zum Hauptinhalt

Sport: Vorfahrt für 2006

Nach dem Verlust des WM-Titels in der Formel 1 hat die neue Saison bei Ferrari praktisch schon begonnen

Wer Michael Schumacher in diesen Tagen nach seinem sehnlichsten Wunsch fragt, wird eine ungewöhnliche Antwort erhalten. „Regen!“, sagt der siebenmalige Formel-1-Weltmeister und Multimillionär bestimmt, dann fügt er ungefragt hinzu: „Ich hoffe nicht nur darauf, ich bete dafür.“ Sechsmal hat Michael Schumacher schon auf der Strecke von Spa- Francorchamps gewonnen – so oft wie niemand sonst. Doch vierzehn Jahre, nachdem hier seine einzigartige Karriere begann, hat er beim Rennen am Sonntag (14 Uhr, live bei RTL und Premiere) nur dann überhaupt eine Siegchance, wenn seine Gebete erhört werden und Wassertropfen vom Himmel fallen. Vorausgesetzt, die Bridgestone-Reifen an seinem Ferrari erweisen sich dann im Nassen wie erhofft als konkurrenzfähig.

Die Fahreigenschaften der japanischen Reifen auf trockenem Asphalt haben jedenfalls einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass sich Schumacher seit dem Großen Preis von Italien in der vergangenen Woche erstmals seit fünf Jahren nicht mehr Weltmeister nennen kann. Bei normalen Bedingungen würde er sich den Streit um seine Nachfolge zwischen dem Spanier Fernando Alonso und dem Finnen Kimi Räikkönen auf seiner erklärten Lieblingsstrecke nicht einmal aus der Nähe ansehen können. Der Titel ist uneinholbar entrückt, doch es irrt, wer glaubt, dass Schumacher an den verbleibenden vier Rennsonntagen der Saison ausgedehnte Spazierfahrten unternehmen wird. „Wir arbeiten sehr hart daran, in diesem Jahr noch den Anschluss zu schaffen“, sagt der 36-Jährige. „Das könnte sehr wichtig für 2006 sein.“ Die Situation sei eine wahnsinnige Herausforderung. „In der Vergangenheit haben es kaum Teams geschafft, nach einem schwachen Jahr direkt zurückzukommen. Genau das wollen wir aber“, sagt Schumacher. Er fügt hinzu: „Wir wollen den Titel unbedingt zurück.“ Er freue sich schon jetzt auf die Wintertests, da gehe es wieder bei null los. „Ich kann nur sagen, dass ich immer noch verdammt geil bin auf Siege – wenn ich das mal so sagen darf.“

2006 – diese Ziffernkombination bildet bei Ferrari den internen Code für ein Unternehmen, das den Rennstall in bessere Zeiten führen soll. Während die Konkurrenten Renault und McLaren-Mercedes ihre Ressourcen noch in den diesjährigen Titelkampf stecken, wird bei Ferrari schon seit Mitte August auf der hauseigenen Versuchsstrecke in Fiorano der gemäß dem neuen Reglement entwickelte V8-Motor getestet. Auch die Aerodynamiker des Teams und die Chassisdesigner um Chefzeichner Rory Byrne arbeiten laut Ferraris Technischem Direktor Ross Brawn bereits „zu 100 Prozent“ am neuen Auto. „Unsere Prioritäten haben sich verschoben“, sagt Schumacher, und Brawn präzisiert: „Wann immer eine 50:50-Situation auftaucht, sage ich: Das nächste Jahr hat Vorrang.“ Vorfahrt für 2006 also – da verwundert es, dass Ferrari überhaupt genügend Mitarbeiter an die Rennstrecke von Spa-Francorchamps gebracht hat, die sich um den widerborstigen F2005 kümmern sollen. Aber nur auf den ersten Blick, denn die Erfolgschancen der Mission 2006 würden sich beträchtlich erhöhen, wenn diese Saison noch zu einem erträglichen Ende finden würde.

Die verbleibenden vier Rennen bieten dem von allen Titelambitionen befreiten Team die Möglichkeit, das zu bewältigen, was Ross Brawn eine „klassische Ingenieursaufgabe“ nennt: den Zugang zu einem Auto zu finden, das seinen Schöpfern immer ein Rätsel geblieben ist. „Wir müssen diese Saison verstehen“, sagt Brawn, „wir müssen verstehen, warum wir einige Rennen mithalten können und dann wieder so ein furchtbares Resultat wie zuletzt in der Türkei abliefern.“ Denn Rennautos bauen habe nichts mit Magie zu tun, sondern mit rationalen und logischen Vorgehensweisen. Brawn: „Wir müssen unsere Probleme aussortieren. Das ist ein langwieriger Prozess, aber zumindest können wir schon einmal die Fahrer ausschließen.“

Was aber, wenn es gar kein Problem, keinen Fehler gibt? Was, wenn auch Schumacher und Brawn nur den Gesetzmäßigkeiten der klassischen Formel-1-Wellenbewegung ausgeliefert sind, die unweigerlich zurück ins Tal führt, wenn der technische Vorsprung aufgebraucht ist? Ferrari kennt diese Situation, denn bevor das Titelsammeln im Jahr 2000 begann, befand sich der Rennstall mehr als zwei Jahrzehnte im Tal. „Prinzipiell darf man in dieser Hinsicht Sorge haben“, gibt Michael Schumacher zu. „Aber wir hoffen halt, dass wir das hinbekommen und die Ausschweifungen dieser Welle ein wenig kürzer gestalten können.“

Ans Aufhören denkt Schumacher gerade deshalb jedenfalls noch lange nicht. „Warum sollte ich aufhören? Ich habe noch riesigen Spaß, und ich fühle mich superfit. Ich bin 36, aber beim Fußball laufe ich immer noch alle in Grund und Boden. Da kann ich doch nicht aufhören“, sagt er.

Christian Hönicke[Spa]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false