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Sport: Wenn der Schmerz nicht nachlässt

Lagenschwimmen gehört zu den härtesten Disziplinen, trotzdem quält sich Nicole Hetzer weiter

Mit der rechten Hand klammerte sich Nicole Hetzer an einen Griff des Startblocks, mit der linken winkte sie zur Tribüne. Es war nur ein Vorlauf, es war nicht so schlimm. „Es gab bloß ein paar Schmerzen“, sagt die 27-Jährige kurz darauf. Sie musste sich nur den Finalplatz über 400 Meter Lagen sichern, sie musste an diesem Vormittag nicht voll gehen. Sie schlug nach 4:43,33 Minuten an, das reichte für den Endlauf (Finale bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet). Am Schluss, als sie Freistil schwamm, da entschied die 27-Jährige: „Ich spare mir noch Kraft.“ Zwar taten ihr bereits die Arme weh, „aber es war nicht so furchtbar wie bei vielen Trainingseinheiten“.

Lagenschwimmen ist eine harte Disziplin. „Es ist der Zehnkampf im Schwimmen“, sagt Manfred Thiesmann, der Bundestrainer. Ein Lagenschwimmer muss alle Stilarten beherrschen: Schmetterling, Brust, Rücken und Freistil. „Für jede Disziplin benötigt ein Lagenschwimmer ein Spezialtraining. Und ein Weltklasse-Lagenschwimmer muss in jeder Stilart gut sein“, sagt Horst Melzer, der Trainer von Brust-Weltmeister Mark Warnecke. Vor allem das anspruchsvolle Brustschwimmen bereitet vielen Probleme.

Hinzu kommt, dass Weltklasse-Lagenschwimmer eine extrem gute Kondition benötigen. Schlüsselpunkte beim Lagenschwimmen sind die Wechsel der Stilarten. Vor allem der Wechsel von der Rücken- auf die Bruststrecke ist anspruchsvoll. „Da muss man sich erst mal neu orientieren“, sagt Melzer. „Und das muss sehr schnell gehen.“ Die Zeitverluste sollen möglichst gering gehalten werden.

Eine Lagenschwimmerin wie Nicole Hetzer trainiert deshalb mitunter sieben Stunden am Tag. Sie absolviert 60, 70 Kilometer pro Woche im Wasser, ein Pensum, das Sprinter vielleicht mal im Trainingslager abspulen. „Ich steige eine halbe Stunde vor den Sprintern ins Wasser und eine Stunde später als die wieder raus“, sagt die EM-Dritte von 2002 über 400 Meter Lagen. Und oft genug liegen im Training „Horrorserien“, wie sie es nennt, vor ihr: acht mal 400 Meter Lagen oder 2000 Meter Lagen. „Dann denkst du, dir platzt der Kopf, du hast Bauchkrämpfe, du willst aufhören“, sagt Hetzer.

Aber diese Qualen sind Teil des Systems Lagenschwimmen. Sie sind der Grund dafür, dass die 27-Jährige vom SV Wacker Burghausen an der Weltspitze steht. „Die Schmerzen kommen im Rennen auf jeden Fall auf dich zu. Du musst lernen, mit ihnen zu leben, auf sie zu warten.“ Sie muss sich regelrecht programmieren. Wenn die Muskeln brennen, wenn der Kopf fast platzt, wenn einen nur noch die reine Willenskraft vorantreibt, dann muss die Technik unverändert sauber sein. Die optimalen Bewegungen müssen abgerufen werden, weil das Bewusstsein keine klaren Befehle mehr geben kann. Und programmieren können die Lagenschwimmer ihr Gehirn und ihren Körper nur, wenn sie ständig an diese Grenze gehen.

Nicole Hetzer erwischt es oft auf der Bruststrecke. „Da brennen dir die Beine und du denkst, du bekommst die Arme nicht mehr hoch.“ Im WM-Finale 2003 über 400 Meter Lagen war es am schlimmsten. „Da hatte ich schon nach 80 Metern Schmetterling höllische Schmerzen.“ Sie wurde Fünfte.

Aber sie hat keine andere Wahl. „Ich kann nicht auf eine Spezialstrecke wechseln“, sagt die 27-Jährige. „Ich bin auf keiner anderen Disziplin auf absolutem Topniveau.“ Sie hält durch, weil sie Erfolg hat. Kurzbahn-Europameisterin über 400 Meter Lagen 2001, mehrfache Deutsche Meisterin. „Mir gibt der Erfolg Befriedigung, da vergisst man die ganze Quälerei.“

Aber die Verdrängung klappt nicht immer. Nach ihrem Vorlauf in Budapest hört Nicole Hetzer kurzzeitig auf zu lächeln. „Fürs Finale“, sagt sie, „stelle ich mich auf etwas ganz Schlimmes ein.“

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