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Sport: „Wer hat das Recht, mein Leben auseinander zu nehmen?“

Sebastian Deisler redet über Depressionen, widerspricht Sekten-Gerüchten und erwartet vom FC Bayern eine Entschuldigung

Herr Deisler, es heißt, Sie leiden an einer Depression. Können Sie das annehmen?

Depression ist ein hässliches Wort. Ich möchte das nicht mehr verdrängen. Ich weiß, dass ich Depressionen habe. Ich leide unter einer Krankheit.

Diese Erkenntnis kann auch etwas Beruhigendes haben. Es ist nichts vom Himmel gefallen, Sie sind nicht verhext worden. Eine Krankheit kann man heilen.

Ja, aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen, und das ist zurzeit überhaupt nicht der Fall. Ich bin vor vier Wochen in die Klinik gekommen, um mich auszuruhen. Wie soll ich mich erholen bei dem ganzen Theater, das da in den letzten Tagen veranstaltet wird? Ich kriege ja nicht alles mit, was da draußen los ist, ich lese ja auch nicht alle Zeitungen. Aber das, was ich mitbekomme, das reicht mir schon.

Seit Sie im Münchner Max-Planck-Institut behandelt werden, gibt es die wildesten Spekulationen. Angeblich werden Sie von vier geheimnisvollen Freunden von der Außenwelt abgeschirmt. Der Verein, die Familie, die Presse, keiner kommt an Sie heran.

Ich kenne meine Freunde, manche länger, manche kürzer. Ich bin mit ihnen durch dick und dünn gegangen, sie haben mir bei allen Sachen geholfen, ohne sie hätte ich nicht mehr Fußball spielen können. Sie waren diejenigen, die mir richtig Kraft gegeben haben. Dass sie jetzt so in der Presse durch den Schmutz gezogen werden, das kann ich nicht zulassen. Und das werde ich auch nicht zulassen. Wie alle Menschen haben meine Freunde und ich ein Recht auf Privatsphäre. Wer hat das Recht, mir nachzuspionieren, wer meine Freunde sind? Wer hat das Recht, in aller Öffentlichkeit mein Privatleben auseinander zu nehmen?

Sie sprechen viel vom Leid Ihrer Freunde und wenig von Ihrem eigenen.

Es geht ihnen ja auch nicht gut. Es sind Leute, die nichts mit dem Fußball zu tun haben, was mir sehr wichtig war, nach der Scheckaffäre in Berlin…

… als das Faksimile eines Überweisungsträgers über 20 Millionen Mark auf der Titelseite der Bild-Zeitung abgebildet war und damit Ihr Wechsel zum FC Bayern bekannt wurde…

…habe ich mich von allen zurückgezogen. Ich habe niemandem mehr vertrauen können. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Man hat mich nackt ausgezogen. Ich war drei Tage hintereinander auf der Titelseite der Bild-Zeitung. Ich war ganz unten. In dieser Phase habe ich meine jetzigen Freunde kennen gelernt. Ich habe diese Leute nicht in die Öffentlichkeit gebracht, um sie zu schützen. Sie haben mir die Kraft gegeben, die ich gebraucht habe. Das war das einzige Stückchen Privatsphäre, das ich noch hatte. Das versucht man mir jetzt wegzunehmen, und das kann ich nicht zulassen.

In all den Berichten über Sie in den vergangenen Tagen schwingt immer die Befürchtung mit, Ihre Freunde hätten Sie unter Kontrolle und nutzen Sie aus, es herrsche ein Abhängigkeitsverhältnis wie in einer Sekte.

Und welche Beweise gibt es dafür? Dass ich mich für Buddhismus interessiere und mich mit dem Dalai-Lama auseinander setze? Der Buddhismus ist eine Weltreligion, und der Dalai-Lama ist als Oberhaupt immerhin Friedensnobelpreisträger. Oder dass ich Yoga mache? Das stimmt, ich mache Yoga, wie übrigens auch meine Münchner Kollegen Oliver Kahn oder Bixente Lizarazu und viele andere berühmte Persönlichkeiten. Sind die deswegen gleich in einer Sekte? Nein, der Stress, dem wir jeden Tag in der Öffentlichkeit ausgesetzt sind, den kann sich ein Normalmensch doch gar nicht vorstellen. Meine gesundheitliche Situation ist ja nicht zufällig entstanden. Solange ich in Behandlung bin, helfen mir meine Freunde. Sie wissen ja, dass ich mich vor ein paar Monaten von Jörg Neubauer getrennt habe. Ich wollte einfach keinen Spielerberater mehr an meiner Seite haben. Seitdem habe ich einige Sachen offen. Jetzt, da es mir schlecht geht, kann ich mich darum nicht kümmern, und deswegen habe ich meine Freunde gerufen, damit sie mir helfen. Sobald es mir besser geht und andere Leute gefunden sind, werden sie wieder gehen. Sie haben ihr Privatleben zurückgestellt, um mir zu helfen. Und jetzt werden sie dargestellt wie Verbrecher.

