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Sport: Wie sich Geschichten wiederholen

Borowski wird oft mit Ballack verglichen – gegen die Türkei soll der Bremer den Bayern-Star vertreten

Fabian Ernst ist gestern mehrmals im freien Raum verschoben worden. Zuerst war er an die Seite von Tim Borowski postiert worden, dann zu Bastian Schweinsteiger, und als der leibhaftige Ernst dann den Saal XL des Hamburger Side-Hotels betrat, stand sein Namensschild auf einem gerade noch pastatellergroßen Stehtisch in der hintersten Ecke des Raums. Der so genannte Medientag des Deutschen Fußball-Bundes, bei dem alle 23 Nationalspieler den Journalisten zum gemeinsamen Gespräch zugeführt werden, ist immer ein unbestechlicher Gradmesser für den aktuellen Wert der einzelnen Kadermitglieder. Tim Borowski weiß, wie sich Fabian Ernst gefühlt haben muss. So ähnlich ist es ihm beim ersten Medientag ergangen, im Juni unmittelbar vor dem Confed-Cup. Am Tisch mit seinem Namensschild saß damals ein Journalist.

Gestern reichten die Stühle nicht. Zwanzig Journalisten hatten sich um Tim Borowski versammelt. „Mit ein paar habe ich schon gerechnet – aber so viele“, sagte der Mittelfeldspieler des SV Werder Bremen. Das gesteigerte öffentliche Interesse hat verschiedene Gründe, Borowskis erfreuliche sportliche Entwicklung zum Beispiel. Kotrainer Joachim Löw sagt: „Er hat sich ganz klar gesteigert.“ Ein anderer Grund aber ist, dass Michael Ballack am Samstag in der Türkei (20 Uhr, live im ZDF) nicht spielen kann. Seinen Platz im Mittelfeld wird wohl Borowski einnehmen.

Es wäre zumindest die konsequente Fortschreibung einer Geschichte, die in den vergangenen Wochen auffallend häufig erzählt wurde: die Geschichte vom „kleinen Ballack“ respektive „Bremer Ballack“ oder auch „Ballack in Blond“, deren Hauptrolle Tim Borowski spielt. Er selbst sagt zu diesen Vergleichen mit dem Kapitän der Nationalmannschaft: „Das schmeichelt mir schon, keine Frage. Aber irgendwie finde ich das auch ein bisschen übertrieben.“

Ist es das? Wenn man sich die Anfänge der Karriere von Michael Ballack noch einmal vor Augen führt, wird man einige Parallelen entdecken. Inzwischen mag Ballack für Joachim Löw der Spieler sein, „der die Mannschaft führt, der die entscheidenden Dinge macht“. Der junge Ballack aber stand unter allgemeinem Schnöselverdacht, galt als arroganter Dandy auf dem Fußballplatz, der selbst in jungen Jahren den Eindruck erweckte, alles schon zu können – und vor allem besser. Tim Borowski, wie Ballack in der DDR geboren und fußballerisch ausgebildet, kennt solche Vorwürfe. „Manchmal wirke ich vielleicht arrogant“, sagt er. „Das ist das Problem großer Spieler, die einen aufrechten Gang haben.“ Im Moment kämpft der 1,94-Meter-Mann allerdings sehr erfolgreich gegen sein Image als Phlegmatiker an. „Vielleicht bin ich ein Spätentwickler“, sagt Borowski. Er ist jetzt 25. Bundestrainer Jürgen Klinsmann hat dem Bremer zuletzt bescheinigt, „sich sehr gut entwickelt“ zu haben. Am Wochenende leitete Borowski mit seinem Tor den Sieg der Bremer bei Hertha BSC ein. Sein Volleyschuss aus 18 Metern versinnbildlichte geradezu die neue Entschlossenheit. „Tim geht vermehrt in den Torabschluss, übernimmt mehr Verantwortung, ist stärker in das Spiel involviert“, sagt Joachim Löw.

An Borowskis Qualitäten haben die Bundestrainer nie gezweifelt. Nur für ein einziges Länderspiel hat Klinsmann den Bremer nicht nominiert. Allerdings hat er bis zur Begegnung mit Südafrika von 1440 möglichen Minuten gerade mal 266 auf dem Platz gestanden. „Wir haben ihn über lange Zeit sehr, sehr kritisch gesehen“, sagt Löw. Beim Confed-Cup wurde der Bremer ein einziges Mal eingewechselt, für die letzten drei Minuten im Halbfinale gegen Brasilien. „Vielleicht habe ich zu wenig gezeigt, um den Trainer zu überzeugen“, sagt Borowski.

Die missliche Erfahrung beim Confed-Cup war möglicherweise der Anstoß, die eigene Karriere entschiedener anzugehen. Die Entwicklung im Verein hat Borowski zusätzlich geholfen. Als Spieler aus dem eigenen Nachwuchs stand er im überragend besetzten Bremer Mittelfeld immer am Ende der Hierarchie. Inzwischen aber hat er die Lücke gefüllt, die Torsten Frings, Krisztian Lisztes und zuletzt Fabian Ernst bei ihrem Weggang aus Bremen hinterlassen haben. Die Geschichte ist übrigens nicht neu: Michael Ballack stieg bei Bayer Leverkusen auch erst zur bestimmenden Figur auf, nachdem Emerson und Stefan Beinlich den Klub verlassen hatten.

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