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© [M] dpa,ddp,AFP

Warum der Fussball so öde ist: Laaaaaaaaaaaaangweilig!

Jedes Jahr die gleiche Show: Ein paar reiche Top-Teams spielen um die Trophäen, der Rest schaut staunend zu. Champions League und TV-Geld nehmen dem Fußball die Spannung. Ein Manifest von Christian Hönicke. Diskutieren Sie mit!

Machen wir uns nichts vor: Fußball ist öde. Zumindest hier in Europa ist er zu einer durchschaubaren Show mit den immer gleichen Hauptdarstellern verkommen, die sich von Saison zu Saison nur minimal verändert.

Stimmt doch gar nicht?

Na, dann schauen wir mal in die führenden Fußballländer des Kontinents: In Spanien fokussiert sich das Interesse seit Jahrzehnten auf Real Madrid und den FC Barcelona, der Rest ist nur Staffage. In Frankreich räumt Olympique Lyon seit 2002 Titel auf Titel ab. In Italien sind einige Spitzenteams inzwischen so weit enteilt, dass die Zuschauerzahlen dramatisch gefallen sind. Und in England täuscht die gern verwendete Bezeichnung „Beste Liga der Welt“ darüber hinweg, dass seit Gründung der Premier League vor 17 Jahren lediglich vier verschiedene Teams Meister wurden. Die Bundesliga zählt da noch zu den spannendsten Ligen in Europa, aber auch hier dominiert mit Bayern München ein Serienmeister.

Schuld an der Langeweile ist – natürlich – das Geld. Zumindest eine Teilschuld haben aber auch die Fans.

Der Profisport in Europa ist an einem Punkt angekommen, an dem er sich durch seine Liberalisierung selbst bedroht. Längst ist aus dem Kampf von Sportmannschaften ein Kampf der Wirtschaftssysteme geworden. Das wäre nicht so schlimm, wenn die Bedingungen für alle einigermaßen gleich wären. Im europäischen Klubfußball hat sich jedoch eine Ausreißergruppe etabliert, die sich noch immer weiter absetzen darf, weil sie von allen Seiten gepusht wird. Nur noch mithilfe eines wundersamen Investors oder eines unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risikos lässt sich in diese Phalanx einbrechen, nicht mehr mit seriöser, langfristiger Trainingsarbeit. Das führt die Idee des Sports ad absurdum.

Neun ihrer 20 Bundesliga-Titel holten die Bayern nach der Einführung der Champions League
 
Fürsorglich gepäppelt werden diese Platzhirsche vor allem vom Fernsehen und der Uefa. Der Europäische Fußballverband wirft den Teilnehmern seiner Champions League so viel Geld hinterher, dass diese in ihren nationalen Ligen einen deutlichen Vorteil haben, sich abermals für die Geldvermehrungsmaschine zu qualifizieren. Wie ist es sonst zu erklären, dass die Münchner neun ihrer bislang 20 Bundesliga-Meisterschaften in der kurzen Zeitspanne nach Einführung der Champions League 1992 holten? Die Champions League bringt zudem nicht nur Geld, sie ist auch ein wichtiges Argument bei der Verpflichtung von Star kickern, die global scheinen wollen.

Als wäre das nicht schon genug, profitieren genau diese Mannschaften auch noch von der bisweilen unfassbar einseitigen Verteilung des Gelds aus den Fernsehverträgen der nationalen Ligen. Sie erhalten „so viel Geld, dass andere Vereine diesen Nachteil nie wieder ausgleichen können“, wie Heribert Bruchhagen von Eintracht Frankfurt unlängst in der „Welt“ sagte. 1992 habe der Unterschied zwischen den Etats von Bayern und Eintracht Frankfurt 40 Prozent betragen, heute seien es 400 Prozent. Bruchhagen rechnet vor: Ein Budget von 25,6 Millionen Euro gegen 151 Millionen Euro, „wie sollen wir da konkurrenzfähig sein?“

Natürlich sollte Leistung belohnt und nicht bestraft werden, und es spricht auch nichts dagegen, dass ein Verein aufgrund seiner Erfolge ein Polster erwirtschaftet. Allerdings muss die Belohnung überschaubar sein und darf nicht wie jetzt zur völligen Wettbewerbsverzerrung oder dem Schaffen absoluter Sonderstellungen führen, wie sie in Deutschland eben Bayern München innehat.