Einer Ihrer Freunde soll Vollmacht über Ihre Konten besitzen.

Noch mal, zum mitschreiben: Das ist mein P-r-i-v-a-t-l-e-b-e-n. Wem ich meine Sachen anvertraue, geht niemanden etwas an. Aber wenn Sie wirtschaftliche Dinge ansprechen: Ich habe tausendprozentiges Vertrauen zu der benannten Person. Es kommt doch immer darauf an, was in der Zeit der Freundschaft passiert ist und wie sich was entwickelt hat. Meine Freunde haben zu mir gestanden, als alles den Bach runterging. Das habe ich auch Uli Hoeneß erzählt…

… dem Manager vom FC Bayern München…

… wir hatten ein sehr gutes Gespräch, und er hat mir zugesichert, dass alle Sachen in der Öffentlichkeit klargestellt werden. Ich lasse mir meine Freunde nicht schlecht machen. Angeblich haben die Bayern behauptet, ich lasse mich von falschen Freunden leiten. Ich kann im Augenblick nicht zuordnen, von wem diese Behauptung stammt. Aber sie muss auf jeden Fall zurückgenommen werden.

Uli Hoeneß wird in den Münchner Zeitungen mit der Bemerkung zitiert, er werde alles tun, um Ihre falschen Freunde auszusortieren.

Ich tue mich noch immer schwer damit zu glauben, dass er das wirklich gesagt hat.

Ihr Verhältnis zum FC Bayern scheint gespannt zu sein.

Das liegt an der Behandlung meiner Freunde. Sie sind völlig fertig nach all dem, was sie in den Zeitungen über sich lesen mussten. Dafür müssen sie in der Öffentlichkeit rehabilitiert werden, mit einer Entschuldigung.

Von wem soll diese Entschuldigung kommen?

Vom FC Bayern.

Sie vermuten Ihren Arbeitgeber hinter all dem Ärger?

Es ist zumindest bekannt, dass auch Privatdetektive eingesetzt wurden.

Das ist bekannt?

Meine Schwester hat mir erzählt, dass der Trainer…

…Ottmar Hitzfeld…

…meinem Vater am Telefon erzählt haben soll, der Verein hätte Privatdetektive auf meine Freunde angesetzt.

Im Auftrage des FC Bayern?

So ist es rübergekommen. Ich bitte darum, dass das zurückgenommen wird. Das haben meine Freunde nicht verdient. Nur weil sie mir in der Not geholfen haben? Nur weil sie nichts mit der Welt des Fußballs zu tun haben? Nur weil ich mir ein kleines Stück Privatsphäre erhalten wollte? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte das Vertrauensverhältnis zum FC Bayern unbedingt wiederherstellen. Aber das geht nur, wenn alles geklärt ist. Ich verstehe Uli Hoeneß. Denn der Verein hat eine Fürsorgepflicht für die Spieler, also auch für mich. Aber meine Freunde hatten sich ihm von Anfang an vorgestellt, warum hat er nicht mit ihnen dann weiter gesprochen? Das verstehe ich nicht.

Glauben Sie wirklich, dass der FC Bayern dazu bereit ist? Immerhin sollen Ihre Freunde versucht haben, Sie zur Therapie aus München nach Berlin zu holen. Der FC Bayern, heißt es, habe das verhindert.

Das stimmt nicht. Das Gegenteil ist richtig. Meine Freunde waren diejenigen, die mich in die Klinik gebracht haben. Ich wollte nach Berlin, und sie haben mich davon abgehalten.

Warum darf zurzeit außer Ihren Freunden niemand zu Ihnen?

Diese Reaktion gehört zum Krankheitsbild. Ich will jetzt nicht groß über meine Depressionen reden, das sollen die Ärzte tun. Aber es ist nun mal so, dass ich einen gewissen Abstand zu allem brauche.

Ist die Begrenzung Ihrer Kontaktpersonen eine Empfehlung der Ärzte?

Nein, das ist allein meine Entscheidung. Ich brauche einfach Zeit und Abstand zum Fußball. Und zu den Personen, die mit dem Fußball zu tun haben.

So defensiv Sie mit der Öffentlichkeit umgehen, so offensiv tut das Ihr Verein. Der FC Bayern hat Ihre Krankheit als großes Medienereignis inszeniert, mit einer Pressekonferenz, die live im Fernsehen übertragen wurde.

Das war hundertprozentig in meinem Sinne. Und es trifft auch zu, dass ich Uli Hoeneß angerufen und um Hilfe gebeten habe. Ich konnte nicht mehr.

