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Eisschnelllauf-WM - 500 Meter - Jenny Wolf siegt

© dpa

Wettkampf des Tages: Pokern mit dem Phantom

Der Kampf um Eisschnelllauf-Gold über 500 Meter der Frauen reduziert sich auf das Duell von Weltmeisterin Jenny Wolf mit Wang Beixing. Doch die Chinesin ist abgetaucht.

Was ist denn das jetzt für eine Nummer? Ist sie naiv? Oder extrem selbstbewusst? Oder pokert sie einfach nur? Auf jeden Fall ist Wang Beixing abgetaucht, einfach verschwunden. Niemand hat sie bis gestern im Richmond Olympic Oval gesehen. Stephan Gneupel macht das ganz unruhig. Er ist einer der deutschen Eisschnelllauf-Trainer in Vancouver, und vor Ort sagte er den Reportern: „Ich begreife nicht, warum sie so pokert. Seit wir hier sind, haben wir sie nicht gesehen. Entweder ist sie verletzt, oder sie haut ein Ding raus, dass die Heide wackelt.“

Die Heide ist ihm dabei ziemlich egal, aber vor allem würde dann auch Jenny Wolf wackeln, die schärfste Rivalin von Beixing. Wolf oder die Chinesin, eine von beiden wird heute Abend Olympiasiegerin über 500 Meter, etwas anderes kommt gar nicht infrage, das sagen alle Experten. Das sagt auch die 500-Meter-Weltrekordlerin und -Weltmeisterin Wolf. Na ja, sie sagt’s nicht ganz so zurückhaltend. Wolf erklärt lakonisch: „Rational betrachtet, kann bei mir nichts anderes als Gold herauskommen.“

Rein rational betrachtet ergibt das Versteckspiel von Beixing keinen Sinn. „Das Eis hier hat jeden Tag eine andere Qualität. Man muss sich auf diese Halle gut vorbereiten“, sagt Jenny Wolf. Also, weshalb dann dieses Abtauchen? „Vielleicht hat sie ja Angst“, erwidert die Deutsche in Vancouver. Späßchen gemacht.

Versteckspiel von Beixing ergibt keinen Sinn

Sie würde ganz gerne mit ihr Smalltalk machen, die beiden kommen gut miteinander aus. „Wir reden über unsere Freunde, über ein paar andere Sachen, es macht schon Spaß“, sagte Wolf, als sie sich in Erfurt auf Vancouver vorbereitete. Die Chinesin lobt dann immer den exzellenten Start der Berlinerin, die ersten 100 Meter, auf denen Wolf nahezu unschlagbar ist. Die Deutsche revanchiert sich mit dem netten Hinweis, dass die Kurventechnik der Chinesin „wirklich toll ist“. Viel toller als ihre eigene in der zweiten Innenkurve auf jeden Fall. Die zweite Innenkurve ist die große Schwachstelle der 31 Jahre alten Gesamt-Weltcupsiegerin aus Berlin.

So reden die Rivalinnen üblicherweise locker miteinander, und jede weiß, dass die andere natürlich auch ein bisschen Show macht. „Ich bin immer freundlich, ich mag sie ja“, sagt Wolf, „es muss niemand wissen, wie aggressiv ich dann auf der Bahn bin.“

Eisschnellläuferinnen zelebrieren keine extremen Psychospielchen wie die Sprinter in der Leichtathletik. Eigentlich. Deshalb passt Beixings Versteckspiel nicht so richtig ins Bild. Ein paar Kleinigkeiten hat Jenny Wolf natürlich auch im Repertoire, aber das ist kaum der Rede wert. Sie achtet beim Essen darauf, dass sie gerade sitzt. Zumindest, wenn sie beim Wettkampf ist und mit den anderen in der Kantine sitzt. Wer gebeugt auf seinen Teller starrt, gibt ein Bild von Schwäche ab. Jenny Wolf achtet auch genau darauf, wie die anderen dasitzen. Aber sonst? Sonst ist sie unkompliziert, vertraut auf ihr intensives Training im Kraftraum, ihren explosiven Start und ihr Selbstbewusstsein, das sie nach Weltrekorden, drei WM-Titeln und dem Sieg im Gesamt-Weltcup aufgebaut hat. „Mich kann man um fünf Uhr wecken“, sagt sie, „dann laufe ich immer noch gut.“

63 Zentimeter Oberschenkelumfang

Solche Spielchen wie die von Beixing sind auf jeden Fall gefährlich. „Sie geht ein hohes Risiko ein, wenn sie das Eis gar nicht testet“, sagt Frauen-Bundestrainer Markus Eicher in Vancouver. In Obihiro, bei der Sprint-WM in Japan im Januar, da hatte Jenny Wolf ähnliche Probleme. Damals ging es nicht um die Eisqualität, sondern um die Bahn als solche. Aber der Punkt war: Sie kam mit den Bedingungen nicht zurecht. Die Bahn in Obihiro ist sehr breit, das bedeutet, dass der Kurveneingang sehr kurz ist. Man muss die Kufen anders setzen als sonst, damit man auf der schnellsten Linie bleibt. Jenny Wolf hatte damit Probleme, sie war an diese Bahn nicht genug gewöhnt.

Am Ende wurde sie Dritte, nur Dritte. Für Leute, die Obihiro als Olympia-Generalprobe betrachteten, war das eine ziemliche Pleite. Jenny Wolf sah’s gelassener. „Ich bin aus vollem Training gestartet. Es gab keine Zielsetzung.“ Gab es natürlich doch, zwei Siege genau gesagt, aber eher aus Gewohnheit. Jenny Wolf ist die überragende Sprinterin über 500 Meter, sie läuft immer auf Sieg. Und in Obihiro fehlte Beixing, die einzige Frau, die Wolf gefährlich geworden war. Beim Weltcup in Lake Placid im Dezember hatte die Chinesin ein Rennen gegen die Deutsche gewonnen. Andererseits stellte Wolf im anderen 500-Meter- Rennen in Lake Placid auch einen Weltrekord auf. Und beim Weltcup in Heerenveen hatte die Deutsche ihrer chinesischen Rivalin auf den ersten 100 Metern vier Zehntelsekunden abgenommen.

Wenn sie sich denn endlich treffen in Vancouver, die Deutsche und die Chinesin, und Beixing wieder ihren Start lobt, dann kann Jenny Wolf ja mitteilen, warum sie so explosiv loslegt: Ihre Oberschenkel haben inzwischen einen Umfang von 63 Zentimetern.

Eisschnelllauf, 500 Meter der Frauen, 1. und 2. Lauf, ab 22 Uhr.

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