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Sport: Wie eingewechselt

Lukas Podolskis Karriere trägt manisch-depressive Züge. Nur bei der Nationalmannschaft fühlt er sich anerkannt

Lukas Podolski erkannte die Lücke, er fackelte nicht lange, stieß beherzt in den freien Raum und setzte sich auf den freien Stuhl neben Harald Stenger, den Mediendirektor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Für den Moment hatte Lukas Podolski alles richtig gemacht, ein paar Minuten später aber musste er sich wieder korrigieren lassen: Doch der falsche Laufweg, bitte mehr in die Mitte. Lukas Podolski kennt derartige Akribie, wenn es um die richtige Positionierung geht; beim Training in der Nationalmannschaft machen sie häufig solche Trockenübungen ohne Ball. „Man hat neue Laufwege kennengelernt und neue Spielzüge“, sagt er zu seinen taktischen Fortschritten unter Bundestrainer Joachim Löw. „Das hat mir auch weitergeholfen.“

Das ist sehr schön, dass der 22 Jahre alte Nationalstürmer das inzwischen so sieht. Podolski wurde bisher nämlich eine natürliche Abneigung gegen Laufwege nachgesagt. „Spiel ohne Ball?“, hat er einmal gesagt. „Da kann ich keine Tore schießen.“ Doch Podolskis Sinneswandel hat einen simplen Grund. Tags zuvor hatte Joachim Löw seine Erwartung geäußert, „dass Lukas lernt, Laufwege zu machen, um sich permanent ins Spiel zu bringen. Wenn er permanent im Spiel ist und viele Ballkontakte hat, hat er alles, was ein Stürmer auf internationalem Topniveau braucht“. Die Münchner „Abendzeitung“ kleidete die Forderung des Bundestrainers in die Überschrift „Poldi lernt laufen“.

Das ist in der Tat eine Nachricht, weil Deutschland bisher geglaubt hat, dass Lukas Podolski schon alles kann. Vor allem Podolski selbst hat wohl geglaubt, dass seine Ausbildung längst abgeschlossen sei. Das war ein Irrtum, denn im Grunde hat Podolski nie eine Ausbildung genossen. Aus der A-Jugend des 1. FC Köln spurtete er mit einem Hochbegabtenstipendium gleich in die Nationalmannschaft. Den Hang zur Demut fördert eine solche Karriere ganz sicher nicht.

Niemand kann ernsthaft infrage stellen, dass der Stürmer des FC Bayern München überdurchschnittliche Fähigkeiten besitzt, „Wahnsinnsqualitäten“ sogar, wie Bundestrainer Löw sagt: „Sein Abschluss: hervorragend. Seine Drehungen: schnell. Er hat eine gute Dynamik, er kann eins gegen eins gehen im Strafraum, besitzt einen Instinkt für Tore.“ Genauso wenig aber lässt sich bestreiten, dass Lukas Podolski noch am Detail arbeiten muss. Von einem 22-Jährigen darf man das ruhig verlangen. „Er muss lernen, sich richtig und effizient zu bewegen“, sagt Joachim Löw. „Wenn er das noch schafft, ist Lukas nur schwer zu bremsen und auszuschalten.“

In diesem Spannungsfeld aus außergewöhnlicher Veranlagung und manchmal gewöhnlichem Ertrag bewegt sich Podolskis Karriere. Das erklärt auch deren manisch-depressiven Charakter, der durch sein Spiel noch verstärkt wird. Momenten höchster Energie wie am Samstag nach seiner Einwechslung im Länderspiel gegen Irland folgen Phasen totaler Erschlaffung. Derzeit gibt der internationale Spielkalender den Rhythmus aus Höhen und Tiefen vor. Bei der Nationalmannschaft genießt Podolski allgemeines Vertrauen, das fördert sein Wohlbefinden; zwischen den Länderspielen aber, beim FC Bayern, fühlt er sich zum Perspektivspieler degradiert. „Es ist doch klar, dass ich mit meinen 22 Jahren noch nicht komplett entwickelt bin“, sagt Podolski. „Aber ich bin stark genug, um mich auf Dauer auch bei den Bayern durchzusetzen.“

Bis dahin dient ihm die Nationalmannschaft als Wellnessoase. Heute gegen Tschechien (20.45 Uhr, live im ZDF) darf Lukas Podolski wieder von Anfang an spielen: in München, in seinem Stadion. In seinem Stadion? „Man kennt das Stadion“, sagt Podolski. Man. Bei den Bayern hat Podolski in dieser Saison erst einmal in der Startelf gestanden, im Uefa-Pokal gegen Belenenses Lissabon. Fünfmal wurde er eingewechselt. Sein einziges Tor hat er für die Nationalmannschaft erzielt, gegen Rumänien, in Köln. In seiner wahren Heimat.

Bundestrainer Joachim Löw findet es „wichtig, dass man als junger Spieler auch mal Widerstand spürt“. An prominenten Kritikern mangelt es Podolski derzeit wahrlich nicht. Uli Hoeneß, der Manager der Bayern, hat ihn vor kurzem sehr deutlich gewarnt: „Wenn er seine Einstellung nicht gravierend ändert, wird er es nicht schaffen.“ Podolski müsse auch mal böse sein. Aber Podolski findet, dass er sich das Lachen nicht verbieten lassen müsse. Und weil er am Wochenende in Dublin wieder einmal feixend und scherzend auf der Ersatzbank erwischt wurde, stellt sich die Frage, ob die rheinische Frohnatur überhaupt zu anderen Gefühlsregungen fähig ist. „Ich kann auch böse sein“, sagt Lukas Podolski. Und lacht.

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