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Sport: Wenn er Pillen nahm

Christoph Amend über die Theater-Aufführung des Jan Ullrich Sonnabendmorgens um zehn Uhr, ein Pressekonferenzraum in Frankfurt am Main, das Fernsehen sendet live. In den Hauptrollen: die verfolgte Unschuld, heute besetzt mit dem Radsportler Jan Ullrich im kurzärmeligen Hemd, am linken Ohr ein Ring, die Backen rot.

Christoph Amend über die Theater-Aufführung des Jan Ullrich

Sonnabendmorgens um zehn Uhr, ein Pressekonferenzraum in Frankfurt am Main, das Fernsehen sendet live. In den Hauptrollen: die verfolgte Unschuld, heute besetzt mit dem Radsportler Jan Ullrich im kurzärmeligen Hemd, am linken Ohr ein Ring, die Backen rot. In der zweiten Hauptrolle: das Böse, unsichtbar für den Rest der Welt. Aber man muss dem Darsteller nur zuhören, wie es dazu kam, dass ausgerechnet er, der nie etwas Unrechtes getan hat, in den Kontakt mit dem Bösen kam. Das Böse versteckt sich irgendwo da draußen, deutet der leere Blick des Darstellers an, es lauert an jeder Ecke, und seit gestern Vormittag wissen wir: Manchmal taucht es sogar in Münchner Nobeldiskotheken auf. Niemand kennt sein Gesicht oder seinen n, es gibt sich als Bekannter eines Bekannten aus, es hat etwas Teuflisches im Sinn und zwei Pillen in der Hand. Es flüstert einem Dinge ein, „das hilft dir“ beispielsweise, diese Worte gehen dem Darsteller nur zögerlich über die Lippen, als warte er auf den Souffleur, „es hilft gegen Depressionen“ und „das habe ich auch verschrieben bekommen“. Man selbst, spricht der Darsteller weiter, handelt in solchen Momenten „unbewusst“, die vielen Wodka-Redbull im Kopf, und dann schluckt man sie eben, „die Tabletten“, wie der Darsteller die Ecstasy-Pillen nennt. Tabletten, das klingt gesünder, nach Medizin! Das Böse jedenfalls ist kurz danach wieder verschwunden, spurlos natürlich, und als der arme Darsteller am nächsten Morgen von einer Dopingkontrolle überrascht wird, hat er nicht mal ein schlechtes Gewissen, sagt er. Am Ende der gestrigen Aufführung nimmt der Darsteller Ullrich dann sein Jackett vom Stuhl, Abgang von der Bühne. Das Böse ward nicht gesehen.

Wie gerne würden wir dem Darsteller glauben, und vielleicht stimmt ja alles genau so, wie er es vorgetragen hat. Oder vielleicht wollte er es einfach mal krachen lassen und muss nun dieses lächerliche Schauspiel vortragen von einem 28-Jährigen, der in seinem Leben noch nie von Ecstasy gehört hat. Es ist nur so, dass uns wieder das unbekannte Böse einfällt, wie damals im Fall des Leichtathleten Dieter Baumann. Als es eines Nachts in ein Badezimmer schlich und sich an Zahnpastatuben zu schaffen machte. Oder als es vor kurzem heimlich bei der Tante des italienischen, ebenfalls des Dopings verdächtigten Radsportlers Simoni auftauchte, um diesem Kokain in den Tee zu streuen. Potzblitz! Der Darsteller Ullrich hat am Sonnabend jedenfalls betont, er habe ein reines Gewissen, und es klang, als wolle er sagen: Nur du nicht, Böses, stelle dich!

Vielleicht hätte er lieber sagen sollen: Witz, komm raus, du bist umzingelt.

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