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Da staunen die Kampfrichter: Mike Powell bei seinem Rekordsatz 1991 in Tokio.

© imago

Weitsprung-Legende Mike Powell im Interview: „Ich bin der Beste aller Zeiten“

Seit 24 Jahren steht der Weitsprung-Weltrekord von Mike Powell. Im Interview spricht er über Verlustängste, seinen legendären Gegner Carl Lewis, Doping-Vermutungen - und ein Comeback bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio.

Mike Powell, 51, hält seit 1991 den Weltrekord im Weitsprung. Der US-Amerikaner wurde zweimal Weltmeister und gewann zweimal Olympia-Silber. Powell arbeitet heute als Trainer.

Herr Powell, am heutigen Sonntag jährt sich Ihr Weltrekordsprung vom 30. August 1991 über 8,95 Meter. Haben Sie ein besonderes Ritual, um den Jahrestag zu feiern?

Inzwischen ist es so etwas wie mein Geburtstag. Eigentlich bin ich aber jedes Jahr wieder verblüfft, dass der Rekord immer noch steht. Ich bin dankbar. 1991, im WM-Finale mit Carl Lewis, habe ich geglaubt, der Rekord würde sofort nach meinem Sprung wieder fallen. Später dachte ich, der Kubaner Ivan Pedroso würde ihn brechen. Als Dwight Phillips und Irving Saladino stark gesprungen sind, bin ich ein bisschen nervös geworden. Ich dachte: Es ist nur eine Frage der Zeit.

Hier bei der WM in Peking hat der US-Amerikaner Christian Taylor beinahe den 20 Jahre alten Weltrekord im Dreisprung gebrochen. Danach hat er gesagt, dafür müsse alles perfekt sein, sogar die Sterne müssten richtig stehen. War es damals bei Ihnen auch der perfekte Tag für den perfekten Sprung?

Nein. Es war kein perfekter Anlauf, kein perfekter Sprung. Ich hatte das Gefühl, Weite verschenkt zu haben. Es hätten 9,20 Meter sein sollen, das war mein Ziel.

9,20 Meter?

1991 war ich 27, ich wurde von Jahr zu Jahr besser. Ich war gerade erst dabei, die Sache wirklich zu verstehen. Leider war ich danach oft verletzt. Ich bin also nicht zufrieden. Ich habe das Gefühl, jederzeit könnte jemand den Rekord brechen.

Wie wichtig war es, mit Carl Lewis einen starken Gegner zu haben?

Carl war immer ein großer Ansporn für mich. Ich habe mir viel abgeschaut, vor allem sein Selbstvertrauen. Wenn jemand anderes 8,70 Meter sprang, stand in Carls Gesicht nur: okay. Und Boom! Sprang er eben weiter. Das hat seine Gegner gekillt. So wie es Usain Bolt macht. Ich habe den Wettkampf mit Carl sehr persönlich genommen. Wenn Carl reinkam und mich nicht gleich begrüßte, dachte ich nur: Grrrr. Und wenn er freundlich Hi sagte, dachte ich auch: Grrrr. Was immer er tat, es machte mich wütend. So bin ich, als Sportler und als Mensch.

Die 8,95 stehen seit 24 Jahren, in anderen Disziplinen wechseln die Bestmarken schneller. Wie wichtig sind Weltrekorde für die Leichtathletik?

Manchmal denke ich, dass wir zu viel auf Rekorde achten. Wir müssen unseren Sport einfach besser vermarkten. Im Stadion passieren so viele Dinge gleichzeitig, wir müssen die Leichtathletik fernsehfreundlicher machen, vielleicht einige Disziplinen verändern. Oder einige Disziplinen streichen. Tut mir leid, aber Gehen ist keine Leichtathletik. Das ist Gehen.

Wie macht man Weitsprung attraktiver?

Man könnte mit einem Laser eine Markierung in den Sand projizieren. Damit alle sehen können, wie weit man springen muss, um in Führung zu gehen. Lasst uns einfach etwas ausprobieren! Denn im Moment verlieren wir nicht nur eine ganze Generation von Fans, sondern auch von Athleten.

Nicht immer helfen Rekorde der Leichtathletik. Es gibt alte Bestmarken aus den 80er Jahren, die unter großem Verdacht stehen. Wann fängt ein Weltrekord an, zu stinken?

Man weiß, was damals passiert ist. Das ist kein Geheimnis mehr. Wenn ein staatlich gesteuertes Leistungsprogramm beteiligt war, sollte man solche Rekorde streichen. Das Gleiche gilt, wenn ein Athlet positiv getestet wurde: Streicht seine Rekorde!

Ihr eigener Rekord wird selten angezweifelt. Überrascht Sie das?

Es gibt doch Anzeichen, nach denen man schaut. Eine Veränderung der körperlichen Erscheinung. Oder große Leistungssprünge. Ich bin Stück für Stück besser geworden, manchmal gab es Rückschritte, das war alles normal, menschlich.

Ein paar Tage nach Ihrem Weltrekordsprung haben Sie Bob Beamon getroffen, der die Bestmarke zuvor fast 23 Jahre gehalten hatte. Wie hat er reagiert?

