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Sport: Von der Spitze in die Breite

Das deutsche Hockey erhofft sich von der WM den großen Aufschwung – in Holland hat es den schon gegeben

Berlin - Stefan Zipter hat in der vergangenen Woche eine Mail bekommen, über die er sich eigentlich hätte freuen müssen. Eine junge Frau, 21 Jahre alt, hat ihm geschrieben, sie habe noch nie in ihrem Leben etwas mit Hockey zu tun gehabt, finde den Sport aber hoch interessant. Ob es beim Berliner Hockey-Club eine Möglichkeit für sie gebe, Hockey zu spielen, wollte die junge Frau wissen. Zipter ist Geschäftsführer des Vereins, helfen konnte er nicht. Der BHC hat zwei Frauen-Mannschaften, eine spielt in der Bundesliga, die zweite in der Regionalliga – das ist nicht gerade das Niveau für jemanden, der noch nie einen Hockeyschläger in der Hand hatte. „Für eine bestimmte Klientel gibt es schlicht und einfach kein Angebot“, sagt Zipter.

In Holland ist das anders. „Da liegen Welten zwischen“, sagt der Berliner Nationalspieler Tibor Weißenborn, der beim HC Bloemendaal, dem renommiertesten Klub der Niederlande, unter Vertrag steht. Viele Klubs in Holland haben 15 bis 20 Mannschaften. „Da fangen Leute auch noch mit 30 an, Hockey zu spielen“, sagt Weißenborn. Sie tun sich mit Freunden zusammen, schließen sich einem Klub an und gründen eben Mannschaft Nummer 21. Sonntags ist auf den Klubanlagen den ganzen Tag über Hockey zu sehen: Die untersten Teams fangen schon morgens um neun an, und wenn am Nachmittag die erste Mannschaft spielt, stehen die Hobbyspieler als Zuschauer an der Seitenlinie.

Hockey hat in Holland in den vergangenen Jahren eine enorme Erfolgsgeschichte erlebt, angefangen hat sie 1998 nach der WM in Utrecht. Seitdem stieg die Mitgliederzahl des Verbandes KNHB um 50 Prozent, von 120 000 auf zurzeit 185 000 – im Vergleich zu 70 000 in der fünfmal so großen Bundesrepublik. Bis 2015 könnten es sogar 260 000 sein. Kein anderer Sportverband hat im selben Zeitraum einen derartigen Zulauf erlebt, schon jetzt ist der KNHB der fünftgrößte in den Niederlanden.

Eine ähnliche Entwicklung wie im Nachbarland wünscht sich, nach der WM in Mönchengladbach, auch der Deutsche Hockey-Bund. „Hockey in der Spitze braucht auch eine Breite“, sagt DHB-Präsident Stephan Abel. „Wir streben 100 000 Mitglieder an, und wir werden die Vereine bei der Mitgliederwerbung unterstützen.“ Es gibt erste erfreuliche Ansätze: In den vergangenen vier Jahren haben sich deutschlandweit 350 Elternhockey-Mannschaften gegründet, zudem gibt es fast 200 so genannte Hockey- Scouts, die Lehrer bei der Einrichtung von Hockeykursen an ihren Schulen unterstützen sollen.

Mehr Mitglieder, mehr Sponsoren, mehr Medienpräsenz – das hat sich der DHB von der WM im eigenen Land erhofft. Die Chancen scheinen günstig wie lange nicht. Mehr als 100 000 Zuschauer sahen die Spiele im Mönchengladbacher Hockey-Park, davon nach Schätzungen des DHB ein Drittel Nicht-Hockeyspieler. Zudem gab es Fernsehzeiten wie noch nie bei einer Hockey-Veranstaltung in Deutschland, allein das Endspiel sahen 1,5 Millionen Menschen in der ARD.

In Holland hat sich der Abosender Canal plus die Rechte an der höchsten Hockeyliga, der Hoofdklasse, gesichert, jedes Wochenende werden zwei Spiele live gezeigt, von den restlichen gibt es Zusammenfassungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Hockey ist in Holland Volkssport – vor allem aber ist Hockey ein Sport fürs Volk. Mit der WM 1998 hat sich der holländische Verband vom elitären Charakter der Sportart verabschiedet, ein Schritt, der den Deutschen noch schwer fällt. „Es ist schwierig zu sagen: Wir wollen die totale Öffnung“, sagt Präsident Stephan Abel. „Das würde uns nicht gut tun.“ Seiner Ansicht nach würde es einen Teil der Werte gefährden, für die Hockey stehe: Leistungsfähigkeit, Eigenverantwortung, die Fähigkeit, sich auszudrücken und miteinander umzugehen.

Die so genannte Hockeyfamilie ist immer noch ein weitgehend in sich geschlossener Clan, auch wenn der DHB seit dem Olympiasieg der Frauen vor zwei Jahren in Athen einen Mitgliederzuwachs von rund acht Prozent verzeichnet hat. „Das ist schon enorm“, sagt Präsident Abel. Durch den WM-Titel der Männer soll der erfreuliche Trend zusätzlich an Schwung gewinnen. Die neuen Weltmeister werden in den nächsten Tagen noch häufiger im Fernsehen auftreten. Der Alltag beginnt für sie ohnehin früh genug: In zehn Tagen geht bei den Männern die neue Bundesligasaison los. „Es kann gut sein, dass das Zuschauerinteresse dann etwas größer wird“, sagt Stefan Zipter vom BHC. „Vielleicht kriegen wir ein paar Leute ran, die bisher nichts mit Hockey zu tun haben.“

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