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Sport: Warum wir die Bayern nicht mögen (Kommentar)

Ein Erlebnis trug am meisten zu meiner sportlichen Identitätsfindung bei. Es ereignete sich im Mai 1986 im Sonderzug nach München auf der Heimfahrt vom Pokalfinale in Berlin.

Ein Erlebnis trug am meisten zu meiner sportlichen Identitätsfindung bei. Es ereignete sich im Mai 1986 im Sonderzug nach München auf der Heimfahrt vom Pokalfinale in Berlin. Ich saß allein im Abteil, als ein angetrunkener Fan des FC Bayern die Schiebetür aufriss, die rot-weiße Fahne sah und brüllte: "Hey, FC Bayern, super, super Bayern." Er wusste nicht, dass das Schicksal mich zwar zu einem gebürtigen Münchner gemacht hatte, der aber durch familiäre Einflussnahme dem VfB Stuttgart zugetan war. Auf der zusammengerollten Fahne stand natürlich "Stuttgart", und mein trauriger Gesichtsausdruck gründete sich keineswegs auf einer ausgiebigen Siegesfeier nach dem 5:2 des FC Bayern München über hoffnungslos unterlegene Schwaben. Als also dieser Fan im Abteil stand und das Glück aus seiner Fankutte dampfte, wurde ich erstmals meiner wahren Identität gewahr. Ich bin ein Anti-Bayern-Fan.

Es gibt nicht wenige von uns. Kein Verein polarisiert die Fans mehr als dieser Fußballklub gewordene Superlativ aus dem Süden Deutschlands. Am Sonntag feiert der größte, reichste und erfolgreichste deutsche Sportverein seinen 100. Geburtstag. Für uns Bayern-Gegner ist das ein seltsamer Termin. Einerseits würde ohne diesen Klub so mancher Spieltag emotionslos vorüberziehen. Wir wüssten zwar für wen unser Herz schlägt, aber nicht mehr gegen wen. Die Wochenenden würden langweiliger werden. Andererseits ist da am Sonntag der große Festakt des FC Bayern im Prinzregententheater, und damit haben wir schon wieder ein Problem. Wir haben den FC Bayern zu oft feiern sehen.

Zu oft haben wir am Montagvormittag unsere Klassenkameraden freudestrahlend in die Schule kommen sehen. Beim Aufzählen der Torschützen des FC Bayern kamen sie regelmäßig durcheinander. Dieses Problem kannten wir nicht. Wenn das Schuljahr seinem Ende entgegenstrebte, mussten wir immer unser Taschengeld zusammenkratzen, um die Wettschulden bei unseren Mitschülern einzulösen. Wir hatten es in unserem grenzenlosen Optimismus gewagt, gegen den FC Bayern zu setzen.

Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass wir im vergangenen Jahr erstmals eine Identitätskrise erlebten. Nach dem 1:2-Drama gegen Manchester im Champions-League-Finale verspürten wir ein für unmöglich gehaltenes Gefühl: Mitleid mit dem FC Bayern. Was hätten wir darum gegeben, am nächsten Tag noch einmal zur Schule gehen zu dürfen.

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