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Lehmann

© dpa

Wer wird Europameister?: Zehn Gründe für Deutschland - zehn Gründe für Spanien

Unsere EM-Reporter Stefan Hermanns (Deutschland) und Sven Goldmann (Spanien) schreiben auf, was im Finale für das eine oder das andere Team spricht.

Deutschland wird Europameister ...

… weil es einfach mal wieder Zeit wird. So lange wie jetzt mussten die Deutschen nur nach dem ersten WM-Titel 1954 warten - bis zur erfolgreichen EM 1972. Zwölf Jahre liegt der letzte Titel der Nationalmannschaft zurück, aber gefühlt darbt die Nation schon viel länger: weil 1996 nicht das Ende einer großen Ära war, sondern nur noch ein letztes Flackern in einer schon eher trüben Zeit.

… weil die Nationalmannschaft nach dem Halbfinale gegen die Türkei mit Sicherheit nicht als Favorit in dieses Endspiel geht. Den Deutschen kommt es auf jeden Fall entgegen, wenn ihnen nicht allzu viel zugetraut wird. Sie entwickeln dann einen grandiosen Selbstbehauptungswillen, der schon viele Gegner in die Verzweiflung getrieben hat - zuletzt die Portugiesen im Viertelfinale.

… weil die Deutschen Michael Ballack haben, den vermutlich einzigen aktuellen Weltstar ohne internationale Erfolge. In Sachen Titel hat Ballack noch akuten Nachholbedarf. Trotz Blessur wird er alles für einen Sieg tun, der ihm endgültig einen Platz in der Ahnenreihe des deutschen Fußballs sichert. Denn bislang ist Ballack Experte für zweite Plätze, ganz egal ob verschuldet (Unterhaching 2000) oder unverschuldet (Moskau 2008).

… weil es die einzige Möglichkeit ist, Jens Lehmann als Nummer eins loszuwerden. Ein internationaler Titel wäre die Krone auf seine Karriere. Andernfalls würde Lehmann sich wohl entscheiden bis zur WM 2010 in der Nationalmannschaft weiterzumachen, nach Ablauf seines Einjahresvertrags beim VfB Stuttgart notfalls auch ohne Verein und ohne Spielpraxis.

… weil sich im Finale entscheidet, ob Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger auf ewig Poldi und Schweini bleiben - oder ob sie endlich erwachsen werden. Der Titelgewinn bei der Europameisterschaft ist für sie auf absehbare Zeit die einzige Chance, aus dem Talentstatus herauszutreten, zumindest bis zur WM 2010, dem nächsten Großereignis mit der Nationalmannschaft. Bis dahin drohen ihnen wieder zwei zähe Jahre beim FC Bayern.

… weil Joachim Löw bei dieser Europameisterschaft die größte Entwicklung genommen hat. Der Bundestrainer hat auf die besonderen Anforderungen mit besonderen Maßnahmen reagiert. Seine Gegner werden ihm vorhalten: Er hat seine Prinzipien über den Haufen geworfen, um erfolgreich zu sein. Nennen wir es lieber: Flexibilität. Wahrscheinlich hat Löw die Wucht eines solchen Turniers am Anfang unterschätzt, aber er hat gerade noch rechtzeitig herausgefunden, dass seine Mannschaft nicht stark genug ist, um einfach ihr Ding durchzuziehen. Auch heute nicht gegen Spanien. Deshalb wird Löw der Mannschaft wieder einen perfekten Plan mit auf den Weg geben.

… weil der Bundestrainer klug genug ist, einen Fehler nicht ein zweites Mal zu machen, und David Odonkor im Finale daher ganz sicher nicht zum Einsatz kommen wird. 

… weil die Deutschen in Jahren, die auf acht enden, noch nie etwas gewonnen haben: 1938 sind sie im WM-Achtelfinale gegen die Schweiz rausgeflogen, 1958 im WM-Halbfinale an Schweden gescheitert, 1968 qualifizierten sie sich dank einem ruhmreichen 0:0 gegen Albanien gar nicht erst für die EM, über 1978 ist in den vergangenen Wochen genug geschrieben und geredet worden (Cordoba!), 1988 traf van Basten in letzter Minute im Halbfinale der EM für Holland, 1998 beendete eine Rote Karte für Christian Wörns im Viertelfinale gegen Kroatien den Traum vom WM-Titel - und 2008 zeigt sich endlich, dass das mit der Acht alles nur blödsinniger Aberglaube ist.

