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Sport: „Wenn ich hier scheitere, bin ich raus“

Hannovers Manager Ilja Kaenzig über den Aufschwung seines Klubs, seine schnelle Karriere und das eigene Fan-Dasein

Herr Kaenzig, an diesem Samstag spielt Hannover 96 bei Bayern München, der Vierte der Bundesliga gegen den Fünften. Genießen Sie diese Situation?

Wir alle tun das. Aber es geht gar nicht ums Genießen. Wir wissen jetzt, dass wir auch mehrere Spiele hintereinander gewinnen können. Und wenn unsere Serie irgendwann zu Ende geht, können wir sagen: Okay, dann starten wir eine neue. Das ist wie ein Durchbruch für Hannover, wo die Leute ein negatives Selbstverständnis hatten. Wenn wir 2:0 geführt haben, hast du immer gehört: Wir spielen noch 2:2, oder wir verlieren. Jetzt hört das langsam auf.

Leiden Sie unter dem Außenseitertum Ihres Klubs?

Das kann man so sagen. Aber Hannover besitzt eben ein gewisses Image. Dabei haben wir neun Nationalspieler im Kader, nur registriert das keiner. Wir müssen uns noch Respekt verschaffen. Auf und neben dem Platz.

Als Sie noch bei Bayer Leverkusen waren, konnten Sie sogar im internationalen Fußball mitreden. Vermissen Sie die G 14 schon, die Vereinigung der wichtigsten europäischen Fußballklubs?

Vermissen nicht. Aber es war eine sensationelle Erfahrung. Ohne die G 14 läuft im Weltfußball nichts. Das sind die Klubs mit den besten Spielern der Welt und dem meisten Einfluss. Wenn da Strategien besprochen wurden, hattest du das Gefühl: So kommt sich der US-Präsident vor.

Glauben Sie denn, dass die G 14 Sie vermisst?

Ich hoffe es, und zumindest versuche ich, den Kontakt zu halten. Ich könnte jederzeit zum Hörer greifen und die Vertreter, die ich dort kennen gelernt habe, anrufen. Ich habe zum Beispiel Peter Kenyon vom FC Chelsea gefragt: Wie sieht es mit Robert Huth aus? Wollt ihr den ausleihen? Da weißt du zumindest, dass er nicht gleich auflegt. Chelsea will Huth zwar nicht ausleihen, aber das sind wertvolle Kontakte. Irgendwann werden sie auch Hannover 96 zugute kommen.

Kurz nach Ihrem Wechsel zu Hannover 96 hat Reiner Calmund als Manager von Bayer Leverkusen aufgehört. Wenn Sie noch ein bisschen gewartet hätten, wären Sie heute vielleicht sein Nachfolger.

Nein, es war nie die Rede davon, dass Calmund die Position für mich freimacht, sondern dass ich nach und nach in seine Rolle hineinwachse. Es war schon gewaltig, wie er den Laden zusammengehalten hat. Calmund hat immer den globalen Blick gehabt, sich nie von Kleinigkeiten aufhalten lassen. Außerdem war es beeindruckend, wie er die Leute geführt hat. In Leverkusen gab es einen ganz extremen Zusammenhalt. Aber ich habe ja auch keine Entscheidung gegen Leverkusen getroffen, sondern eine für Hannover.

Sie sind zwar erst 31, aber schon seit fast zehn Jahren in der Fußballbranche tätig. Mit 22 sind Sie beim Grasshopper-Club Zürich angestellt worden – nachdem Sie dem Verein einige Spieler angeboten haben.

Wenn ich gewusst hätte, wie die Mechanismen der Branche funktionieren, hätte ich mich das gar nicht getraut. Zum Glück war ich damals unbedarft, und zum Glück ist Erich Vogel, der Manager, damals sehr neugierig auf mich gewesen.

Und dann haben Sie in Zürich gleich einen Vertrag unterschrieben?

Ich habe erst ein halbes Jahr auf Honorarbasis gearbeitet. Da hat mich Erich Vogel getestet und mich Spieler beobachten lassen. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass er einige davon längst verpflichtet hatte.

Und wo sind Ihre Spieler gelandet?

(Lacht) Die hat dann wohl jemand anders untergebracht. Für mich ging es darum, dem Fußball näher zu kommen. Damals in der wilden Zeit gab es noch keine Lizenzen für Spielervermittler. Meine Kosten waren aber höher als meine Einnahmen. Ich habe sehr bescheidene Honorare genommen.

Hatten Sie mal den Eindruck, wegen Ihres Alters unterschätzt zu werden?

Eigentlich nicht. Entscheidend war immer, dass die Leute gemerkt haben: Der arbeitet professionell und ist kompetent. Gerade in einer Branche, in der es viele inkompetente Leute gibt, ist das ein Vorteil. Außerdem haben viele gesagt: Wenn der in dem Alter schon das und das macht, muss er was können. Es war fast wie eine Auszeichnung.

