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Sport: Von der Wirklichkeit überholt

Stefan Hermanns über Herthas erschreckende Hinrunde Geschichte ist im Grunde nichts anderes als rückwärtsgewandte Prophetie. Und was damit gemeint ist, erfährt man auf den Seiten 84/85 im Stadionheft zu Herthas erstem Heimspiel dieser Saison.

Stefan Hermanns über Herthas erschreckende Hinrunde

Geschichte ist im Grunde nichts anderes als rückwärtsgewandte Prophetie. Und was damit gemeint ist, erfährt man auf den Seiten 84/85 im Stadionheft zu Herthas erstem Heimspiel dieser Saison. Da geht es um die Ziele für das kommende Jahr. Von europäischem Fußball ist die Rede, von der Champions League, gar von der Meisterschaft. Die optimistischen Aussagen stammen nicht etwa von Herthas Spielern, nicht von der Vereinsführung und auch nicht von den Fans. Die Zuversicht wird von den Vertretern der Berliner Medien verbreitet. Keiner der befragten Journalisten hat Hertha ein schlechteres Abschneiden als Platz vier zugetraut.

Im Sommer war mal wieder viel Euphorie in der großen Stadt. Bart Goor, Herthas Mittelfeldspieler, hat das vor kurzem noch einmal zu erklären versucht: „Wir hatten eine gute Mannschaft. Wir haben die Qualifikation für den Uefa-Cup noch geschafft. Und wir haben drei starke Spieler dazu geholt.“ Mit anderen Worten: Die Champions League musste einfach das natürliche Ziel für diese Hertha sein.

Heute weiß man, dass diese Argumentation auf zwei falschen Annahmen basierte: darauf, dass 1. die letztjährige Mannschaft gut war und dass 2. die drei Neuen – Bobic, Kovac und Wichniarek – den Kader noch verstärken. Schon in der vorigen Saison hat sich Hertha vor allem dank der Schwäche der Konkurrenz in den Uefa-Cup geschummelt. Viel schlimmer aber war die Fehleinschätzung bei den Fähigkeiten der Neuzugänge. Selten war die Hoffnung, die sich mit der Verpflichtung neuer Spieler verband, größer; selten ist sie so jäh enttäuscht worden.

Herthas Situation ist auch deshalb so dramatisch, weil die Verantwortlichen vieles richtig gemacht haben: Die Mannschaft hat unter Jürgen Röber an den großen Zielen gekratzt, beim letzten Angriff aber immer versagt. Also hat Manager Dieter Hoeneß mit Huub Stevens einen Trainer geholt, der mit der Qualifikation kam, Titel holen zu können. Die Mannschaft hat sich von außen unter Druck gesetzt gefühlt. Also durfte sie ihr Saisonziel selbst bestimmen. Die Mannschaft war zu brav. Also hat Hoeneß drei Spieler geholt, die den Charakter der Gruppe verändern sollten. Dass sich all diese schönen Vorstellungen nicht haben verwirklichen lassen, erklärt Herthas momentane Ratlosigkeit.

Für Dieter Hoeneß reduzieren sich die Möglichkeiten zur Korrektur immer mehr auf die Auswahl des neuen Trainers. Er muss erfahren sein, Psychologe und Respektsperson gleichermaßen, muss die Bundesliga kennen und Erfolg gewissermaßen garantieren, vor allem schnellen Erfolg. Christoph Daum wäre ein solcher Trainer. Bisher aber hat die Bundesliga die Resozialisierung des überführten und geständigen Kokainkonsumenten noch gescheut. Man muss viel Mut haben, um Christoph Daum in Ehren wieder in die Bundesliga-Gesellschaft aufzunehmen. Oder sehr verzweifelt sein.

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