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Sport: Wer schweigt, hat Recht?

Vielleicht radelt Jan Ullrich ja morgens sogar zum Bäcker. Jedenfalls ist er nicht abgetaucht, er lebt ganz normal zu Hause, in Scherzingen in der Schweiz.

Vielleicht radelt Jan Ullrich ja morgens sogar zum Bäcker. Jedenfalls ist er nicht abgetaucht, er lebt ganz normal zu Hause, in Scherzingen in der Schweiz. Das teilte er gestern per Fax mit. Interessant. Aber das war nicht die Nachricht, auf die Fans, Medien und Sponsoren warten. Die wollen vor allem seine Sicht zu den Dopingvorwürfen erfahren. Sie wollen wissen, ob es wirklich klug ist, eine DNA-Analyse zu verweigern. Sicher, seine Anwälte raten von dem Test ab, andererseits könnte er damit denkbar einfach seine Unschuld beweisen. Aber dazu schweigt der Radprofi, und mit jedem Tag, an dem er schweigt, senkt sich der Daumen der Öffentlichkeit weiter über ihn. Sein sportlicher Berater Rudy Pevenage ist schon überführt, es gibt Indizien, Abhörprotokolle, seitenweise Material, das Ullrich belastet. Eigentlich, moralisch gesehen, hat er nur noch eine Chance, sich gegen den Eindruck zu wehren, er habe betrogen: Er muss reden, Fragen beantworten, einen DNA-Test machen lassen. Wenn er denn wirklich unschuldig ist.

Aber es gibt nicht bloß den Radprofi Ullrich, es gibt auch den Bürger Ullrich, Angehöriger eines Rechtsstaates. Der Bürger Ullrich hat alles Recht dieser Welt zu schweigen. Er muss niemandem seine Unschuld beweisen. Für die Klärung von Schuld und Unschuld sind allein Gerichte zuständig. Das alles sollte man nicht vergessen, wenn die Empörung über den schweigenden Ullrich kulminiert. Öffentlicher Druck zur Aussage setzt keine Menschenrechte außer Kraft. Es gibt genügend Beispiele, bei denen öffentlich bereits Urteile gefällt waren, die sich dann im Gerichtsprozess als falsch erwiesen.

Ullrichs Anwälte, mal unterstellt, ihr Mandant ist unschuldig, leben in einem bemerkenswerten Spannungsfeld. Sie müssen Ullrichs Grundrechte abwägen gegen den Image- und damit auch finanziellen Schaden, den sein Schweigen anrichtet. Wo sie die Grenze ziehen, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Seite 21

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