zum Hauptinhalt
You, me, Europameister. Portugals Trainer Fernando Santos und sein Kapitän Cristiano Ronaldo.

© dpa

Vor dem EM-Finale gegen Frankreich: Fernando Santos befreit Portugal vom Dogma

Die Portugiesen können auch anders als nur offensiv spielen. Trainer Fernando Santos fand bei der EM gegen jeden Gegner die richtige Mischung.

Selbstverständlich kann Fernando Santos sich an das große Endspiel erinnern. An den 4. Juli 2004 in Lissabon, als Portugal nach der Macht über Europa griff und die Defensivkünstler aus Griechenland im Finale der EM an die Wand spielte. „Ich war dabei“, sagt Santos. Er hat gesehen, wie Portugals Souverän Luis Figo und der 19 Jahre junge Cristiano Ronaldo allerbeste Chancen herausspielten und sie allesamt vergaben. Am Ende jubelte Griechenland über das Siegtor von Angelos Charisteas, und auch Fernando Santos musste sich ein bisschen freuen, das war er seinem Arbeitgeber schuldig. Der portugiesische Fußballlehrer kommentierte das Spiel als Reporter für einen griechischen Radiosender.

Zwölf Jahre später steht Portugal ein zweites Mal in einem Endspiel um die Europameisterschaft, und Fernando Santos ist wieder dabei. Am Sonntag wird er im EM-Finale gegen Frankreich im Stade de France nicht in der Reporterkabine sitzen, sondern auf der Trainerbank. Santos ist studierter Ingenieur und pendelt als Trainer seit 15 Jahren zwischen Griechenland und Portugal. Er hat die großen Klubs beider Nationen trainiert und zuletzt bei der Weltmeisterschaft in Brasilien auch die griechische Nationalmannschaft, es reichte immerhin für das Achtelfinale. Seit September 2014 betreut er die Seleçao Portuguesa, und in keiner Abhandlung über ihn darf ein Verweis auf seine griechische Vergangenheit fehlen. Der 2004 vom Sensationseuropameister exerzierte Betonfußball wird dann gern als Schablone über den auf den defensiven Stil der Portugiesen gelegt, und am Ende steht die Conclusio: Portugal ist das neue Griechenland.

Das ist natürlich ein ziemlicher Blödsinn. Otto Rehhagels Griechen konnten 2004 sehr effizient verteidigen, aber ansonsten nichts. Ein griechisches Offensivspiel fand im eigentlichen Sinne nicht statt, und das lässt sich von den Portugiesen nun wirklich nicht sagen. Ja, auch sie verstehen sich auf die Strategie des defensiven Dekonstruktivismus. Im Achtelfinale bekamen es die verspielten Kroaten zu spüren, was sie schon ein wenig überraschte, denn sie hatten ein offensives und auf Cristiano Ronaldo fixiertes Portugal erwartet. Dieses Achtelfinale war eine öde Veranstaltung mit zähem Ballgeschiebe, aber am Ende stand der von Santos angestrebte Effekt. Die einzige Torchance nutzte Ricardo Quaresma in der Verlängerung zum Siegtor. „Wir haben immer einen Plan“, sagt Fernando Santos. „Einen Plan für die Abwehr, aber auch einen für den Angriff.“

