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Sport: Was wir an den Deutschen mögen

Die WM 2006 hat das Image der Gastgeber im Ausland zum Guten verändert – Ansichten und Einsichten englischer Fans

„Das sind nette Leute, aber sie haben nur ein Lied. Deutschland, Deutschland – das ist alles, was ich sie je singen gehört habe.“ Auch wenn Mark Shore weiterhin unbeeindruckt ist von ihrem gesanglichen Einfallsreichtum – seit der Weltmeisterschaft hat er mehr Respekt vor den Deutschen. Mark ist ein Kerl von einem Mann und hat bei Spielen der englischen Nationalelf seit den siebziger Jahren mehr erlebt, als er zugeben möchte, aber Deutschland 2006 war sicher nicht die Erfahrung, die er erwartet hatte. Wie die meisten englischen Fans hat er anstelle von gewalttätiger Feindseligkeit Freundlichkeit vorgefunden. Zusammen mit der bekannten deutschen Gründlichkeit ergab das eine sehr angenehme Weltmeisterschaft.

Doch als wie bedeutsam wird sich diese Erfahrung erweisen? Das britische Innenministerium schätzt, dass rund 350 000 englische Fans nach Deutschland gereist sind. Für viele von ihnen war dies ihre erste Reise dorthin, und was sie vorher über Deutschland wussten, beschränkte sich auf Adolf Hitler, Boris Becker und das Oktoberfest. Seit Jahrzehnten hatten Regierungen und kulturelle Institutionen versucht, die englischen Kenntnisse über das Deutschland der Nachkriegszeit zu erweitern – und scheiterten dabei meist spektakulär. Drei Wochen im Juni haben das nicht für jeden verändert, doch ihr Einfluss war zweifellos substanziell. Mark Shore referierte kürzlich über die netten Erinnerungen an seine Reise bei einem nachweltmeisterschaftlichen Forum, das England-Fans aus London veranstaltet hatten. Es war eine dieser vielen neuen Geschichten von hilfreichen Deutschen, ihr Bestehen darauf, uns einen Drink zu spendieren, ordentlich geführten Campingplätzen, freiwilligen Helfern, die scharf darauf sind, Antworten für unsere Fragen zu finden, und natürlich Züge, die tatsächlich pünktlich fahren. Ein Fan hatte sogar eine Geschichte, die nicht nur Marks Feststellung, dass die Deutschen nur einen Song haben, auf die Probe stellte, sondern auch die berüchtigte deutsche Humorlosigkeit. Vor einer Bar in München hatte er diesen langen Schlachtgesang gehört, der mit „Ikea! Ikea!“ zu beginnen schien. Nach ein paar Drinks fragte er die deutschen Fans was sie denn da sängen. „Ikea! Ikea! Ihr seid nur ein Möbellieferant“– und der Gesang galt schwedischen Fans in einer Bar nebenan.

Wenn es eines gibt, dessen sich Engländer bei den Deutschen sicher sind, dann ist es die Humorlosigkeit. Das Problem der Engländer ist aber, dass wir nur einen einzigen Witz auf Kosten der Deutschen haben – den Zweiten Weltkrieg. Fußballverband, britische Regierung, Polizei und Medien waren vor der WM entschlossen, dass die Fans davon abgehalten werden sollten, Songs zu singen, die den Krieg glorifizieren und unsere Gastgeber verärgern könnten. Eine Delegation aus Frankfurt besuchte sogar London und versuchte zu erklären was die Menschen in ihrer Stadt als beleidigend empfinden. Sie erklärten, dass Hakenkreuze und Stechschrittmärsche nicht nur nicht lustig seien, sondern illegal. Während der WM kam kein englischer Fan auf die Idee, so etwas zu veranstalten. Die Gesänge „Ten German Bombers and the RAF from England shot them down“ („Zehn deutsche Bomber und die Königliche Luftwaffe aus England schoss sie ab“) oder „My granddad killed your granddad, doo-dah“ (Mein Großvater hat deinen Großvater getötet“) und natürlich „Two World Wars and only one World Cup“ („Zwei Weltkriege und nur eine Weltmeisterschaft“) blieben allerdings populär bei einem Teil der englischen Fans in Deutschland. Doch es wurden immer weniger, desto länger wir in Deutschland waren. Immer mehr hatten keine Lust mehr da mitzusingen.

