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Auf dem Zahnfleisch. Nach dem Schulterbiss bei der WM absolvierte Suárez vier Monate lang nur Testspiele.

© AFP

Vor dem Clasico gegen Real Madrid: FC Barcelona: Warum sich der Verein Luis Suárez antut

Nach vier Monaten Sperre gibt Luis Suárez beim Clasico gegen Real Madrid sein Debüt für den FC Barcelona. Doch warum tut sich das gute Gewissen des Fußballs dessen meistgehassten Mann an? Die Wahrheit ist kompliziert.

Die Trikots der uruguayischen Nationalmannschaft sind so eng geschnitten wie sonst keine auf der Welt. Die Anhängerschaft des FC Barcelona hat das uruguayische Textil als willkommenes Beweismittel betrachtet, als ihre Neuerwerbung Luis Suárez in der vergangenen Woche zur Länderspielreise nach Nahost aufbrach. Noch wichtiger als seine Tore gegen Saudi-Arabien und den Oman war ... dass sein Trikot nicht spannte. Kein Gramm Fett, nirgends. War wohl nichts dran an den Witzchen, die sie in Valencia und Madrid gemacht hatten, aber durchaus auch in Barcelona. Über einen Stürmer, der vier Monate lang gesperrt war und mutmaßlich ein bisschen angesetzt hatte, wo Fußballer nichts ansetzen lassen sollten. „Natürlich ist Suárez nicht dick“, sagt Barcelonas Trainer Luis Enrique. „Er hat sehr hart trainiert und wird jeden Tag besser.“

Wahrscheinlich ist Luis Suárez schon so gut, dass er am Samstag zum ersten Mal in einem Pflichtspiel für den FC Barcelona aufläuft, passenderweise im spanischen Clasico bei Real Madrid. So ein vom Computer erstellter Spielplan ist immer gut für einen spektakuläreren Zufall, von dem allerdings im konkreten Fall auch die naivsten Fans nicht glauben, dass es sich wirklich um einen Zufall handelt. Ein schöneres Vermarktungsargument für die weltweite Fernsehübertragung als das Comeback von Luis Suárez lässt sich im Sinne der beteiligten Klubs und der Liga schwerlich konstruieren.

Am Samstag endet die viermonatige Sperre, mit der die Fifa Luis Suárez bei der WM belegt hat für dessen Biss in die Schulter des Italieners Giorgio Chiellini. Dass der FC Barcelona kurz darauf geschätzt 80 Millionen Euro an den FC Liverpool überwies und Suárez mit einem bis 2019 laufenden Vertrag ausstattete, hat nicht überall Beifall gefunden.

Warum tut sich der FC Barcelona Luis Suárez an?

Barça hat sich immer gern inszeniert als das gute Gewissen des Fußballs, als seine schönere und sauberere und bessere Spielart. Der FC Barcelona war seinem Selbstverständnis nach „més que un Club“, mehr als nur ein Verein, nämlich die kickende Repräsentanz des unterdrückten Kataloniens. Ein allen kapitalistischen Versuchungen abgewandtes Unternehmen, das sein blau-rotes Trikot freihielt von Sponsorenlogos und höchstes für das Kinderhilfswerk Unicef Reklame lief. Dazu spielte Barça nicht einfach nur Fußball, es erhob ihn zur eigenem Kunstform und zum Gegenstand existenzialistischer Betrachtungen in den Feuilletons. Warum tut sich dieser Verein Luis Suárez an?

Luis Suárez war bis zum vergangenen Sommer der meistgehasste Mann im englischen Fußball – und nach dem Sommer auch in der restlichen Welt. Einer, der kratzte und biss und trat, der vom englischen Verband wegen rassistischer Beleidigung verurteilt wurde. Und war da nicht was vier Jahre zuvor bei der Weltmeisterschaft in Südafrika? Damals hatte Suárez mit einem dreisten Handspiel in der Nachspielzeit den Einzug Ghanas ins Halbfinale verhindert und diese Tat auch noch als „beste Parade des ganzen Turniers“ gepriesen. Die Beißattacke nun bei der WM in Brasilien galt der Welt außerhalb Uruguays als endgültiger Beleg dafür, dass dieser Mann nicht resozialisierbar sei. Luis Suárez war abgestempelt als der Mike Tyson des Fußballs.

Die Wahrheit aber ist ein wenig komplexer als die Schablone von der katalanischen Schönheit und dem uruguayischen Biest. Suárez ist nicht so schlecht wie sein Image, der FC Barcelona nicht so gut. Und gemeinsam dürften sie am Samstag eine sehr erfolgreiche Zukunft in Angriff nehmen.

Das Bild des dem schönen Spiel und der edlen Sache Kataloniens verpflichteten Klubs hatte seine Berechtigung zu Francos Zeiten. Damals war Barças Fußball, angeleitet vom Ehren-Katalanen Johan Cruyff, auch ein politisches Statement. Im dritten Jahrtausend aber wird in Barcelona niemand mehr unterdrückt und das moralische Bekenntnis zum Katalanentum wirkt halbherzig. Die Rufe nach Referendum und Unabhängigkeit begleitet Barça schweigend bis flüsternd. Zu groß ist die Angst, in einer katalanischen Provinzliga ohne Clasico zu enden und die nicht-katalanischen Fans, längst in Überzahl, zu verprellen.

