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Der Adler ist gelandet. Carson Wentz hat voll eingeschlagen.

© dpa/Maury

Warmup! Die NFL-Kolumne zum Football-Wochenende: Willkommen in Wentzylvania

Quarterback-Neuling Carson Wentz von den Philadelphia Eagles ist die Sensation der laufenden NFL-Saison.

Wortspiele können sie einfach, die Amerikaner, ganz besonders in ihren liebsten Sportarten. Als der Basketballer Jeremy vor einigen Jahren so phänomenal im Trikot der New York Knicks aufspielte, als steuere ihn eine höhere Macht, fand die Medienlandschaft in der US-Metropole schnell einen Begriff für ihn: Linsanity. Zu Deutsch etwa: Wahnlin. Wenig später wurde sogar der Football-Super-Bowl umbenannt, in dem sich die Brüder Jim, damals Cheftrainer der San Francisco 49ers, und John Harbaugh, Trainer der Baltimore Ravens, gegenüberstanden: Das Finale ging unter dem Namen „Har Bowl“ in die Geschichte ein.

Was einst Linsanity und der Har Bowl waren, ist im Moment: Wentzylvania. Der Begriff kombiniert den Namen von Carson Wentz mit dem Bundesstaat, in dem die Geschichte spielt: in Pennsylvania, wo die Philadelphia Eagles beheimatet sind. Bei den Eagles handelt es sich um eine traditionsreiche Franchise, die im Gegensatz zu anderen großen Klubs nie umgezogen ist und weit über die Stadtgrenzen hinaus Popularität genießt. So groß wie der Rückhalt in der Bevölkerung ist, so überschaubar waren vor der Saison allerdings auch die Aussichten auf eine halbwegs erfolgreiche Saison. Unter den einschlägigen NFL-Analysten herrschte Konsens darüber, dass die Eagles vielleicht zwei, vielleicht auch drei Spiele gewinnen würden, auf keinen Fall mehr.

Ein besonders boshafter Fan mit der Figur Reiner Calmunds erlangte zudem einige Berühmheit durch ein Wohnzimmer-Video, in dem er über die Personalpolitik seines Herzensklubs lästerte und dabei dutzendfach das böse F-Wort gebrauchte. Mehr als eine Million Menschen haben sich den Youtube-Clip mittlerweile angesehen.

Dann kam Carson Wentz und stellte alle Prognosen auf den Kopf. Der 23-Jährige spielte überragend und nahezu fehlerfrei, und vier Wochen nach dem Saisonstart ist Philadelphia eines von nur drei ungeschlagenen NFL-Teams. Am Sonntag können die Eagles ihre Siegesserie gegen die Detroit Lions sogar auf 4:0 ausbauen, und dann hätten sie die Statistik auf ihrer Seite: NFL-Teams, die mit einer 4:0-Bilanz in die Saison gestartet sind, haben in fast 90 Prozent der Fälle auch die Play-offs erreicht.

Carson Wentz hat sie in seiner ersten Profi-Saison alle Lügen gestraft, die ganzen Pessimisten und Nörgler

Die Eagles also quasi sicher in der K.o.-Runde? Bis vor kurzem klang das in etwa so realistisch wie eine Champions-League-Teilnahme des FC Ingolstadt. „Wenn man eine Weile in der Liga ist, kann man gut einschätzen, ob man über ein gutes Team verfügt“, sagt Jason Kelce, der Center der Eagles, „und ich glaube, wir wurden vor allem von der Presse unterschätzt. So sind wir am besten: Wenn niemand etwas von uns erwartet.“

Auf Wentz trifft das mit der Erwartungshaltung nicht unbedingt zu. Um sich bei der alljährlichen Talentziehung (Draft) die Dienste des 23-Jährigen zu sichern, haben sie in Philadelphia fünf sogenannte Draft-Picks an andere Klubs abgegeben. Das ist so unüblich nicht, fand aber im Falle von Wentz und den Eagles heftigen Widerspruch in der Öffentlichkeit. Viele Experten zweifelten an der Zurechnungsfähigkeit der Entscheidungsträger und warfen dem Klub vor, seine Zukunft für einen Quarterback geopfert zu haben, der bis dahin keine große Nummer war. Man muss dazu wissen, dass Carson Wentz vor seinem Wechsel in die NFL für die North Dakota State University gespielt hat, und die zählt – im Gegensatz etwa zu den Colleges in Michigan, Auburn und Austin (Texas) – nicht zu den bekannten Ausbildungsstätten für NFL-Stars von morgen.

Egal, Carson Wentz hat sie in seiner ersten Profi-Saison alle Lügen gestraft, die ganzen Pessimisten und Nörgler. Und aller skeptischen Prognosen zum Trotz hat er bereits einen NFL-Rekord aufgestellt: Von seinen ersten 102 Passversuchen ist kein einziger für eine Interception abgefangen worden, das ist vor ihm noch keinem Rookie gelungen. „Carson war unser beständigster Mann in den ersten drei Spielen“, sagt Jason Kelce, „er hat uns auf ein ganz anderes Niveau gehoben.“

Nebenher ist Wentz so amerikanisch, dass ihn längst auch Sympathiebekundungen von außerhalb Philadelphias erreichen, trotz seines für Profi-Sportler eigenwilliges Hobbys. Das spielfreie Wochenende hat Wentz auf der Jagd verbracht.

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