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Sport: Voll getroffen

Nach dem 2:1 gegen die Färöer ist für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nichts mehr, wie es einmal war

Hannover. Das mutigste Mundwerk der aktuellen deutschen Fußballnationalmannschaft blieb lange Zeit halb geöffnet. Raus kam erst mal nichts. Besser war’s. Oliver Kahn schlich vom Rasen des Niedersachsenstadions und guckte starr. Seine Augen waren mal wieder leicht verengt. Fehlte bloß noch ein gefährliches Zischen. Der Abgang des Kapitäns der deutschen Elf nach dem 2:1-Sieg über die Auswahl von den Schafs- Inseln im Nordatlantik hatte etwas Echsenhaftes. Niemand mochte Kahn ansprechen.

Sieben Minuten vorher waren seine Augen noch ganz weit aufgerissen. Der Welttorhüter des Jahres schaute mit dem puren Schrecken im Blick einem Ball hinterher, den der Verkäufer an einer färingischen Tankstelle, der 19-jährige Hjalgrim Elttoer, an ihm vorbeigezirkelt hatte. Der Ball klatschte schließlich an den Pfosten. Darauf streckte Kahn seine Fäuste gen Himmel und stieß einen unüberhörbaren Schrei der Erleichterung aus. Natürlich wusste Kahn, was ein Ausgleich gegen den 119. der Weltrangliste bedeutet hätte für die 115 Plätze besser platzierten Deutschen. Das spürte er wohl schon in der 53. Spielminute. Da stand es noch pari zwischen dem Vizeweltmeister und der Amateurauswahl von der Inselgruppe. Kahn grub mit seinen Armen riesige Löcher in die Luft. Er versuchte, so das deutsche Publikum zu reanimieren, das sich stillschweigend auf die Seite des Außenseiters geschlagen hatte. Der deutschen Elf drohte ein tiefer Fall in vorvöllersche Zeiten. Und das ausgerechnet in Hannover, wo vor 26 Monaten dem Teamchef-Debütanten Rudi Völler beim 4:1-Sieg über Spanien die Wiederbelebung des deutschen Fußballs gelungen war.

Es spricht für Rudi Völler, dass er erst gar nicht versuchte, die Öffentlichkeit vom Gegenteil zu überzeugen. „Ich schütze meine Jungs ja sonst immer, aber heute kann ich das nur bis zu einem gewissen Punkt tun. Die Laufbereitschaft stimmte, aber der letzte Tick Leidenschaft hat gefehlt. Wir müssen akzeptieren, dass die Zuschauer am Ende gepfiffen haben.“ Völler nahm einen großen Schluck aus dem Wasserglas. Man habe vorher gewusst, dass man in einem solchen Spiel nichts gewinnen könne, „selbst wenn das Spiel noch 3:1 oder 4:1 für uns ausgegangen wäre, hätten wir eins auf die Nuss bekommen“. Um das fast schon unfassbare Ergebnis erklären zu wollen, kramte der 42-jährige Völler in der eigenen Vergangenheit als 90facher Nationalspieler. „Wenn es gegen solche Gegner lange 1:1 steht, spürt jeder Spieler den Druck. Je mehr Chancen man vergibt, desto unruhiger wird das Spiel. Du wirst nervös, weil du weißt, dass du in jedem Fall Kritik erntest.“ So, wie das Spiel gelaufen sei, müsse man am Ende über das 2:1 noch froh sein. Michael Ballack hatte noch einen anderen Grund ausgemacht. „Es ist schwer vermittelbar, dass auch die Fußball spielen können. Sie spielen ihr System taktisch klug und sind uns gegenüber körperlich überhaupt nicht abgefallen.“

Das aber musste nun wirklich überraschen. Die Delegation von den Färöern hatte ihre Dienstreise geplant wie andere einen bunten Ausflug in eine andere Welt. Am Tag vor dem Spiel waren die Spieler ausgiebig shoppen gewesen. Abends ging es dann auf die Bowlingbahn. Am Spieltag wurde ausgeschlafen. „Das war unser bestes Auswärtsspiel aller Zeiten. Ich bin stolz auf meine Spieler und froh, dass die Welt gesehen hat, dass wir ein bisschen Fußball spielen können“, sagte der dänische Trainer der Färöer, Henrick Larsen. Zu Beginn des Spiels hatte er ein mulmiges Gefühl, nachdem die Deutschen in der zweiten Minute in Führung gegangen waren. Einen Moment lang hatte Larsen befürchtet, dass sich die Prognose von Karl-Heinz Rummenigge erfüllen würde. Der frühere Nationalspieler hatte mit einem sieben oder acht zu null gerechnet. Eine Überheblichkeit, die die Färöer nicht mehr verletzen kann. „Ach wissen Sie, so ist das immer“, sagte Larsen. „Einige ehemalige Spieler haben noch nicht mitbekommen, dass sich im Fußball etwas bewegt hat.“ Was Larsen noch nicht weiß, ist, dass Nationalspieler früherer Generationen solche Lücken nicht exklusiv haben. Torsten Frings etwa ist 25 Jahre alt. Vor dem Spiel hatte der Dortmunder Nationalspieler es als „eine Frechheit“ bezeichnet, wenn die Deutschen mit weniger als vier Toren Unterschied gewinnen würden. Nach dem Sieg mit nur einem Tor Unterschied mochte Frings gar nichts mehr sagen.

Solche Ergebnisse gegen solche Gegner werde es immer wieder geben, meinte Völler. Inklusive solcher Erklärungsansätze. „Einige meiner Kollegen sitzen gerade anderswo auf Pressekonferenzen und erzählen den gleichen Käse wie ich hier.“ Gemeint haben dürfte er Sven-Göran Eriksson und Giovanni Trapattoni. Unmittelbar nach dem Spiel von Hannover hatte sich in der Umkleidekabine der Deutschen herumgesprochen, dass England daheim gegen Mazedonien 2:2 gespielt und Wales sogar Italien mit 2:1 geschlagen hatte. Auch Michael Ballack hielt diese Nachricht für verbreitenswert. Dabei huschte ihm ein Lächeln übers Gesicht. Es war an diesem Abend das einzig öffentliche Lächeln bei den Deutschen.

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