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Sport: „Von da an galt ich als der Exot“

Ror Wolf über Jürgen Grabowski, große Emotionen und seine Zeit als Pionier der Fußball-Literatur

Herr Wolf, gibt es einen Autor, der sich vor Ihnen so intensiv mit Fußball beschäftigte?

Es hat immer wieder mal Autoren gegeben, die einen Text über Fußball schrieben. Auch richtig gute Autoren schrieben über Fußball. Aber so ausführlich wie ich hat sich bis dahin niemand damit beschäftigt. Es war fast eine Zwangshandlung. Ich spürte eine Zuneigung zu diesem Thema, eine Leidenschaft.

Da Sie also der Erste waren: Was war Ihr Motiv, über Fußball zu schreiben?

Ich habe sehr früh gemerkt, dass er sowohl thematisch als auch sprachlich eine große Wirkung auf mich ausübt. Und ich will nur über Dinge schreiben, die mich sprachlich und emotional besonders anregen. Ein so emotionelles Thema wie Fußball bietet sich da natürlich besonders an. Ich gehöre ja eher zu den experimentierenden Autoren. Sonst hätte ich mich der Sache wohl nicht angenommen, es war in den Sechzigerjahren tatsächlich eher ungewöhnlich. Der Buchhandel reagierte damals auch ein wenig verblüfft, dass sich ein Verlag vom Renommee Suhrkamps auf dieses Thema einließ.

Warum ließ er sich denn darauf ein?

Warum nicht? Ich war zu der Zeit schon Suhrkamp-Autor. Ich habe das Manuskript geschickt. Und es wurde gedruckt. Von da an galt ich als der Exot. Alle meine vielen anderen Arbeiten wurden als Nebenhandlungen gesehen. Ich galt von da an als der Fußballautor.

Dann bestätigen wir mit diesem Interview das Klischee.

Das macht mir nichts aus, und es machte mir auch damals nichts aus. Ich hatte ja auch viel in den Fußball investiert. Ich habe über Jahre – und das war mühselige Arbeit – Radioreportagen mitgeschnitten, jeden Samstag. Ich habe sie in vier, fünf Arbeitsschritten nach Motivgruppen ausgewertet. Ich war auf langen Busreisen mit den Fans. Das hat natürlich auch etwas mit Selbstquälerei zu tun. Aber was mich interessierte, war eben nicht nur das Spiel. Es ging wesentlich auch darum, was sich darum herum in Bewegung setzen lässt. Es ging um Medienarbeiten, um Fangruppen, um das Alltägliche. Das Triviale hat mich schon immer interessiert. Aber nicht, indem ich das Triviale trivial darstelle, sondern indem ich daraus zum Beispiel ein Sonett mache.

Eckhard Henscheid verglich eine Zeichnung von F.K. Waechter mit einem Slalom von Jürgen Grabowski. Darin steckt die Idee, Fußball sei Kunst. Wenn Sie das Triviale betonen, wie sehen Sie die Gleichung?

Ich sehe das Spiel selbst als hoch artifiziell. Aber nicht jedes Spiel ist auf diesem Niveau. Nicht in jedem Spiel gibt es einen Slalom von Grabowski, leider nicht. Und um das Spiel herum gruppiert sich ja nicht Kunstinteresse. Mir ging es auch um die Randphänomene des Spiels, um die Reporter, die Spieler selbst, die Fans. Ich habe mich mit meiner Nagra, das war so ein altes schweres Tonbandgerät, am Trainingsgelände der Eintracht unter die Kiebitze gemischt. Und es gab da ganz wunderbare kuriose, aber nicht kurios gemeinte, sondern kurios wirkende Geschichten. Man musste das Ding anstellen und dann den Eindruck machen, als würde man sie nicht belästigen. Dann haben die einfach weiter erzählt, ungestört. Bei Spielen dasselbe. Nach einer Minute Aufmerksamkeit ist das Aufnahmegerät vergessen, und die Fans tun das, was sie immer tun: Sie singen, sie reden, sie quatschen, sie zeigen ihre Abneigung und ihre Zuneigung und all das auf einmal. Aber das ist eine andere Kunstform. Das ist kein Pass von Hölzenbein, auch kein Tor von Gerd Müller. Das ist der Trivialkommentar.

Hat Sie dieser Kommentar sogar mehr interessiert als das Spiel selbst?

Nein, nicht mehr. Ich habe ihn erst entdeckt, als ich schon eine Beziehung zum Spiel hatte. Es gibt Fotos aus dieser Zeit, auf denen man mich sieht, wie ich vor Freude über ein Trainingstor in die Luft springe, als wäre es das Siegestor in einer wichtigen Partie. So tief war ich drin vor 25 oder 30 Jahren.

Ein Foto zeigt Sie sogar noch tiefer drin, mit Jürgen Grabowski in der Kabine. Wie kamen Sie denn dahin?