FC Barcelona: Ein ganz normales Fußballunternehmen in einer nicht ganz normalen Fußball-Welt

Der FC Barcelona ist ein ganz normales Fußballunternehmen in einer nicht ganz normalen Fußball-Welt. Ein Konzern mit steuerrechtlichen Verfehlungen und einem von der Fifa verfügten Transferverbot wegen der illegalen Rekrutierung minderjähriger Spieler. Die blau-roten Trikots dienen längst als Werbefläche für das Wüstenemirat Katar, das nicht unbedingt als Hort freiheitsliebenden Denkens bekannt ist.

Und was Luis Suárez betrifft: Nein, ein Biss in die Schulter des Gegenspielers verträgt sich nicht mit den Standards eines zivilisierten Umgangs miteinander. Natürlich gehörte Suárez dafür bestraft, zumal als Wiederholungstäter, denn der Biss gegen Chiellini war schon der dritte seiner gerade acht Jahre währenden Profikarriere. Die in der allgemeinen Wahrnehmung empfundene Monstrosität dieses Vergehens aber ist vor allem moralischer Natur und verträgt sich nur bedingt mit seiner tatsächlichen Wirkung. Ein Tritt in die Achillessehne ist allemal gesundheitsschädigender.

Das ist kein entschuldigendes Argument, aber ein relativierendes. Suárez hat für seinen Aussetzer bezahlt, aber damit sollte es jetzt auch gut sein. Wie auch mit dem vermeintlichen Rassismusskandal, als Suárez dafür bestraft wurde, dass er Manchester Uniteds französischen Verteidiger Patrice Evra „Negro“ genannt hatte. Dazu muss man wissen, dass Negro in Uruguay keineswegs die rassistische Konnotation hat wie in Nordamerika oder Europa. Nach Vermittlung durch den Schiedsrichter unternahm Suárez den Versuch einer Entschuldigung und streckte die Hand aus, worauf Evra ihn anfuhr: „Sudaco, fass mich nicht an!“ Sudaco ist eine in England gebräuchliche Beleidigung für Südamerikaner, aber diese Form des Rassismus spielte in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mal eine untergeordnete Rolle. Und dass Suárez sein Schurkenstück im WM-Viertelfinale vor vier Jahren so ausgelassen und offensiv feierte, war gewiss weder anständig noch intelligent. Aber erfolgreiche Stürmer sind nicht zwangsweise intelligente Menschen und selten anständige Burschen.

Der FC Barcelona hat Luis Suárez bitter nötig

Luis Suarez und der FC Barcelona - oder auch: Die Schöne(n) und das Biest.
Luis Suarez und der FC Barcelona - oder auch: Die Schöne(n) und das Biest.

© IMAGO

Luis Suárez ist ein vom Erfolg getriebener Stürmer, und dabei überschreitet er zuweilen den Rahmen des Erlaubten. Es liegt an ihm, in der Zukunft zu zeigen, dass er diesen Rahmen nicht zu sehr strapaziert. Der FC Barcelona weiß, worauf er sich eingelassen hat und wie bitter nötig er diese Veränderung hat. Im vergangenen Sommer war der Klub an einem Grenzpunkt angelangt. Nur Zweiter in der spanischen Meisterschaft, im Pokal das Endspiel verloren und in der Champions League im Viertelfinale gescheitert.

Deutlich zu sehen war das in jenem Viertelfinale der Champions League, als die blau-roten Ästheten den Ball in endlosen Stafetten kreiseln ließen und doch dem Tor einfach nicht näher kamen, chancenlos gegen die Guerilleros von Atlético Madrid und deren brutalen Vollstrecker Diego Costa. Barcelona hatte sein Spiel einseitig fixiert auf den Weltstar Lionel Messi.

Der Argentinier Messi und sein brasilianischer Adjutant Neymar sind großartige Fußballspieler, aber in ihrer Kunst ähneln sie sich mehr, als dass sie sich ergänzen. Luis Suárez gibt dem FC Barcelona, was er zuvor nicht hatte. Einen, der im Strafraum noch gnadenloser ist und vor allem besser als Diego Costa. Ein Gegengewicht zur Wucht, wie sie Real Madrid durch Cristiano Ronaldo bezieht. Mit seiner Ballsicherheit in Situationen körperlicher Bedrängung und seiner Allgegenwart als Anspielstation wird er die Vorzüge von Neymar und Neymar noch besser zur Geltung bringen. Mit Suárez wird das vorher porentief reine Spiel schmutziger, aber auch erfolgsorientierter und allemal taktisch variabler. Das klassische 4-3-3-System kann jetzt ohne Probleme in ein 4-4-2 umgemodelt werden, mit einem zurückhängenden Messi und einer Doppelspitze Suárez / Neymar.

In Barcelona schwärmen sie bereits vom „tridente sudamericano”, dem südamerikanischen Dreizack. Messi, Neymar, Suárez. Zwei Künstler und ein Pistolero. Neymar sagt, es habe ihn schon überrascht, wie hart und ernsthaft Suárez so ganz ohne die Motivation des Wettkampfes trainiert habe, „wir werden zusammen noch sehr schöne Dinge erleben“. Am besten schon am Samstag im Estadio Santiago Bernabeu, mit einem Sieg im Clasico beim alten Lieblingsfeind Real Madrid.

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