Erst hieß es ja, Sie hätten eine Grippe.

Dieses Versteckspiel hatte ich irgendwann satt. Ich wollte die Wahrheit sagen. Ich bin zufrieden mit dieser Entscheidung, so schwierig die Situation zurzeit auch ist.

In welchem Zeitrahmen denken Sie über Ihre Zukunft nach?

Es gibt keine Termine, ich setze mich nicht mehr unter Druck. Das habe ich in den letzten Wochen gelernt. Ich war immer unter Druck, erst in den Jugendnationalmannschaften, da musste ich sogar in höheren Jahrgängen spielen. Dann der frühe Wechsel nach Mönchengladbach…

…mit 15 Jahren ganz allein von zu Hause weg…

…da habe ich den Sprung in die Bundesligamannschaft geschafft und war auf einmal der Mann, auf den alle in Mönchengladbach gehofft haben. Mit 18 Jahren! Dann kam der Wechsel nach Berlin, und ich dachte, es würde ein wenig ruhiger werden, dass ich mich in der großen Stadt hinter jemandem verstecken kann. Aber es wurde noch viel schlimmer. Auf einmal habe ich in der Nationalmannschaft gespielt, auf der zentralen Position, noch früher als im Verein. Plötzlich war ich der Hoffnungsträger eines ganzen Landes. Dann kam die Sache mit dem Scheck, der Wechsel zu den Bayern – der Druck wurde mit jedem Tag größer. So sah mein Leben aus: Ich habe immer wieder Sachen verdrängt, ich hatte immer das Gefühl, man braucht mich, da habe ich alles andere beiseite geschoben. So konnte es nicht weitergehen, und so darf es in Zukunft nicht mehr sein.

Aber der Druck wird wiederkommen, wenn Sie wieder spielen.

Nein, das glaube ich nicht. Es ist auch unerheblich, denn dieser Zeitpunkt ist noch weit weg. Erst einmal muss ich gesund werden. Aber alles, was zurzeit passiert, trägt eher zum Gegenteil bei. Meine Frau und ich, wir bekommen in ein paar Wochen ein Baby. Können Sie sich vorstellen, was das für eine Situation ist? Es geht hier um Menschen!

Geht es Ihnen schlechter als zum Beginn der Therapie?

Nein, so würde ich es nicht sagen. Es ist schon besser geworden. Ich spreche oft mit Professor Holsboer…

…dem Leiter des Max-Planck-Instituts…

…und ich fühle mich bei den Ärzten sehr gut aufgehoben. Zu den anderen Patienten habe ich keinen Kontakt. In der Klinik habe ich ein Einzelzimmer und durchaus meine Freiheiten, ich bin da nicht eingesperrt. Ich kann auch mal, wie jetzt für dieses Gespräch, nach Hause in meine Wohnung fahren.

Wie schlägt die Therapie an?

Das kann nur der Professor beurteilen. Aber Sie können davon ausgehen, dass die Fortschritte, die ich in der ersten, unbehelligten Zeit erzielt habe, sehr gelitten haben unter den Ereignissen der letzten Tage.

Sie sind nicht der einzige Fußballer, der an Depressionen leidet. Haben Sie mal daran gedacht, sich einem Mitspieler zu öffnen?

Nein, dafür bin ich nicht der Typ. Ich bin nun mal etwas verschlossener. Ein anderer hätte bei der Scheck-Affäre vielleicht gesagt: na und? Für mich ist die Welt untergegangen. Ich weiß nicht, ob ich mich dafür entschuldigen muss.

Die Bayern haben vor dieser Saison den Druck auf Sie erhöht. Manager Hoeneß hat gesagt: Die Schonzeit ist abgelaufen.

Das verstehe ich. In dieser Hinsicht mache ich den Bayern keine Vorwürfe. Das war einfach mein Schicksal.

Der Zusammenbruch kam ausgerechnet zwei Wochen nach dem Bundesligaspiel gegen Kaiserslautern, Ihrem vielleicht besten für die Bayern. Sie haben zwei Tore geschossen, und ganz Deutschland glaubte, Sebastian Deisler habe wieder seine Topform erreicht.

Auch darüber habe ich mit dem Professor gesprochen. Er sagt, es ist ganz typisch, dass der Zusammenbruch kommt, wenn man denkt, dass man über den Berg ist.

War das der Augenblick, an dem Sie wussten: Es geht nicht mehr!

Einen konkreten Augenblick gab es nicht. Es hatte sich einfach so viel aufgestaut, mit den vielen Verletzungen und der Scheckaffäre, ich hatte so viel zu verarbeiten. Es ging einfach nicht mehr.

Das Gespräch führten Sven Goldmann und Michael Rosentritt.

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