Erich Ribbeck, in dieser Zeit Trainer von Eintracht Frankfurt, ließ mich sogar in die Kabine: vor dem Spiel, während der Halbzeitpause und auch nach dem Spiel. Und das mit einem Aufnahmegerät. Das war sehr ungewöhnlich. Und so war ich damals nahe an der Mannschaft dran. Mit Grabowski hatte ich engen Kontakt, mit Bernd Hölzenbein und mit Thomas Rohrbach, der damals Linksaußen war.

Haben Sie noch Kontakt?

Nein. Wenn ich Grabi sehe, begrüßen wir uns. Aber ich schreibe nicht mehr über Fußball. Ich bin zwar noch mit einer gewissen Leidenschaft dabei, ich verfolge das Fußballgeschehen, aber als Schriftsteller ist der Fall Fußball für mich beendet.

Warum?

Es gibt nichts, was ich noch machen wollte, formal gesehen. Ich habe Radio-Collagen gemacht, Sonette geschrieben, Endspielstanzen, Moritate über die Endspiele der Weltmeisterschaften 1930 bis 1986; ich habe Kurzprosa geschrieben und Balladen. Und das tue ich weiterhin, nur nicht mehr bezogen auf dieses Thema. Ich bin ein ganz klar auf Worte und Literatur ausgerichteter Autor, kein Sportberichterstatter, auch kein Sportschriftsteller. Es gibt eben auch andere Themen.

Wann waren Sie zuletzt bei der Eintracht?

Da muss ich nachdenken. Es war ein Spiel gegen den VfB Stuttgart, und wir – Sie sehen, ich identifiziere mich noch in gewisser Weise damit – haben 4:0 gewonnen. Mein damaliger Verleger hat mir die Karte geschenkt. Ein gutes Spiel. Das muss wohl 1991 gewesen sein.

Hatte das Interesse an Eintracht Frankfurt damit zu tun, dass die Mannschaft damals einen ästhetisch ansprechenden Fußball spielte?

Unbedingt. Ein Spiel mit vielen wunderbar herausgespielten Toren ist mir immer lieber gewesen als ein taktisch auf hohem Niveau stattfindendes Spiel, das 0:0 endet. Die Eintracht spielte in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als ich mein Interesse entdeckte, schönen Fußball. Und da waren Hölzenbein und Grabowski noch nicht mal dabei. Das schöne Spiel hat meine Emotion geweckt. Und die Emotion hat mich interessiert.

Warum suchten Sie diese Emotion ausgerechnet im Fußball?

Ich selbst habe Feldhandball gespielt, und ich war ein ganz guter Leichtathlet. Das sind die Sportarten, über die ich etwas sagen kann, aber über die ich nicht ausführlich schreiben würde. Fußball ist sehr gut geeignet, um eine Spannung darzustellen, um die es in der Literatur – zumindest bei mir – immer geht: Emotionelles und nicht Emotionelles. Lethargie und Euphorie. Entzücken und Entsetzen. Im Fußball habe ich diese Pole gefunden. Ich musste sie nicht einmal suchen. Sie liegen sehr eng beieinander. Innerhalb von zehn Sekunden schlägt eine Emotion in das Gegenteil um. Zehn Sekunden später schlägt sie aber wieder zurück. Im Fußball hat man die Emotion sozusagen in der Nuss, im Konzentrat. Alles ist permanent auf der Kippe. Es entsteht ein Wirbel. Die Geschichten, die der Fußball schreibt, schreibt auch das Leben. Das ist das Aufregende.

Wer, wie Sie selber schreiben, „hinter dem Ganzen wirklich nur Fußball und nichts als Fußball entdeckt, der irrt sich eben“?

Ja. Viele Fans, die ich auf dem Trainingsplatz und im Stadion kennen gelernt habe, reden über nichts anderes als Fußball. Und dabei reden sie über sich selbst, ihr Leben klingt in diesen Gesprächen durch. Wenn sie nicht vom Fußball reden, reden sie trotzdem vom Fußball. Und wenn sie vom Fußball reden, reden sie auch über ihre persönliche Situation. Ein richtiger Fan ist ohne Fußball todunglücklich. Die Woche ist leer. Wenn es kein Spiel gibt, leidet er unter Entzugserscheinungen. Es gibt, wenn man sich darauf einlässt, wenig, was aufregender ist als Fußball.

Auf der Buchmesse werden etwa 250 Fußballbücher vorgestellt. Interessiert Sie, 20 Jahre, nachdem Sie aufgehört haben, über Fußball zu schreiben, irgendeines davon?

Selbstverständlich. Es gibt da sicher, wie zu jedem Thema, Gutes und weniger Gutes. Ich kann aber nicht alles lesen. Ich bin mit meinen eigenen Arbeiten beschäftigt, und so viel Zeit habe ich nicht mehr. Doch dass Fußball heute oft literarisch behandelt wird, ist keine Entwicklung, die mich sonderlich überrascht. Sie zeigt mir eins: Ich kann mich mit diesem Thema nicht so sehr getäuscht haben.

Das Gespräch führte Klaus Raab.

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