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Aufmerksamkeitsweltmeister ohne Aufmerksamkeit. Michael Schumacher fand sich irgendwann allein auf weiter Strecke und freiem Feld wieder. Nun hören er auf und leidet daran.

© picture alliance / dpa

Wann ist die Karriere zu Ende?: Im Wartezimmer der Würde

Michael Schumacher und Michael Ballack haben ihren Abschied von der großen Bühne des Sports verbaselt – nun besuchen sie einen Therapeuten fürs Karriereende. Eine Sprechstunde.

Große Stars haben viele Berater. Berater für Werbeverträge, Medienpräsenz, Imagepflege, Kapitalanlagen, Benefiz und für den Transfermarkt, was aber offenbar fehlt, ist der Berater für den Abschied, für ein Karriereende in Würde. Wenn man sich ein Sprechzimmer bei solch einem Berater vorstellen würde: Es wäre derzeit gut besetzt. Michael Ballack säße da, Michael Schumacher neben Kurt Beck, dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten. Ab und zu ginge die Tür auf und Thomas Gottschalk würde kurz im Wartezimmer Platz nehmen. „Dauert das noch lange?“, würde Gottschalk vielleicht Beck fragen, und Ballack würde sagen: „Wulff ist immer noch drin.“

So ein beratender Therapeut für das Karriereende-in-Würde wäre eine Marktlücke – und ein Job, der dem Rest der Gesellschaft einiges ersparen könnte. Wie therapiert man Menschen, die aufgrund einer singulären (manchmal sinnlosen) Eigenschaft oder durch Macht eines Amtes zu Stars hochgezüchtet wurden? Wie bringt man sie am Ende wieder runter?

Wenn sich der Therapeut die Akten seiner Klienten Ballack & Schumacher anschauen würde, die nun glauben, ihre Karriere für beendet erklärt zu haben, sähe er auf imposante Fakten. In der Schumacher-Akte: „Beruf Rennfahrer. 7 Mal Weltmeister! Folgen: Weltsportler mehrerer Jahre, Goldene Kamera, Goldenes Lenkrad, Bambi, Offizier der Ehrenlegion, Einkommen pro Tag 97 561 Euro, Schauspieler für Kinofilme, Werbeverträge für 6 Millionen Euro pro Jahr. Versuchter Rücktritt in Würde 2006. Klägliche Comebackversuche von 2010 bis 2012. Ablösung bei Mercedes durch Hamilton.“

Die Karriere von Michael Schumacher in Bildern

Die Ballack-Akte wäre ähnlich: „Beruf Fußballer. Die Folgen: Der Capitano! Deutscher und Englischer Meister und Pokalsieger, torgefährlichster deutscher Mittelfeldspieler aller Zeiten, bester Spieler der WM 2002, mehrere Berufungen ins Fifa-All-Star-Team, Bambi, offizielle Benennung eines Planetoiden mit dem Namen „Ballack“, Werbeverträge für 6 Millionen Euro jährlich. 2010 aussortiert beim FC Chelsea. 2011 aussortiert aus der Nationalmannschaft. 2012 aussortiert bei Bayer Leverkusen.“

Eine Spiegeltherapie für Ballack und Schumacher

Vermutlich würde der Therapeut auf die Idee kommen, mit Ballack & Schumacher eine Art „Spiegeltherapie“ zu machen, denn beide waren lange unangefochten. Und beide waren die größten deutschen Werbeträger, in allen Bereichen des Lebens, vom Mineralwasser über die Haarpflege und den Bausparvertrag bis zur Pauschalreise. Wer so himmelhoch über allem stand und sich auserwählt für das ganze Land halten musste, der ließ es natürlich andere spüren: Oft fuhr Schumacher mit seinem Ferrari so, als gehöre ihm die Rennstrecke alleine; er bremste später als alle anderen, blockierte andere Fahrzeuge und wenn sie schneller waren als er, rammte er sie. Ebenso Ballack. Er war der Anführer; wer sich nicht unterordnete, wurde ebenfalls blockiert, gerammt. Und dabei bremste auch Ballack nie. Sinnbildlich war sein wichtiges Freistoßtor 2008 bei der EM gegen Österreich mit 120 Stundenkilometern ins rechte obere Eck, das Trainer Joachim Löw den Kopf rettete.

