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Sport: Völlers Prinzip Ballack

Das Schicksal des Teamchefs ist abhängig von seinem wichtigsten Spieler – schon heute gegen Holland

Der Schweiß fließt an seinen Schläfen herunter. Sein Oberkörper ist leicht nach vorn gebeugt, seine Hände hat er in die Hüften gestemmt, und mit seinen Augen fixiert er seine Fußballschuhe. Michael Ballack, Deutschlands bester Fußballer, hat fleißig trainiert, aber er darf noch nicht wie die anderen unter die Dusche. Erst muss er warten, was sein Teamchef Rudi Völler ihm zu sagen hat. Minutenlang stehen die beiden verloren im Mittelkreis des Fußballplatzes. Es ist ein Bild mit viel Symbolik.

Herberger hatte Rahn, Schön hatte Overath und Netzer, Beckenbauer hatte Matthäus. Und Völler hat jetzt Ballack. Vom 27 Jahre alten Mittelfeldspieler wird abhängen, ob diese Europameisterschaft ein Erfolg wird für die Deutschen – und für Völler. Niemand anderes in der Nationalmannschaft ist so spielbestimmend und so treffsicher wie er. Läuft es bei Ballack, spielt die deutsche Elf erfolgreich. Läuft er „unrund“, wie Franz Beckenbauer sagt, kommt seine Mannschaft, wie das Beispiel FC Bayern zeigt, ins Trudeln.

Läuft es bei Ballack aber besonders schlecht, ist die deutsche Elf in Portugal praktisch chancenlos, darin sind sich die meisten Beobachter einig. Schon vor zwei Jahren bei der WM war die Abhängigkeit der Nationalmannschaft von Ballacks Leistung enorm. Auch heute Abend wird das so sein, wenn die Deutschen mit dem Spiel gegen Holland in das Turnier starten.

Neulich hat Völler gesagt, „der Michael ist für mich ein ganz wichtiger Spieler“. Er hätte auch sagen können, er ist der wichtigste Spieler. Völler würde es auch leugnen, dass er sich um diesen Spieler intensiver kümmert, ihm mehr Aufmerksamkeit schenkt als anderen. Aber sagen muss er es nicht, es reicht, dass er es macht. Trainer wählen ihr taktisches System nach ihren Spielern aus, Völler wählt eins, in dem Ballacks Stärken richtig zur Geltung kommen können.

Das ist anders als bei den Bayern, die sich nach sieben Jahren, die Ballack in der Bundesliga spielt, immer noch streiten, welche Position die richtige für ihn ist. Eher eine defensive oder doch offensiver? Eingesehen haben die Bayern-Chefs Hoeneß und Rummenigge mittlerweile, dass sie keinen klassischen Spielmacher verpflichtet haben. Den gibt es in der herkömmlichen Form ohnehin nicht mehr. Ballack ist kein fußballerischer Rambo wie Effenberg, Ballack sei „viel feiner“, sagt Völler. Aber auch anders als der französische Weltstar Zinedine Zidane, der das Spielgerät so behandele, „als seien Ball und Körper eins“.

Völler weiß, dass Ballack keine überragende Saison bei den Bayern hinter sich hat, aber er wird nicht müde zu betonen, dass er die Kritik an Ballack für „überzogen“ hält. „Ich kenne seine Stärken, er muss hinter den Spitzen spielen, denn er ist der torgefährlichste Mittelfeldspieler Europas.“ Völler schützt seinen Star, er richtet ihn auf, er stachelt ihn an: „Hier bei der EM kann er es seinen Kritikern beweisen.“ Was Völler verschweigt: Ihn und Ballack eint in diesen Tagen ein gemeinsames Schicksal.

Wenn Deutschland lange im Turnier bleibt, kann Völler sein Amt bis zur WM 2006 störungsfrei fortführen. Sollte Deutschland aber die Vorrunde nicht überstehen, wird es auch für Völler ungemütlich. Dann wird laut über ihn diskutiert werden, was sich bisher nur hinter vorgehaltener Hand erzählt wird. Ein Schatten-Bundestrainer ist längst gefunden – Ottmar Hitzfeld. Unter Insidern gilt als abgemacht, dass Hitzfeld Völler beerben wird. Die Frage ist nur, wann.

Michael Ballack wiederum muss eine starke EM spielen, um sich weiterhin die Option eines Wechsels ins Ausland offen halten zu können und um seine Führungsrolle beim FC Bayern nicht nachhaltig zu gefährden. Ballack spricht nicht über diesen Druck, nicht über seine persönlichen Ziele für dieses Turnier. Er sagt: „Entscheidend ist, was ich mir mit der Mannschaft vornehme.“ Für das Ausland ist Ballack der einzige Star der deutschen Mannschaft. Der FC Barcelona wirbt kräftig um ihn, der FC Bayern aber bleibt zurückhaltend im Lob für den eigenen Spieler, so dass man von außen eine gewisse Diskrepanz zwischen bajuwarischer Skepsis und internationaler Wertschätzung registrieren könnte. Ballack aber scheint den harten Konflikt zu scheuen, wie Günter Netzer jüngst im Tagesspiegel vermutete. Ballack mag sich nicht streiten, wie es andere große Spieler vor ihm taten.

Michael Ballack stellt nur nüchtern fest: „Es ist doch nur menschlich, dass alle Fußballspieler Schwankungen unterliegen, aber ich habe oft bewiesen, wie wichtig ich für die Mannschaft bin.“

Bevor Völler und Ballack den Mittelkreis des Fußballfeldes an diesem Tage verlassen, legt der Teamchef noch einmal seine linke Hand auf Ballacks rechte Schulter. Völler sagt nichts, Ballack nickt. Sie haben beide verstanden, was in diesen Tagen für sie auf dem Spiel steht. Und sie wissen nun, dass sie sich aufeinander verlassen können.

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