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Fast schon revolutionär. Nationaltrainer Gareth Southgate setzt auf Jugend und nicht auf große Namen. Auch gegen Deutschland am Freitag im Wembley-Stadion.

© picture alliance / Adam Davy/PA

Vor dem Länderspiel gegen Deutschland: Entwicklungsmeister England

Nach Jahrzehnten der Enttäuschung baut der englische Fußball nun auf seine erfolgreichen Talente – auch im Länderspiel gegen Deutschland am Freitag.

Kurz nach 9 Uhr am Mittwochmorgen war das Wembley-Stadion schon ausverkauft. Es mag nur ein Freundschaftsspiel sein, aber knapp 90 000 Engländer wollen am Freitagabend dabei sein, um die Stars aus Deutschland zu begrüßen. In ihren eigenen Reihen werden die englischen Fans hingegen kaum einen Star zu sehen bekommen. Bei den Länderspielen gegen Deutschland und Brasilien muss Nationaltrainer Gareth Southgate auf zahlreiche Topspieler verzichten. Jordan Henderson, Raheem Sterling, sowie Dele Alli und Harry Kane sagten alle in den letzten Tagen aufgrund von Verletzungen ab.

Schlaflose Nächte wird Gareth Southgate in dieser Woche trotzdem nicht durchgemacht haben. Den Fokus legt er als Trainer der Engländer ohnehin nicht auf große Namen, sondern auf Entwicklung, Nachwuchs und Talente. Das ist heute der Zeitgeist im englischen Fußball. Nach Jahrzehnten von Versagen und Enttäuschung setzt man nun alles auf die Jugend. Gerade nach den WM-Triumphen der U-17- und U-20-Mannschaften meint man, den richtigen Weg und in Southgate, der von 2013 bis 2016 die U-21-Mannschaft betreute, den passenden Trainer gefunden zu haben.

Anders als viele seiner Vorgänger hat Southgate keine Angst, vermeintliche Stars aus dem Kader zu streichen, sei es für eine Länderspielpause oder auf Dauer. So wurden Spieler wie Alex Oxlade-Chamberlain, Daniel Sturridge und Chris Smalling schon von vornherein nicht für den Kader berücksichtigt. Stattdessen wurden mögliche Debütanten wie Tammy Abrahams, Joe Gomez und Ruben Loftus-Cheek nominiert.

„So muss es auch sein,“ sagte Mittelfeldspieler Eric Dier am Mittwoch. „Für dein Land zu spielen, muss etwas Besonderes sein. Man darf nicht denken, dass man im Kader sein muss, nur weil man früher X oder Y gemacht hat.“ Zumal sich die Nachwuchsarbeit im englischen Fußball auszahlt. Im Juni wurde U-20-Kapitän Lewis Cook der erste Engländer seit 1966, der einen WM-Pokal in die Luft stemmen durfte. Vor zwei Wochen wurde die U 17 ebenso Weltmeister.

"England rüstet bei der Ausbildung unglaublich auf"

Die Erfolge sind auch in Deutschland aufmerksam registriert worden. „Die Engländer rüsten unglaublich auf in ihrer Ausbildung“, sagte Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Und Abwehrspieler Niklas Süle meinte: „Sie haben wie wir super Spieler in der Hinterhand.“ Ein Grund dafür liegt auch im 2012 eröffneten Leistungszentrum St. George’s Park. Nach dem Modell des französischen Clarefontaines wird die Arbeit aller Nationalmannschaften hier aufeinander abgestimmt.

Was Einstellung und Selbstwahrnehmung im englischen Fußball angeht, stellt der St. George’s Park eine ideologische Revolution dar. Seit der Eröffnung haben fast 1500 Trainer hier an Uefa-Kursen teilgenommen. Zudem soll dank des neuen Zentrums die Kommunikation zwischen Verband und Vereinen erheblich erleichtert werden. Gerade mit den Vereinen hatte der englische Fußball immer ein Riesenproblem. In einer von Geld durchtränkten Liga gibt es bei den meisten Klubs kaum Platz für junge Talente, zumindest in der ersten Mannschaft. Vor allem der FC Chelsea ist dafür bekannt, junge Spieler auszubilden, ohne sie dann in der ersten Mannschaft einzusetzen. Die für Freitag nominierten Loftus-Cheek und Abrahams sind dafür nur zwei Beispiele.

Viele junge Engländer suchen deshalb anderswo ihr Glück, zum Beispiel in der Bundesliga. Doch auch für Jadon Sancho oder Kaylen Hinds reicht es aktuell in Dortmund oder Wolfsburg meist nur für die Bank. Eine Revolution muss aber nicht blitzschnell erfolgen. Sogar in der Premier League wächst der Glaube, auch mit jungen, einheimischen Spielern Erfolg haben zu können.

Und auch Nationaltrainer Southgate gibt jungen Talenten immer öfter in der Auswahl Einsatzmöglichkeiten, zuletzt gegen Litauen beispielsweise dem 21-jährigen Harry Winks. Der Mittelfeldspieler glänzte. Wenige Wochen später war er Tottenhams bester Spieler beim 3:1-Sieg über Real Madrid.

„Wir wissen nicht, was diese Spieler auf höchsten Niveau leisten können, bis wir ihnen diese Möglichkeit geben“, sagte Southgate in diese Woche. „Das haben wir mit Winks gegen Litauen gesehen.“

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