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Sport: Wackeln macht stabil

Von Michael Rosentritt Kaprun. Carsten Schünemann unterhält eine besondere Beziehung.

Von Michael Rosentritt

Kaprun. Carsten Schünemann unterhält eine besondere Beziehung. Wenn er von seinem Posturomed erzählt, bekommen seine Augen diesen speziellen Glanz, wie man ihn sonst nur bei Verliebten sieht. Und wenn er dieses Posturomed beschreibt, zeichnet er mit seinen Händen geheimnisvolle Kurven in die Luft, wie man sie sonst nur – aber lassen wir das. Ein Posturomed ist ein Wackelbrett. Und Schünemann ist kein Beziehungsberater, sondern neuer Konditions- und Rehabilitationstrainer von Hertha BSC.

Mittlerweile haben alle Spieler von Hertha ihre Bekanntschaft mit Schünemanns Wackelbrett gemacht. Wenn man auf das Brett steigt, sollte man möglichst still stehen, sodass es nicht wackelt. Das Brett ist nämlich so empfindlich gelagert, dass es nach allen Seiten kippelt. Bei dem einen ein bisschen mehr, beim anderen etwas weniger. Und um dieses weniger geht es. Schünemann hat das Wackelbrett mit kleinen elektronischen Fühlern versehen. Anhand der Ausschläge, die das Gerät anzeigt, kann die koordinative Begabung der Spieler bestimmt werden. Bei einem Spieler, bei dem das Brett wenig wackelt ist davon auszugehen, dass bei ihm das Zusammenspiel „von Muskulatur und Nervreizleitung gut funktioniert“, erklärt Schünemann. Dieser Spieler „ist stabiler, weniger verletzungsanfällig und wird eine höhere Spielleistung bringen“. Dieser Zusammenhang ist so neu nicht, das Wackelbrett macht ihn jetzt aber messbar. Und Hertha braucht messbare Entwicklung.

Deswegen hat jetzt der Verein für Schünemann eine Stelle geschaffen. Eine Stelle direkt an der Mannschaft. Zehn Jahre hat er am Sportmedizinischen Institut der Universität Paderborn verbracht. Und zwischendrin eine Vielzahl von Bundesliga-Vereinen betreut. Damit ist jetzt Schluss. Der 33-Jährige sucht eine neue Herausforderung. „Jetzt kann ich mich mal komplett um eine Mannschaft kümmern, die Belastungen über einen langen Zeitraum analysieren und steuern." Schünemanns Arbeitsfeld sind die Grenzbereiche. „Von der Physis her sind die Fußballprofis fast ausgereizt. Das ist wie bei einem Stabhochspringer, der schon sechs Meter gesprungen ist. Aber dieser eine Zentimeter mehr, der tut so weh.“

Er kennt das Training der Skilangläufer und Ruderer. In Ballsportarten seien die Anforderungen aber viel komplexer. Schünemann sagt: „Wir wollen niemanden seiner Stärken berauben, etwa aus einem Sprinter ein Konditionswunder machen. Vielmehr heben wir die Stärken des Einzelnen an und arbeiten an den Schwächen.“ Derzeit, da es im Trainingslager unter dem neuen Trainer Huub Stevens um die Stammplätze geht, müsse er einige Spieler eher zügeln. „Die sind heiß. Wie Rennpferde.“ Dabei geht es mit der Bundesliga erst in gut drei Wochen los. „Vielleicht schaffen wir es, dass die Spieler in der letzten Viertelstunde eines Spiels noch einmal zulegen können“, sagt Schünemann. Doch verbessert wird auch die richtige Entlastung. Das werde heute noch oft unterschätzt.

Schünemann kann fast alles in Zahlen, Fakten und Daten kleiden. Seine Werte schwindeln nicht. Und das spüren die Spieler. „Sie haben begriffen, um was es geht. Wenn wir in ein paar Wochen anhand von neuen Zahlen leichte Fortschritte attestieren können, werden sie Gefallen daran finden.“ Vorbei sind die Zeiten, da in der Fußball-Bundesliga Kopfschütteln einsetzte, wenn die Sprache auf Spezialisten wie Schünemann kam. Mittlerweile wird begriffen, dass Spezialwissen in Sachen Kondition und Rehabilitation sehr wertvoll ist. In diesen Bereichen liegen noch Reserven, sind vielleicht noch Vorsprünge gegenüber der Konkurrenz zu erzielen.

Schünemann sieht seine Arbeit bescheiden. „Das ist ein Mosaikstein“, sagt der Konditionstrainer, „nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

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