… weil die Nationalmannschaft bisher jedes Turnier in der Schweiz gewonnen hat. Okay, es hat mit der WM 1954 auch erst eins gegeben, aber diese Statistik muss erst einmal widerlegt werden.

… weil der Gegner im Endspiel Spanien heißt und Spanien nie was gewinnt.

Spanien wird Europameister ...

… weil es an der Zeit ist, dass diese große Fußballnation endlich mal großen Titel holt. Spanien hat die beste Liga der Welt, doch seine Nationalmannschaft hat international weniger gewonnen als Griechenland oder Dänemark. Die Europameisterschaft 1964 zählt nicht, weil sie noch keine richtige war und bei der Endrunde viele große Nationen fehlten, zum Beispiel Griechenland,  Dänemark - und der heutige Finalgegner.

… weil der Gegner Deutschland heißt und so viele Endspiele verloren hat wie keine andere Mannschaft, nämlich sechs, das letzte vor sechs Jahren. Vier der Verlierer von Yokohama 2002 sind heute noch dabei, und auch der damals gesperrte Michael Ballack kann sich noch gut an das Scheitern im entscheidenden Augenblick erinnern (mit verlorenen Endspielen hat er ja ohnehin unschätzbare Erfahrungen). Die letzte spanische Finalniederlage liegt 24 Jahre zurück.

… weil die spanischen Spieler einen technisch ähnlichen Stil pflegen wie ihre Nachbarn aus Portugal und deswegen aus eigener Erfahrung genau wissen, wie man bei dieser EM gegen Deutschland auf gar keinen Fall spielen darf. Nämlich so wie die Portugiesen im Viertelfinale.

… sie im Zweifelsfall auch Elfmeterschießen können - und Elfmeter halten können. Dank Iker Casillas, der unbestritten der beste Torhüter des Turniers ist.  Weil Mittel- und Ringfinger zur Stabilisierung zusammengeklebt sind, trägt Casillas Spezialhandschuh mit nur vier Fingern. Aber wer möchte schon mit Jens Lehmanns zehn Fingern tauschen?

… weil der beste Torschütze fehlt. Durch David Villas Verletzung steigt die Wahrscheinlichkeit, das Cesc Fabregas, der beste Reservespieler aller Zeiten, von Anfang an spielt. Fabregas, Xavi Hernandez, Andres Iniesta, David Silva und Marcos Senna bilden ein Mittelfeld von unerreichter Qualität. Die Russen haben es im Halkbfinale zu spüren bekommen.

… weil sie die am besten besetzte Ersatzbank haben. Mit Daniel Güiza, dem Torschützenkönig der Primera Division, und Xabi Alonso, dem Antreiber vom FC Liverpool. Die Deutschen haben David Odonkor.

… weil nur durch einen Finalsieg sichergestellt ist, dass Trainer Luis Aragones wirklich aufhört, was schon mal in seinem ureigenen Interesse liegen sollte. Der Mann wird in ein paar Wochen 70.

… die spanischen Offensivzauberer so klein gewachsen sind, dass sie problemlos samt Ball durch die Beine von Mertemetze laufen können.

… die Spanier taktisch nicht festgelegt sind. Sie können kontern (wie in der Vorrunde gegen Russland), das Spiel machen (wie im Halbfinale gegen Russland) und lassen sich auch durch Fußballverweigerung seitens des Gegners (im Viertelfinale gegen Italien) nicht aus der Ruhe und erst recht nicht aus dem Konzept bringen. Das Spiel gegen Italien war für die wichtigste Erfahrung bei diesem Turnier:  Sie können auch siegen, ohne schön zu spielen.

... weil be den Deutschen nun doch Michael Ballack spielt. Und der gewinnt ja nie irgendwas.

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