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Sport: Vorturner Ribbeck übt den kleinen Spagat

JACKSONVILLE .Als der Name Berti Vogts zum drittenmal fiel, platzte Andreas Möller der Kragen.

JACKSONVILLE .Als der Name Berti Vogts zum drittenmal fiel, platzte Andreas Möller der Kragen.Ohne Rücksicht darauf, daß der Reporter im gleichen Stadtteil aufgewachsen ist wie der Frankfurter Fußball-Bub Andi."Für was unterhalten wir uns hier eigentlich", herrschte Möller den Fragesteller an, "machen wir hier Vergangenheitsbewältigung oder was?"

Dabei hatte Teamchef Erich Ribbeck den Medienvertretern tags zuvor noch Unterhaltungen mit Andreas Möller dringend ans Herz gelegt.Der sei jetzt 30 und nicht mehr länger 23 oder 24 Jahre alt, sprich, er sei erwachsen geworden.Pardon, Herr Bundestrainer, der Dortmunder Spielmacher steuert bereits seinem 32.Geburtstag entgegen.Und so, wie er sich nun in Amelia Island aufführte, bestätigte das größte Talent, aber auch der größte Problemfall aus der Weltmeister-Generation von 1990 wieder einmal alle Vorurteile: Einmal Heintje, immer Heintje.So tauften ihn seine Kritiker.Oder noch schlimmer "Weichei".

Plötzlich aber ist dieser Möller, den Vogts schon verabschiedet hatte als endgültigen Versager nach vier verpatzten EM und WM zur Symbolfigur der neuen Ära geworden.Eine seiner vier, fünf Korsettstangen nennt Ribbeck den 83maligen Internationalen.Der müßte sich schon ein Bein brechen, um seinen Stammplatz zu verlieren.Und artig erwidert der solchermaßen Hofierte die Komplimente vom Chef.Der habe ihm das Gefühl vermittelt, ein ganz wichtiger Mann zu sein, einen, den er brauche, so Möller.Und überhaupt: "Jetzt herrscht hier ein ganz anderer Wind, eine ganz andere Atmosphäre".

Doch was nun anders geworden ist unter den Chefs Ribbeck und Stielike, das will und kann Andreas Möller nicht näher erklären.Es macht ihm zwar zu schaffen, Emotionen brodeln in ihm.Doch nicht nur Möller, fast alle andern tun so, als hätte es die Jahre zwischen Juli 1990 und September 1998 im deutschen Fußball nicht gegeben."Es steht uns nicht zu, Ferndiagnosen über die WM in Frankreich zu machen", sagt Ribbeck, "wir wollen die Sache optimistisch angehen".

Nur: Wie lernt man aus Fehlern, wenn man die Historie schlichtweg negiert? Läßt sich die neue Zeitrechnung beim DFB allein mit den vielen fröhlichen Gesichtern begründen? Daß sich Profis im Trainingscamp mit Kindern beschäftigen sei ja nicht selbstverständlich, erklärt Erich Ribbeck.Aber auch er hat, wie die Verantwortlichen vom DFB und Mercedes-Chrysler, festgestellt, daß die Bundesligaprofis bei der "Soccer-Clinic", einem vom Hauptsponsor initierten gemeinsamen Training mit 60 amerikanischen Jungen und Mädchen, "richtig Spaß gehabt haben".Mit Ausnahme von Möller, der, vielleicht auch gehandicapt durch die Sprachbarriere, während der lustigen Übungstunde abseits der US-Kids lieber die DFB-Novizen Bernd Schneider und Marco Reich in Nationalmannschaftskunde unterrichtete.Was steckt wirklich hinter den netten Impressionen vom "Piratenfeld", wie der Trainingsplatz auf der Fernandina Beach Highschool offiziell tituliert wird? Manchmal blitzt die Nervosität des Teamchefs auf, wenn selbst der gewiefte PR-Experte Ribbeck mit seinen Formulierungen nicht länger glücklich wirkt.

Es gehöre zu ihrem Konzept, daß man jetzt eine Handschrift erkenne, sagt er.Und schränkt im gleichen Atemzug ein: "Das ist wohl etwas großkotzig gesprochen".

Nein, es ist kein leichter Job und alles andere als ein ganz normales Trainingslager.Nach dem mißratenen Einstand am Bosporus und den sportlichen Offenbarungseiden in Moldawien und gegen Holland schaut Fernseh-Deutschland dem letzten Rest seiner Europameister ziemlich kritisch auf die Füße.Teamchef Ribbeck weiß, daß die beiden Freundschaftspiele gegen die neuformierten und stark verjüngten Teams von USA und Kolumbien nicht unbedingt mit den Lernzielen des taktischen Fortbildungslehrgangs übereinstimmen."Wir proben hier einen kleinen Spagat", sagt er, "wir müssen gut aussehen, wir können uns keinen Ausraster leisten, dafür sind die Einschaltquoten zu hoch".

MARTIN HÄGELE

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