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Sport: Von der Rolle

Werders Torwart Tim Wiese braucht nun Beistand

Turin - Christian Vander ist zwar nur der dritte Torwart bei Werder Bremen. Aber vermutlich ist der Mann mit dem schütteren Haar am Dienstagabend im Stadio delle Alpi zum ersten Mal wirklich wichtig gewesen. 1:2 (1:0) hatte Werder bei Juventus Turin verloren, und Vander war nach dem Abpfiff zu Tim Wiese geeilt, um den 24-Jährigen zu trösten. Die 40 000 Tifosi hatten noch gar nicht recht begriffen, dass plötzlich doch Juventus Turin und nicht Werder im Viertelfinale der Champions League stehen würde, da legte Vander seine Hand um Wieses Schulter. „Ich habe ihm gesagt, er soll den Kopf nicht hängen lassen.“ Genau das hatte Wiese längst getan: sein Gesicht minutenlang unter seinen Handschuhen vergraben, das pinkfarbene Trikot aus der Hose gezogen. Er war zum Sinnbild der persönlichen Tragödie mutiert. „Das wünscht man keinem“, sagte Vander, „diesen Tag vergisst ein Torwart sein Leben lang nicht.“

Genau in der Phase, als der Außenseiter in dem leidenschaftlichen Duell den Favoriten am Boden wähnte, schenkte Wiese ein entscheidendes Tor her. Er hatte in der 88. Minute eine Flanke abgefangen, mühelos. Es war eine Mischung aus bevorzugtem Schauspiel und beabsichtigtem Zeitspiel, sich danach zwischen drei Juve- Spielern auf den Boden zu hechten. Wie gewohnt rollte er sich dabei ab – und verlor dummerweise den Ball. Emerson, höchst überrascht von dieser unverhofften Möglichkeit, schob ein, und der Italienische Meister stand in der nächsten Runde. Eine Aktion des Werder-Torwarts, die überflüssig war, aber eben typisch für den eitlen Wiese: Er nimmt einen heranrollenden Ball nonchalant mit nur einer Hand auf, er lässt Weltstar Alessandro del Piero heransprinten, um sich lässig das Spielgerät im letzten Moment zu greifen. Alles, was gut aussieht, das ist sein Ding – selbst auf die Gefahr hin, Angriffsfläche zu liefern. Diese Gratwanderung ist nun gewaltig schief gegangen.

Es war erst Wieses siebtes Pflichtspiel für Werder und erst sein zweites Champions-League-Spiel – doch es schien allein sein Spiel zu werden. Zum ersten Mal feierten ihn die mitgereisten Werder-Fans mit lang gezogenen Sprechchören, denn er war nach Werders Führung durch Micoud (13.) der Rückhalt. Er spielte mit, er hielt fest. Als die Bremer in der zweiten Hälfte nach dem 1:1 von Trezeguet (65.) unter Dauerbeschuss gerieten. Wiese war der Garant, er reagierte, er parierte. „Erst macht er ein Weltklassespiel, dann so einen Fehler“, sagte Werders Sportdirektor Klaus Allofs zerknirscht. Allofs empfiehlt Werder im Allgemeinen und Wiese im Besonderen nun, „den fatalen Fehler nicht zu verdrängen, sondern ihn zu verarbeiten“. Will heißen: Wiese, Torwart mit dem Hang zur Flug- und Showeinlage, hat gefälligst auch seinen Stil zu überprüfen. Trainer Thomas Schaaf ließ noch in der Pressekonferenz von Turin keine Zweifel daran, dass sich Wiese „so nie wieder hinschmeißen wird“.

Tim Wiese ist in der Mannschaft im Gegensatz zum verletzten Vorgänger Andreas Reinke mehr geduldet als geschätzt, nicht nur wegen seines rosa Trikots und seiner mitunter vorlauten Art. Vor ein paar Wochen, beim Vereinsball „Grün-Weiße Nacht“, stand der stets gut gebräunte Selbstdarsteller mit seiner Freundin verdächtig oft abseits. Aber vielleicht findet Wiese gerade bei ihr die notwendige Hilfe: Seine Freundin ist Psychologiestudentin.

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