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Sport: Wer zu früh zuckt, ist draußen

Sprinter Jon Drummond wollte seine Disqualifikation partout nicht einsehen – dabei kennt er die Regel am besten

Von Frank Bachner

Paris. Genau genommen ist Marc Maury schuld an dem ganzen Theater. Nicht an allen Details natürlich. Er konnte nichts dafür, dass Jon Drummond im Startblock einen Wimpernschlag zu früh zuckte und deshalb bei der WM im 100-m-Zwischenlauf disqualifiziert wurde. Er konnte auch nichts dafür, dass Drummond eine Viertelstunde lang auf der Bahn lag, als müsste er einen Castor-Transport blockieren. Aber Maury konnte etwas dafür, dass Drummond die Rolle des armen Opfers zelebrieren und sein Trainingskumpel Ato Boldon anschließend 20 Minuten lang provozierend den Startschuss verzögern konnte. Vor allem konnte Maury etwas dafür, dass die Zuschauer ausdauernd pfiffen, um Drummond Solidarität zu beweisen.

Marc Maury ist der Stadionsprecher im Stade de France, er hätte den Zuschauern gleich nach Drummonds Disqualifikation die Fehlstart-Regeln erklären müssen. Maury kennt sie natürlich, er war schon bei der WM 2001 Stadionsprecher. Aber weil Maury schwieg, konnten Drummond und Boldon diverse Kontrahenten nerven. Kim Collins aus St. Kitts and Nevis zum Beispiel. „Wir alle kennen die Regeln. Wenn du sie brichst, bist du draußen“, sagte er. „John schadete uns allen.“ Der wütende Collins lief trotzdem mit 10,09 Sekunden ins Halbfinale.

„Wir können ja schlecht eine Polizeieskorte hinschicken“, sagt Weltverbands-Funktionär Helmut Digel zu dem Auftritt der beiden US-Sprinter. „Da muss der US-Verband eingreifen und das unterbinden.“ Der Weltverband IAAF droht dem US-Verband mittlerweile damit, dass er Drummond sperren wird wegen Missachtung der Fehlstartregel. Der amerikanische Verband erhielt eine Frist bis heute Abend, selbst zu reagieren, ansonsten wird Drummond für den Rest der WM gesperrt, dürfte also auch in der Staffel nicht mehr laufen. Bislang lieferte der US-Verband bloß eine nichtssagende Erklärung zu dem Vorfall, betonte, dass Drummond am Ende ja doch einsichtig gewesen sei.

In Paris kursiert inzwischen die Geschichte, dass Drummonds Blockade und Boldons Eskapaden Teil einer gezielten Provokation sind. Die neue Startregel, nach der ein zweiter Fehlstart automatisch zur Disqualifikation führt, soll wieder abgeschafft werden. Das sei Sinn dieser Provokation. Auffällig ist jedenfalls, dass alle Mitglieder der Trainingsgruppe von Starcoach John Smith am schärfsten gegen die Einführung der neuen Regeln protestiert hatten. Zu dieser Gruppe gehören Drummond und Boldon, vor allem auch der dreimalige Weltmeister Maurice Greene. Und es geht damit um viel Geld. Die Sprinter kassieren pro Meeting-Start jeweils zwischen 30 000 und 70 000 Dollar. Allerdings nur, wenn sie ihre Strecke auch absolvieren. Scheiden sie aber wegen der neuen Fehlstart-Regel frühzeitig aus, könnte es sein, dass ihnen die Gage halbiert wird. Oder, noch schlimmer, dass sie auf Schadensersatz wegen des Imageverlustes des Meetings verklagt werden. So jedenfalls wurde, verklausuliert, die Kritik begründet.

Ungewohnte Härte durch die neue Regel scheidet jedenfalls als Begründung aus. Bei US-Universitätsmeisterschaften, an denen fast alle Topsprinter von Smith teilnahmen, ist – seit rund 20 Jahren – nicht ein einziger Fehlstart erlaubt. Wer zu früh zuckt, ist draußen. Das weiß auch Jon Drummond. Er studierte an der Texas Christian Universität.

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