„Und dann schmeißt mich so ein Jogi einfach aus meiner Nationalmannschaft??!“, würde Ballack durchs Sprechzimmer des Therapeuten brüllen, so dass sogar Kurt Beck im Wartezimmer aufschrecken würde. „Ein badischer Co-Trainer, aus dem nie etwas geworden wäre, wenn ihn nicht Klinsmann aus dem Schwarzwald geholt hätte?!“, würde Ballack weiterbrüllen. „Und der kickt einen Ballack raus, nach dem Sternwarten ihre Planeten benennen!?“

Bei der Spiegeltherapie wäre Schumacher Ballack wohl schon bei den „Planeten“ ins Wort gefallen. „Ich bin Offizier der Ehrenlegion und erfolgreichster Deutscher neben Bismarck und dem Papst! Mir setzt man keinen Hamilton vor!!“

Nun würde die Tür des Sprechzimmers aufgehen und Gottschalk ungeduldig fragen: „Wann bin ich dran?? Warum ist Dieter Bohlen nicht totzukriegen?? Kennen Sie diesen schrecklichen Lanz?!“

Aufmerksamkeitsweltmeistern und Aufmerksamkeitskapitalisten

Mit solchen Patienten muss man vorsichtig umgehen. Früher, berichtete der Filmregisseur Jean-Luc Godard, durfte nicht auf der Straße gedreht werden, nur weil jemand, der da gerade vorbeiging, einen hinterher hätte verklagen können mit der Begründung, man habe kein Recht, ihn zu zeigen. So etwas kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Heute wimmelt es nur so von kleineren und größeren Aufmerksamkeitsamateuren und Aufmerksamkeitsmeistern, aber im Falle der Patienten Schumacher & Ballack kann man von Aufmerksamkeitsweltmeistern oder Aufmerksamkeitskapitalisten sprechen, denn keine deutschen Sportler (außer Boris Becker oder Henry Maske) konnten ihre eigentlich nebensächliche Disziplin so kapitalisieren und zur beeindruckenden Macht ausbauen.

Die Karriere von Michael Ballack in Bildern

Ja, Macht! Der Therapeut würde nun in eine erweitere Spiegeltherapie gehen und ihnen eine DVD vorführen mit der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005: Gerhard Schröder im Gespräch mit Angela Merkel, Guido Westerwelle und Edmund Stoiber. Die Union hatte unerwartet miserabel abgeschnitten und die SPD noch miserabler, aber nicht so miserabel, wie man es vorausgesagt hatte, der Kanzler hatte auf den letzten Metern mächtig aufgeholt. Allein daraus leitete Schröder seinen Anspruch auf eine weitere Kanzlerschaft ab und legte einen irrsinnigen Auftritt hin. Er rammte und blockierte wie Schumacher und ballerte mit 120 km/h wie Ballack, so dass Westerwelle fragte, was er denn genommen habe.

Ballack würde sich sofort mit Schröder identifizieren

Der Therapeut würde nun natürlich seine Patienten fragen, wie ihnen die Elefantenrunde gefallen habe. Ballack würde sich sofort mit Schröder identifizieren und wieder durchs Sprechzimmer schreien, dass die Merkel ihm vorkomme wie Philipp Lahm! Natürlich müsste nun der Therapeut daran arbeiten, dass seine beiden Patienten anhand dieses wahnsinnigen Videos erkennen, dass Schröder zwar keine illegalen Drogen genommen hat, wie Westerwelle vermutete, sondern eine leider allzu legale, jahrelange Überdosis an Aufmerksamkeit, die ihn zum unangefochtenen Medienkanzler hatte werden lassen mit gefühltem Machtanspruch. Aber dieser Machtanspruch sei eben nur gefühlt, nicht wirklich!

Reaktionen zum Karriereende von Michael Ballack

Der Therapeut würde ihnen sogar deutlich machen wollen, dass Schröder in seinem rammenden und ballernden Basta-Stil ein Auslaufmodell einer alten Zeit geworden war. Eine Merkel, ein Philipp Lahm, der Ballack als Kapitän der Nationalmannschaft ablöste, vermutlich sogar ein Hamilton: sie alle agieren technokratischer, leiser, fast stumm und mit deutlich weniger Benzinverbrauch.

So einen Führungsstil würden unsere Patienten weit von sich weisen, aber der Therapeut würde ihnen nun klipp und klar sagen müssen, dass diese absurden Runden auf der Rennstrecke als Abgeschlagener, dass das ewige Hickhack, ob der Aufmerksamkeitsweltmeister nun spielen muss oder nicht – dass das alles eine einzige endlose Elefantenrunde war.

Kann den Patienten am Ende geholfen werden? Wie soll man ihnen denn nun die Würde vermitteln? Ihnen sagen, dass ihr Leben bisher gar kein Leben war?

Lothar Matthäus hat mal gesagt, „dass das alles hochsterilisiert wurde“ und er meinte natürlich „hochstilisiert“. Matthäus hatte aber recht. Sind nicht solche Aufmerksamkeitsweltmeister am Ende so hochsterilisiert, dass es unmöglich ist, sie ins Leben zurückzuführen?

Irgendwann nun würde wieder die Sprechzimmertür aufgehen, Karl Theodor zu Guttenberg seinen Scheitel auf die andere Seite kämmen und sein Comeback verkünden.

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