sich nicht jeder einfach Skier unterschnallen und losspringen. "Nicht jeder kann das nachvollziehen." Skispringen ist eine exklusive Sportart. Da kann filmen, wer will.

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