Wir haben zusammen geweint. Wir hatten etwas gemeinsam. Sein Sprung auf 8,90 Meter war vielen Leuten unheimlich. Mein Weltrekord hat diese Weite legitimiert. Und Bob hat er menschlicher, normaler gemacht.

"6,84 Meter könnte ich jetzt gleich springen."

Legende - und immer noch mit reichlich Selbstvertrauen: Mike Powell.
Legende - und immer noch mit reichlich Selbstvertrauen: Mike Powell.

© Lars Spannagel

Bei der aktuellen WM in Peking gab es bislang nur einen Weltrekord. Können Sie das erklären? Und ist das angesichts der Dopingenthüllungen vielleicht sogar ein gutes Zeichen?

Weltrekorde sind Weltrekorde, die kriegt man nicht einfach so. Die Leute erwarten unglaublich viel von Leichtathleten, das ist nicht immer fair. Man sagt doch auch nicht zu einem Fußballer oder Basketballer: Das war jetzt aber nicht das beste Spiel aller Zeiten, sondern höchstens Top 20, kannst du das bitte erklären? Genauso ist das mit dem Doping.

Was meinen Sie?

Wir sind die einzige Sportart, die gewillt ist, ihre größten Stars hochzunehmen. Und trotzdem werden wir von den Medien gekillt. Das ist doch nicht fair! Menschen versuchen, zu schummeln – im Sport, in der Wirtschaft, in der Politik, in Beziehungen. Wir müssen einfach versuchen, diese Leute zu fangen, bevor sie den Ruf der vielen sauberen Sportler ruinieren. Und sie lebenslang sperren.

Sie selbst scheinen lebenslang springen zu wollen. Vor Kurzem haben Sie angekündigt, den Weltrekord in der Masters-Kategorie der über 50-Jährigen anzugreifen. Warum wollen Sie das machen? Sie haben doch den richtigen Weltrekord.

Warum nicht? Der Masters-Rekord liegt bei 6,84 Meter, das könnte ich jetzt gleich springen, in diesen Schuhen. Aber ich will acht Meter springen, 8,30 Meter.

Meinen Sie das ernst? Dann könnten Sie auch bei einer richtigen WM starten.

An dieser Stelle nehme ich die Sache wieder sehr persönlich. Ich bin der Weltrekordhalter, okay? Ich bin weiter geflogen als jeder andere Mensch auf diesem Planeten. Wenn ich sage, dass ich 8,30 Meter springe, dann hört mir gefälligst zu. Ich bin zwar 51 Jahre alt, in meinen Gedanken bin ich aber 27. Seien Sie nicht überrascht, wenn Sie mich nächstes Jahr bei den Olympischen Spielen sehen.

Ist das wirklich Ihr Ziel?

Warum sollte es das nicht sein? In anderen Disziplinen wäre das sicher nicht möglich. Aber ich bin 8,95 Meter gesprungen, die Weltspitze heute springt 8,30 Meter. Der Weitsprung bewegt sich also rückwärts. Ich kann es der Welt zeigen – noch einmal. Ich will die Leute umhauen.

Wie ernsthaft verfolgen Sie diesen Plan?

Vor zwei Jahren war ich 112 Kilo schwer. 1991 habe ich 80 Kilo gewogen, heute sind es 79. Ich wiege also weniger als zu meinen besten Zeiten – so ernsthaft verfolge ich das. Sie sollten mich springen sehen! 8,90 Meter waren schwer – aber 8,30 Meter bin ich so oft gesprungen, ich weiß, wie das geht. Ich bin der Beste aller Zeiten, ein Meister meines Fachs.

Herr Powell, irgendwann wird auch Ihr Rekord fallen. Eine olympische Goldmedaille aber wird immer bestehen bleiben. Würden Sie den Weltrekord gegen einen Olympiasieg eintauschen?

Ich habe den Weltrekord jetzt seit 24 Jahren, das ist genauso viel wert wie olympisches Gold. Wenn ich Carl Lewis treffe, sagt er immer: Mann, du Glücklicher hast deinen Weltrekord! Und ich sage: Carl, bitte, du hast neun Goldmedaillen! Für vier Mal Gold würde ich aber vielleicht tauschen, da könnte ich schwach werden. Aber Sie haben recht: Das olympische Gold fehlt mir, es verfolgt mich. Meine Karriere ist nicht komplett.

Leben Sie in Angst vor dem Anruf, dass Ihr Weltrekord gebrochen wurde?

Ich habe das Glück, das schon einmal durchgemacht zu haben. 1995 habe ich die Nachricht bekommen, dass Ivan Pedroso den Rekord gebrochen hatte.

Und?

Ich habe geweint. Es hat mir wehgetan. Als ob mir jemand etwas gestohlen hatte. Ich habe den Rekord dann zurückbekommen, die Windmessung bei Pedrosos Sprung war manipuliert. Da habe ich realisiert: Ich sollte glücklich sein. Mein Traum ist es aber, den Springer zu trainieren, der mich ablöst. Vielleicht will ich aber auch deswegen den Masters-Rekord brechen – damit ich noch Weltrekordler bin, wenn mein alter Rekord fällt.

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