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Sport: Wenn die Lichter ausgehen

Der Berliner Boxer Michel Trabant bleibt Europameister, weil er trotz blutender Augenbrauen den Überblick behält

Von Michael Rosentritt

Berlin. Wenn die Lichter ausgehen, ist der Instinkt gefragt. Eine alte Box-Weisheit, die für Michel Trabant mitten in der Nacht auf Sonntag in Neukölln zur schmerzlichen Gewissheit wurde. Der letzte Ton der Nationalhymnen für beide Boxer war gerade verklungen, da schoss schon das Blut aus einem tiefen Riss an der linken Braue des Berliners, der im Estrel Convention Center vor 3500 Zuschauern seinen Titel als Europameister im Weltergewicht gegen den Ungarn Jozsef Matolcsi zu verteidigen hatte. Zwei Runden später sah Trabant seinen Gegner phasenweise nur noch schemenhaft. Ein Kopfstoß des Ungarn hatte auch noch Trabants rechte Braue platzen lassen. Als dem 24-jährigen Titelverteidiger nach der dritte Runde in der Ringecke der Mundschutz entnommen wurde, konnte er sein eigenes Blut schmecken. Ein Umstand, der manchen Boxer wild bis kopflos macht, andere mental auch bricht. Nicht aber Michel Trabant. Mit zwei klassischen Leberhaken beendete er nach zwei Minuten und zwei Sekunden in der fünften Runde den Kampf zu seinen Gunsten.

Während der Herausforderer, der sich nach drei, vielleicht vier Minuten wieder einigermaßen erholt hatte, kopfschüttelnd durch den Ring tigerte, wurden dem Europameister in seiner Ecke die tiefen Wunden verklebt. Notdürftig zurechtgemacht, band sich der schmale Junge aus Prenzlauer Berg den schweren EM-Gürtel um die Hüften und wandte sich ans Beifall klatschende Publikum. „Die Cuts haben mich ein bisschen aus dem Konzept gebracht, aber dann habe ich ihn doch noch ganz gut erwischt.“

Sein Manager Klaus-Peter Kohl sprach später von einer Meisterleistung. „Unglaublich, mit welcher Klasse, Ruhe und Bravour er das weggesteckt hat. Alle, die an Michel jemals zweifelten, wurden eines Besseren belehrt.“ Und in der Tat verlangt die Leistung Trabants unter diesen Umständen Hochachtung. Der Ungar, Typ wilder Hauer, der mit furchterregenden Schwingern Trabant beizukommen suchte, präsentierte sich in hervorragender körperlicher Verfassung. Das viele Blut, das Trabants Gesicht bisweilen völlig zudeckte, hatte ihn zusätzlich angestachelt. Trabant aber blieb cool. Torsten Schmitz, Trabants Trainer, erzählte später Folgendes: „Nach dem zweiten Cut kam er zu mir in die Ecke, setzte sich ruhig auf den Schemel hin und erzählte mir, dass es ihm sonst gut geht. Diese Gelassenheit habe ich an ihm bewundert.“

Michel Trabant, der den EM-Titel erst im April dieses Jahres in Danzig erboxt hatte, hat die Nerven behalten. „Klar haben mich die beiden Verletzungen behindert, aber ich habe keine Sekunde daran gedacht, alles auf eine Karte zu setzen. Dafür bin ich einfach ein zu guter Boxer.“ Trabant, der die Schule verließ und als 16-Jähriger Profiboxer wurde, bringt für diesen Sport außergewöhnliche Veranlagungen mit. Außerhalb des Rings wirkt er teilnahmslos, bisweilen gar abwesend. Der Gong scheint ihn zu elektrisieren. Wenn im Ring alles erledigt ist, fährt Trabant wieder runter und zieht sich zurück in seine überschaubare Welt. „Ich werde mich jetzt in meinen Garten setzen und die nächsten paar Tage mal nix tun.“

Vor allem sollte er vorübergehend die Spiegel in seinem Haus verhängen. „Ich habe eben noch in der Kabine in einen geguckt und mich gefragt, ob sich das alles noch lohnt. Wie werde ich wohl nach meiner Karriere aussehen?“ Wie ein Boxer eben.

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