Haben Sie auch Geringschätzung erlebt?

Manchmal bin ich nicht gegrüßt worden, weil die Leute mich nicht kannten. Aber das darf man nicht zu ernst nehmen. Als unhöflichste Form habe ich es empfunden, wenn mich ältere Leute, die mich noch nie zuvor gesehen haben, einfach mit du angeredet haben, nach dem Motto: Ach, was machst du denn?

Gab es Vorbehalte gegen Sie, weil Sie selbst nie professionell Fußball gespielt haben?

Nein, aber das liegt auch daran, dass ich mich aus den sportlichen Dingen raushalte. Ich habe nun mal keine Länderspiele bestritten, auch wenn sich neulich zwei Leute im Stadion unterhalten haben und der eine behauptet hat, ich sei Schweizer Nationaltorwart gewesen. Ein Manager heute muss kein Übertrainer sein. Er muss die Mannschaft nicht noch mal neu aufstellen. Ich würde mich auch nie auf die Bank neben den Trainer setzen. Was soll das? Das könnte ich machen, wenn ich mich als Sportdirektor sähe. Aber der Job des Managers geht darüber hinaus.

Sieht Ihr Trainer Ewald Lienen Sie in Fußballfragen als kompetent an?

Kompetent mitreden kann jeder. Aber die sportlichen Entscheidungen fällen muss derjenige, der am kompetentesten ist: der Trainer. Wir müssen nicht stundenlang über Aufstellungen diskutieren; Ewald Lienen diskutiert ja auch nicht stundenlang mit mir über die Verträge der Spieler.

Sie reden viel über das Geschäft. Kommt da bei Ihnen die romantische Sicht auf den Fußball nicht ein bisschen zu kurz?

Romantik ist im Fußball ganz wichtig. Dass ehemalige Spieler wie Oliver Bierhoff, Ulf Kirsten oder hier in Hannover Carsten Linke dem Fußball erhalten bleiben, ist ein ganz wichtiger Teil der Fantasie. Diese Leute haben schon als Spieler Emotionen geschürt, und das können sie auch als Funktionäre. Wenn es nur Leute wie mich im Fußball gäbe, wäre es langweilig.

Besitzen Sie selbst eine romantische Ader für den Fußball?

Ich war großer Fan von Servette Genf, sogar Mitglied im Fanklub, und bin immer mit dem Zug von Luzern zu den Spielen nach Genf gefahren, natürlich im Trikot und mit Fanschal. Mit Servette habe ich einiges durchgemacht. Vor jeder Saison hatten die die beste Mannschaft, und am Ende sind sie dann doch wieder gescheitert.

Haben Sie Ihre Spieler auch in Genf angeboten?

Nein, das hätte ich komisch gefunden, weil ich eine emotionale Beziehung zu diesem Verein hatte. Da gab es mal eine Geschichte, die hat mir gereicht.

Was war da?

Als ich jung war, bin ich irgendwie an die Telefonnummer des Torhüters von Servette gekommen. Den habe ich aus Jux angerufen, mich als Vertreter von Reusch ausgegeben und ihm erklärt, er müsse neue Handschuhe tragen. So einen Blödsinn halt. Und er hat nichts gemerkt. Hinterher war mir das extrem unangenehm. Servette hat am nächsten Tag verloren. Oh Gott, habe ich gedacht, du hast den Mann völlig verwirrt. Nein, der Verein ist heilig.

Sie haben also früh getrennt zwischen persönlicher Liebe zum Fußball und dem Geschäft?

Ohne Liebe zum Fußball könnte ich diesen Job nicht machen. Aber das Fansein verflüchtigt sich immer mehr, je mehr du in diese Branche reinkommst. Heute berühren mich die Ergebnisse von Servette nicht mehr besonders.

Sind Sie ein Streber?

Ich weiß nicht, ob es im Fußball Streber gibt. Du kannst nicht sagen: In fünf Jahren möchte ich da und da arbeiten. Man muss immer den Moment nutzen und sich daran erfreuen. Bei mir ist die Situation anders als bei ehemaligen Spielern. Für die ist das die zweite Karriere. Wenn du schon eine Vergangenheit hast, kannst du scheitern und hast trotzdem noch etwas, worauf du aufbauen kannst. Wenn ich scheitere, bin ich raus aus dem Geschäft.

Sie haben Angst vorm Scheitern?

Auch ich bin abhängig von den Ergebnissen. Du kannst alles richtig gemacht haben, und die Mannschaft gewinnt trotzdem kein Spiel. In Leverkusen habe ich mir als zweiter Mann einen Ruf erarbeitet, den muss ich jetzt als Alleinverantwortlicher in Hannover bestätigen. Ich werde nur an den Erfolgen meiner Arbeit gemessen. Nicht daran, ob ich ein netter Mensch bin.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Friedhard Teuffel

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