Der FC Bayern mag als Rekordmeister eine gewisse emotionale Zusatzbedeutung für den deutschen Fußball haben, im Endeffekt aber ist er auch nur einer von 18 Darstellern der Zirkusshow Bundesliga. Im Gegenteil, eine solche Show tut gut daran, sich nicht von einem Protagonisten abhängig zu machen, sondern mehrere Attraktionen zu haben und für einen ständigen Wechsel zu sorgen, um die Vorstellung frisch und interessant zu halten. Das wissen die Bayern selbst nur viel zu gut: In Europa sind sie nämlich eine Art Frankfurt. Dort kämpfen sie mit stumpfen Waffen, weil die großen Klubs aus anderen Ländern viel mehr Geld für viel bessere Spieler ausgeben können. Und siehe da: Während sie in der Bundesliga weiter das Gros der Fernsehmillionen für sich beanspruchen, fordern die Bayern für den Europacup gleiche Bedingungen für alle und schlagen eine Gehaltsobergrenze vor.

Den Fans der kleinen Vereine bleibt nur noch eine Nische: die Vergangenheit

An diesen offenkundigen Missständen sind Fans und Zuschauer nicht ganz unschuldig. Eigentlich müssten sie die vorhersehbaren Vorstellungen des Profifußballs mit Desinteresse strafen und die Verantwortlichen so dazu zwingen, ihre absurde Logik zu überdenken. Doch obwohl die Verlierer des ungleichen Schauspiels weit in der Überzahl sind, bleibt eine Revolte aus. Stattdessen nehmen die meisten Fans das derzeitige System in einem Zustand ohnmächtiger Traditionsgläubigkeit als etwas Gottgegebenes hin, obwohl es verhindert, dass ihre Mannschaft unter normalen Umständen jemals wieder eine realistische Titelchance haben wird. Sie flüchten sich lieber in die einzige Nische, die ihrer aussichtslosen Leidenschaft überhaupt Sinn verleiht: die Vergangenheit. Und hoffen auf die wenigen glücklichen Momente, in denen der Zufall zuschlägt und sie zum Sieg gegen einen Großen führt.

Alles, was über solche Ausrutscher hinausgeht, Dynastien kleinerer Standorte wie Mönchengladbach in den 70ern gar, sind heute fernab jeder Vorstellungskraft – es sei denn, man hat einen Milliardär in der Hinterhand. Spätestens nach einem Jahr hätten die Fußball-Großkonzerne eine derartige Mannschaft andernfalls gnadenlos ausgeweidet, weil die Regeln des Geschäfts kaum noch Möglichkeiten bieten, finanzielle Defizite langfristig durch gute Ideen oder Konzepte auszugleichen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es nur logisch, dass Fußballsöldner die Szene dominieren und es kaum noch Vereinsidole gibt – Lukas Podolski stellt mit seiner Verbundenheit zu Köln die absolute Ausnahme dar. Um wirklich erfolgreich zu sein, muss ein Spieler sich bis ans Ende der Verwertungskette transferieren lassen, also bei einem der üblichen Spitzenklubs anheuern, die in ihrem ständigen Durst nach Topspielern die ganze Welt durchforsten. Die Gutmenschen unter den Fußballanhängern feiern diese zweifelhafte Errungenschaft als Sieg des Multikulturalismus. Eine euphemistische Darstellungsweise für die Tatsache, dass die großen Vereine wie Kolonialherren in anderen Klubs und Ländern wildern und damit den Rest der Fußballwelt zu besseren Zulieferern für ihren Trophäenschrank degradieren.