Ohnehin hatten sich die meisten Leute, Politiker allen voran, über die beleidigenden Inhalte der Lieder vordergründig aufgeregt und nur wenige Gedanken daran verschwendet, warum sie eigentlich gesungen wurden. In Berichten über unserere „eine WM“ 1966 ist interessanterweise kaum etwas von antideutscher Stimmung in den Medien oder unter den Fans zu spüren. Schaut man sich die Aufstellung des Finales von Wembley zwischen Deutschland und England an, dann ist es offensichtlich, dass einige Spieler ihre ersten Bolzereien während des Zweiten Weltkriegs gemacht hatten, wobei fast alle der Spieler Eltern hatten, die im Krieg gekämpft haben. Für diese Generation waren die Erinnerungen aus der Zeit zwischen 1939 und 1945 zu ernst, als dass man sie in irgendeinem Tribünengesang benutzen konnte. 40 Jahre später scheint ein anderes Wertesystem zu gelten. Die Erinnerung ist distanzierter geworden und der Zweite Weltkrieg ist Stoff für Sitcoms, eines von vielen Dingen über die es sich immer wieder und wieder scherzen lässt. Gleichzeitig wurden in der Zeit von Margaret Thatcher in den achtziger Jahren aus Ängsten vor der EU populistischer Antagonismus gegen alles Europäische. Deutschland, aber auch Frankreich, wurden gebrandmarkt als politische Feinde. Das soll die beleidigenden Schlachtgesänge nicht entschuldigen, aber verstehen helfen, wo sie herkommen.

Jess Mortimer war in Deutschland, es war ihre erste Fußball-WM. Bei den Fan-Meetings der Londoner Fans erzählte sie von ihren Erinnerungen. „Englische Fans haben die lokale Kultur aufgesogen, das deutsche Essen genossen und natürlich das Bier und es geschätzt, wie sehr uns die Deutschen willkommen geheißen haben und wie freundlich sie waren.“ Die Deutschen haben das Weltmeisterschaftsmotto „A Time to Make Friends“ ernst genommen und englische Fans haben das ehrlich geschätzt. „Viele sagten, dass alle ihre Vorurteile weggewischt waren.“ Angesichts dieses Empfangs verebbten die Attitüden hinter den Kriegssongs für die Mehrheit, was die hartnäckige Minderheit isolierte, aber nicht unbedingt leiser werden ließ. Und als die Fans sich vermischten so wie es Jess beschrieb, erkannten wir immer mehr, dass das wichtig war, was wir teilen – der Fußball. Er teilt uns nur für 90 Minuten, oder die Verlängerung und das für Engländer leider unvermeidbare Elfmeterschießen, aber den Rest haben wir gemeinsam. Vor dem Viertelfinalspiel der Engländer gegen Portugal zeigte Karin Ernst englischen Fans in einer Gelsenkirchener Kneipe stolz ihre Saison-Dauerkarte. Es dauerte einen Moment bevor sich die englischen Fans versammelten und staunten, dass das Saisonticket in der Bundesliga kaum mehr kostete als eine einzelne Karte für das Weltmeisterschaftsviertelfinale. Und bei uns würde sie für den Preis ihrer Dauerkarte kaum mehr als ein paar Spiele in der Premier League zu sehen bekommen. In München entdeckten englische Fans, dass das wundervolle neue Stadion einen volksnahen Stehplatzbereich von 20 000 Plätzen hat, in Dortmund haben wir den Bahnhof verlassen und auf dem Bildschirm gesehen, wie die Zuschauer im Westfalenstadion „You’ll never walk alone“ sangen. Und wir haben uns darüber beschwert, dass fast nur das amerikanische Bud in den Stadien verkauft wurde. Unsere deutschen Freunde nickten kraftvoll zustimmend, bevor sie uns ihr lokales Lieblingsbier einflößten. Gespräche dieser Art gab es tausende Male. In Bars und Hotels, auf Campingplätzen und Bahnhöfen.

Als sich die englischen Fans jetzt wieder in London trafen, wurden sie gefragt, welche drei Lieblingserinnerungen sie an Deutschland haben. Überwiegend bewerteten die Fans die Freundlichkeit der Deutschen als die positive Sache des WM-Turniers. Herausgestellt wurde, wie willkommen sie waren, wie enthusiastisch und hilfreich die Deutschen gewesen seien. Die Umfrage offenbarte aber auch die Enttäuschung eines männlichen Fans über Deutschland. Seine drei liebsten Erinnerungen an Deutschland? „Helga, Heidi und Gertrude“. Seine drei unliebsamsten Erinnerungen? „Helgas Freund, Heidis Bruder und Gertrudes Bruder“. Nicht einmal die Deutschen können es jedem recht machen.

Mark Perryman ist Vorsitzender des Fanklubs London England Fans, Autor des Buches „ Ingerland : Travels with a Football Nation“ und Mitbegründer von www.philosophyfootball.com. Der Beitrag wurde von Claus Vetter übersetzt.

Mark Perryman[London]

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