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Die Polyvalenz dient jetzt dem Gegner: Ex-Hertha-Trainer Lucien Favre coacht heute Borussia Mönchengladbach.

© dpa

Was bleibt?: Lucien Favre und Hertha: Eine kurze Ära intensiven Glücks

Lucien Favre kehrt mit Mönchengladbach nach Berlin zurück. Vor zweieinhalb Jahren hat er die Stadt in Verzückung versetzt. Aber wie viel ist davon bei Hertha BSC übrig geblieben?

Vielleicht ergibt sich ja an diesem Samstag neben dem üblichen Small Talk unter Kollegen auch die Gelegenheit zu einem fachlichen Gespräch. Bei Markus Babbel besteht da durchaus Bedarf. Der Trainer von Hertha BSC würde von seinem Vor-Vorgänger Lucien Favre gerne wissen, wie er das damals in Berlin hinbekommen hat mit dem regelmäßigen Training in der Höhenkammer. Babbel hat dazu bisher nämlich nicht die nötige Zeit gefunden. „Es ist nicht so, dass sie völlig brach liegt und schon voller Spinnweben hängt“, sagt er. Aber so intensiv oder besser: exzessiv wie unter Favre wird die Anlage schon lange nicht mehr genutzt.

Die Höhenkammer auf dem Olympiagelände war so etwas wie das Monument einer kurzen intensiven Ära des Glücks, die dann genauso schnell und schmerzhaft wieder zu Ende ging. Im Frühjahr 2009 spielte Hertha BSC um die Meisterschaft, die Mannschaft verzückte mit ihren Erfolgen die Stadt – Berlin träumte vom Titel und verliebte sich in Lucien Favre. Nur ein Jahr später war Hertha abgestiegen. Und Favre schon lange entlassen. Heute kehrt der Schweizer mit Borussia Mönchengladbach ins Olympiastadion zurück. „Berlin und Hertha kann ich nicht vergessen“, sagt er. Aber wie sieht es umgekehrt aus?

Mehr als 60 000 Zuschauer erwartet Hertha heute Nachmittag. Die Zuneigung, die dem Klub in der Stadt weiterhin entgegenschlägt, hat zu Favres Zeiten begonnen, als für einen Moment alles möglich schien. Sie hat den Abstieg ebenso überdauert wie das Jahr in der Zweiten Liga. Also: Wie viel Favre steckt noch in Hertha BSC, Herr Preetz? Manager Michael Preetz verzieht bei dieser Frage das Gesicht, er lächelt ein bisschen gequält und presst die Luft zwischen seinen Lippen hervor. „Das ist die Mannschaft von Markus Babbel und nicht die Mannschaft von Lucien Favre“, sagt er. In das Duell mit dem früheren Trainer gehe er „ohne Emotionen“.

Es ist da etwas zu Bruch gegangen im Herbst 2009, als Hertha Favre entließ und der sich kurz darauf in einer reichlich ungeschickten Pressekonferenz zu rechtfertigen versuchte. Seitdem gab es so gut wie keinen Kontakt mehr. Nach Herthas Aufstieg hat Favre Preetz einen Glückwunsch auf die Mailbox gesprochen. Es war der erste und einzige Versuch der Kontaktaufnahme.

Auch Fabian Lustenberger hat seit Favres Abschied keinen Kontakt mehr mit seinem Mentor gehabt, trotzdem äußert er sich auffallend positiv über seinen Landsmann. „Er hat mir die Chance gegeben, in die Bundesliga zu kommen“, sagt er. „Man konnte in jedem Training von ihm profitieren.“ Lustenberger war der erste Spieler, den Favre im Sommer 2007 nach seinem Amtsantritt in Berlin zur Hertha holte. Er ist immer noch da und damit einer von insgesamt sechs Spielern (Raffael, Ramos, Janker, Burchert, Ebert), die schon unter Favre für Hertha in der Bundesliga gespielt haben. Dass das ein Vorteil für seine Mannschaft ist, glaubt Trainer Markus Babbel nicht. „Es wäre vermessen zu sagen: Wir kennen die Gladbacher in- und auswendig“, sagt er.

Immerhin spielen die Gladbacher ein bisschen so, wie einst auch Hertha unter Favre spielte. Sie verteidigen sehr offensiv, versuchen zu agieren, statt zu reagieren, und lassen den Ball geduldig durch ihre Reihen kreiseln – immer auf der Suche nach der einen, vielleicht entscheidenden Lücke. „Favre hat extrem viel Wert auf Taktik und auf das Fußballspielen gelegt“, sagt Fabian Lustenberger, der so etwas wie der typische Favrespieler war: nicht unbedingt ein Brecher, sondern eher zart gebaut, dafür mit einem großen Verständnis für die inneren Zusammenhänge des Fußballspiels und einer sauberen Technik ausgestattet. Mit anderen Worten: Lustenberger bringt alles mit, was man braucht, um Favres Vorgaben umzusetzen.

Unter Babbel spielt Lustenberger kaum noch, obwohl sich Herthas Trainer im Frühjahr noch ausnehmend positiv über den Schweizer ausgelassen hat. Für Lustenberger werde er immer einen Platz finden, hat Babbel damals gesagt. Aber dann holte er Andreas Ottl vom FC Bayern München, und seitdem findet sich für Lustenberger allenfalls noch ein Plätzchen auf der Ersatzbank.

Die unterschiedliche Wertschätzung für den Schweizer sagt einiges über die unterschiedlichen Vorstellungen vom Fußball, die Babbel und Favre pflegen. Vom fußballerischen Erbe des Schweizers ist bei Hertha BSC wenig geblieben. Schon Favres unmittelbarer Nachfolger Friedhelm Funkel ließ von den Strukturen, die er vorfand, wenig unangetastet. Und als Aufsteiger spielen die Berliner erst recht vollkommen anders als zu Favres Zeiten: Sie verteidigen sehr tief und versuchen nach Ballgewinn möglichst schnell zum Abschluss zu kommen. „Lucien Favre legt viel Wert auf Ballbesitz. Aber für einen Aufsteiger ist Ballbesitz nicht unbedingt entscheidend“, sagt Fabian Lustenberger. „Man kann mit beiden Taktiken erfolgreich sein.“

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