Nun müsste die Uefa eigentlich ein großes Interesse daran haben, die Attraktionen ihres Zirkus möglichst breit und auf vielen verschiedenen Märkten zu streuen, um so viele Menschen wie möglich dafür zu begeistern. Der neue Uefa-Chef Michel Platini als erklärter Advokat der Kleinen hat die Champions-League-Startplatzkontingente für die großen Ligen zwar reduziert, aber das ist noch immer nicht genug. Es gibt einfach keinen regeltechnisch vertretbaren Grund dafür, dass bei einer europäischen Meisterschaft der Tabellendritte eines Landes ein garantiertes Startrecht erhält, während der Meister eines anderen Landes sogar in die Qualifikation muss. Der Hintergrund ist eher wirtschaftlicher Art: Die großen Klubs sind inzwischen – mit Hilfe der Uefa – so mächtig geworden, dass sie dem Verband immer wieder für sie vorteilhafte Bedingungen abpressen können.

Auch das Lizenzierungsverfahren, das die Uefa seit 2004 für die Teilnahme am Europacup durchführt, greift zu kurz. Zwar verlangt es von den Klubs wirtschaftliche Grundvoraussetzungen und verhindert damit die allerschlimmsten Auswüchse – um als Instrument für einen halbwegs fairen Wettbewerb zu taugen, ist es aber noch zu weich. Ein System, das so selbstverständlich Verluste produziert und auf Alimentierung von Gönnern angewiesen ist, wird auf Dauer nicht überleben können.

Regeln müssen her gegen das globale Talentshoppen. Sie müssen für alle gelten

Um den Profisport und gerade den Fußball in Europa vor dem Abdriften in Pleiten und Langeweile zu bewahren, hilft nur eines: Regeln müssen her, die für alle gelten. Die Europapolitik hat mit ihrer Liberalisierung des kontinentalen Sportmarkts inklusive der Abschaffung aller Ausländerbeschränkungen vielen Problemen den Weg bereitet, vor deren Lösung sie sich angesichts fehlender Kompetenz nun aber wegduckt. Doch sie muss akzeptieren, dass Sport eben anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als etwa die Stahlindustrie. Wenn sie diese schon nicht selbst regeln kann, muss sie doch wenigstens freiwillige Selbstbeschränkungen zulassen, etwa die 6+5-Regel, die nach Plänen von Fifa-Präsident Joseph Blatter vorsieht, dass mindestens sechs einheimische Spieler pro Team auf dem Platz stehen müssen. Damit würde das unkontrollierte Talentshoppen in aller Welt zumindest teilweise eingedämmt und eine längere Dominanz bestimmter Mannschaften erschwert.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, das Feld zusammenzuhalten. Im nordamerikanischen Profisport sind eine ganze Reihe davon zu finden. Nicht alles lässt sich übersetzen, da die dortigen Profiligen ein hermetisches Gebilde ohne Auf- und Abstieg sind – ein echter Zirkus, bei dem jeder Darsteller weiß, dass er auch von den Vorstellungen der anderen profitiert. So ist zum Beispiel die Idee des Drafts in Europa nur schwer einzuführen, bei dem die schlechtesten Klubs jährlich die besten Nachwuchstalente auswählen dürfen. Andere Maßnahmen sind dagegen durchaus eine Überlegung wert. Eine Maximalanzahl von Spielern im Kader zum Beispiel oder eine faire Verteilung des Fernsehgelds. Außerdem erscheint es hochgradig sinnvoll, die immer wieder angeregte Obergrenze für die Ausgaben an Spielergehältern pro Team einzuführen, um dem Zusammenstellen von übermächtigen Superstarteams vorzubeugen. Ein Blick nach Amerika belegt die Vorteile: Der sogenannte Salary Cap im Basketball, Eishockey und Football schafft ausgeglichene Ligen mit vielen verschiedenen Meistern und verhindert ruinöses Wirtschaften. Im Baseball, wo es keine Obergrenzen gibt, dominieren einige wenige Mannschaften, außerdem fahren fast alle Klubs Verluste ein. Es ist eine Situation, die am Ende niemandem nützt. Denn je unausgeglichener und langweiliger eine Liga ist, desto schwerer wird sie es auf Dauer haben, Interesse und damit Geld zu generieren. Das wird früher oder später auch Bayern München merken.

Christian Hönicke

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