Die Portugiesen hatten auch viel Künstlerpech

Über die ästhetische Zumutung des Kroatien-Spiels wird gern vergessen, was die Portugiesen in Frankreich sonst so gezeigt haben. Sie dominierten die isländischen Partisanenkicker so deutlich, wie es sonst nur die Franzosen schafften. Dass es trotz bester Chancen nur zu einem 1:1 reichte – Künstlerpech. Gleiches gilt für das 0:0 gegen Österreich, als allein Ronaldo vier Tore hätte schießen können. Das dritte Gruppenspiel gegen Ungarn war eine Demonstration vogelwilden Angriffsfußalls. Portugal lief dreimal einem Rückstand hinterher und schaffte doch noch ein 3:3, auch das spricht nicht gegen die offensiven Qualitäten dieser Mannschaft. Sie steckte auch im Viertelfinale gegen Polen ein frühes 0:1 weg und erspielte sich allerlei Torchancen. Die Intelligenz, dem konterstarken Gegner nicht zu viel Raum zu geben, wurde den Portugiesen später als mangelnde Leidenschaft ausgelegt. Im Halbfinale ließen sie den Walisern zunächst viel Platz, mit dem diese nichts anzufangen wussten. Zwei schnelle Tore zu Beginn der zweiten Halbzeit besiegelten den nie gefährdeten Einzug ins Endspiel. „Das ist eine ganz hervorragende Mannschaft“, sprach der Waliser Trainer Chris Coleman. „Portugal hat im Finale eine sehr gute Chance.“

Das Portugal von 2016 ist unberechenbar. Fernando Santos ist es in Frankreich noch vor jedem Spiel gelungen, seine Mannschaft neu zu justieren, ganz unauffällig mit kleinen Änderungen, sie betrafen das Personal genauso wie das taktische Konzept. Auf diese Weise hat er im Verlauf des Turniers seine halbe Mannschaft ausgetauscht. Der zunächst gesetzte Wolfsburger Vieirinha, André Gomes und Ricardo Carvalho spielen kaum noch eine Rolle. Dafür haben sich Nachwuchskräfte wie der künftige Münchner Renato Sanches, Cédric und Adrien Silva in die Mannschaft gespielt. „Jeder Gegner ist anders“, sagt Santos. „Wir wissen, dass wir nicht die beste Mannschaft der Welt sind. Aber es ist für keinen Gegner leicht, uns zu besiegen.“

Nur einmal hat Portugal unter Santos verloren

Portugal hat sich befreit vom Dogma, immerzu schön und offensiv zu spielen. Luiz Felipe Scolari, der Trainer der EM-Mannschaft von 2004, hat das auch versucht, aber er ist damit nicht durchgekommen bei den Meinungsführern Luis Figo und Manuel Rui Costa. Cristiano Ronaldo war damals ein 19-jähriges Bürschlein mit spindeldürren Beinen, der Brasilianer Scolari drückte ihn gegen den Widerstand der Etablierten in die Mannschaft. Hinter ihm lag seine erste Saison bei Manchester United, dessen Trainer Alex Ferguson sich während eines Testspiel bei Sporting Lissabon für Ronaldo begeistert hatte. Sein Trainer bei Sporting war ... Fernando Santos.

Heute ist Ronaldo ein Weltstar, er verfügt in der Nationalmannschaft über mehr Einfluss, als ihn der große Figo zu seinen besten Zeiten hatte. Das vertrauensvolle Verhältnis zu Fernando Santos ist geblieben. Es spricht einiges dafür, dass Ronaldo im September auf einen Trainerwechsel drängte, nachdem Portugal zum Auftakt der EM-Qualifikation 0:1 gegen Albanien verloren hatte. Paulo Bento ging, Fernando Santos kam und mit ihm der Erfolg.

Ein einziges Spiel haben die Portugiesen unter ihm verloren, es war gleich das erste. Ein 1:2 im Stade de France gegen Frankreich. Das Wiedersehen an selber Stätte steigt am Sonntag auf der größten Bühne, die Europas Fußball zu bieten hat. Fernando freut sich auf dieses Spiel, „das ist mein größter Erfolg als Trainer“. Aber als ihm die portugiesischen Reporter nach dem Sieg über Wales Glückwünsche widmen wollten, wehrte er entschieden ab. „Gratulieren könnt ihr mir, wenn wir das nächste Spiel gewonnen haben. Jemand hat mir mal gesagt: Es geht nicht darum, ein Finale zu spielen, sondern ein Finale zu gewinnen. Er hat recht.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false