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Bastian Schweinsteiger verlässt England und wechselt zu Chicago Fire.

© imago/Ulmer/Cremer

Wechsel in die USA: Bastian Schweinsteiger: Der Gentleman zieht weiter

Bastian Schweinsteiger spielt künftig bei Chicago Fire in der MLS. Von Manchester verabschiedet er sich, wie man in kennt, ohne Groll und als echter Gentleman.

Alle reden über ihn, auch wenn er gar nicht da ist. Bastian Schweinsteiger tritt am Dienstag ein letztes Mal mit den Kollegen von Manchester United gegen den Ball und ist doch allgegenwärtig in Dortmund, wo sich gerade die deutsche Nationalmannschaft versammelt. Eigentlich ist die Bühne bereitet für Lukas Podolski. Der spielt am Mittwoch ein letztes Mal für Deutschland, passenderweise gegen England, wo er beim FC Arsenal ein bisschen erwachsen geworden ist, aber auch nur ein bisschen. Sein alter Spezi Bastian Schweinsteiger hat ihm zum Abschied einen Brief geschrieben, er endet so: „Servus, Poldi, mein Freund!“ Da fügt es sich gut, dass Schweinsteiger jetzt auch Servus sagt. Nicht zur Nationalmannschaft, das hat er schon hinter sich. Am Dienstag hat er sich aus England verabschiedet, aus dem gelobten Fußball-Land, das für ihn keines war. „Schade, dass es für ihn so geendet hat“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. „Ich glaube, dass er der Mannschaft hätte helfen können, aber die Entscheidung des Trainers war anders.“

Mit 32 Jahren und nach eineinhalb weitgehend verlorenen Spielzeiten in Diensten des Manchester United Football Club wird Bastian Schweinsteiger in den USA für Chicago Fire spielen und damit zum „global player“, so nennt es Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß. „Ich bin traurig, meine vielen Freunde bei Manchester United zu verlassen. Aber ich bin dem Klub dankbar, dass er es mir ermöglicht, die Chance und Herausforderung bei Chicago Fire anzunehmen“, sagt Schweinsteiger auf Uniteds Homepage. „Ich habe die Zusammenarbeit mit dem Trainer, den Spielern und dem gesamten Stab genossen und wünsche ihnen alles Gute für die Zukunft.“

Es sind die üblichen weichgespülten Sätze, von denen jeder weiß, dass sie ein Referent der Medienabteilung aufgesetzt hat. Und doch nimmt man Schweinsteiger jedes Wort und jeden Zwischenton ab. So denkt und formuliert ein Gentleman, und wer mag daran zweifeln, dass Bastian Schweinsteiger einer ist?

Schweinsteiger schrieb Babak Rafati einen Brief

Lukas Podolski ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer die Hälfte von Poldischweini geblieben, jenes spätpubertierenden Spaßduos, das den Deutschen bei der WM 2006 dabei half, sich selbst ein wenig sympathischer zu finden. Schweinsteiger hat den Weg ins seriöse Fach geschafft. Auf dem Platz, wo ihn der niederländische Despot Louis van Gaal vor ein paar Jahren erfolgreich vom dribbelnden Flügelstürmer zum Strategen im zentralen Mittelfeld umschulte. Aber auch jenseits dieser Welt aus gestutzten Rasenhalmen ist er ein anderer geworden. Bastian Schweinsteiger hat die Degradierung vom Kapitän der deutschen Weltmeistermannschaft zum Teilnehmer am Juniorentraining bei Manchester United mit einer Würde hingenommen, wie sie im Gewerbe der kickenden Selbstdarsteller die große Ausnahme ist. Der Mann ist kein Laut- und Vielsprecher in eigener Sache. Er spricht leise und selten, manchmal spricht er auch gar nicht, auch das kann nachhaltigen Eindruck hinterlassene.

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Vor vier Wochen hat Babak Rafati in einem Interview mit dem Schweizer „Blick“ eher beiläufig von einem Brief erzählt, den er im November 2011 von Schweinsteiger bekam. Rafati war früher Schiedsrichter, einer von denen, die von Fans, Spielern und Funktionären besonders gern für alles Schlechte in der Fußball-Welt verantwortlich gemacht wurden. Bis er den Druck nicht mehr ertragen konnte und seinem Leben in einem Hotelzimmer ein Ende setzen wollte. Ein Kollege reanimierte ihn ein paar Stunden vor einem Bundesligaspiel, das er pfeifen sollte. Schweinsteiger schrieb ihm darauf: „Herr Rafati, im Leben fällt man oft. Man muss einmal öfter aufstehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“

Das ist angemessen und respektvoll formuliert, wie so vieles, was nach Rafatis Verzweiflungstat seinen Weg in die Öffentlichkeit fand. Das Besondere an Schweinsteigers Brief war, dass er sich nur an Rafati richtete. Dass er nicht im Durchschlag an Redaktionen ging und auch keine Veröffentlichung auf Facebook, Twitter oder Instagram erfuhr. Schweinsteiger ging es nicht um Effekt heischende Anteilnahme. Es ging ihm um Zuspruch für einen verzweifelten Menschen, über den er sich mutmaßlich auch das eine oder andere Mal geärgert hat. Das macht seine Empathie über jeden Zweifel erhaben. Mit einiger Sicherheit wäre der Brief für immer eine Sache zwischen den beiden geblieben, wenn denn Rafati nicht davon gesprochen hätte.

Eine echte Chance bekam er bei José Mourinho nie

Respekt ist immer eine gegenseitige Angelegenheit. Es ehrt Schweinsteiger, dass er diesen Respekt zum Ende seiner Karriere auch einem erweist, von dem er ihn selbst vergeblich erhoffte. In Manchester wurde er zum Opfer der Machtspielchen des José Mourinho. Der Portugiese war der zweite Trainer-Despot in Schweinsteigers Karriere, aber anders als bei van Gaal ging es für ihn nicht gut aus. Mourinho nahm Schweinsteiger nicht in den Kader für die Europa League auf und schob ihn ab zum Training der Jugendmannschaft. Kein böses Wort des Spielers fand in dieser Causa den Weg in die Öffentlichkeit, kein gekränkter Tweet, kein vielsagendes Lächeln, wenn es sportlich nicht so lief. Schweinsteiger bat allein höflich um eine faire Chance.

Am Ende reichte es zu ein paar Mini-Einsätzen und einem über 90 Minuten, im Pokal gegen den Zweitligisten Wigan. Schweinsteiger bereitete ein Tor vor und schoss eines selbst, sogar ein ganz hübsches per angedeutetem Fallrückzieher. Er suchte Zweikämpfe und gewann die meisten, seine Pässe spielte er fast immer mit dem ersten Kontakt, um das Spiel schnell zu machen, wie sie das in England gern sehen. Aber natürlich fehlte ihm die Spielpraxis. Am Ende mokierten sich die englischen Reporter über sein „mit Rost überzogenes Spiel“ und „ziellose Anspiele in den Raum“. Eine zweite Chance gab es nicht, und irgendwann hatte Schweinsteiger genug.

Franz Beckenbauer spielte bei der WM 1970 das Halbfinale gegen Italien mit bandagierter Schulter zu Ende. Italien gewann dieses Jahrhundertspiel 4:3, aber die Hochachtung gebührte einem Verlierer. Der Londoner „Evening Standard“ beschloss seine Reportage mit dem Satz: „Beckenbauer verließ das Feld wie ein verwundeter, besiegter, aber stolzer preußischer Offizier.“

Genauso verabschiedet sich Bastian Schweinsteiger ein halbes Jahrhundert später aus Manchester.

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