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Sport: Willkommen im Chaos

Berti Vogts versucht sein Glück als Trainer Nigerias

Von Markus Hesselmann

Die Veranstaltung war sehr afrikanisch: staatstragende Reden, ein Defilee hoher Würdenträger, viele weihevolle Worte. In einer „Signing Ceremony“ unterschrieb Berti Vogts gestern Morgen in London seinen Vertrag als nigerianischer Nationaltrainer. Der frühere Bundestrainer lächelte und zuckte nur kurz mit den Mundwinkeln, als Sportminister Bala Kaoje vom Gewinn des WM-Titels 2010 als Ziel jener Mission sprach, die gestern im Hilton Hotel am Hyde Park begann. Der kurze Moment der Bestürzung war nachvollziehbar. Am Abend zuvor hatte Vogts seine künftige Mannschaft im Prestigeduell mit Ghana untergehen sehen. 1:4 verlor Nigeria ein Freundschaftsspiel auf neutralem Boden, das zuvor als „Clash der Titanen“ annonciert worden war.

Auch dieser Abend war sehr afrikanisch: Im kleinen, mit 7000 Zuschauern gut gefüllten Stadion des Drittligisten Brentford FC im Westen der britischen Hauptstadt stieg eine große ghanaische Party – und das bei Minustemperaturen, die in London auch ohne Klimawandel selten sind. Die Fans sangen ohne Pause, tanzten durch bis zum Schlusspfiff und stürmten nach jedem Tor der Ghanaer das Spielfeld. Die geschockten Ordner, an englische Zustände der Achtzigerjahre erinnert, hatten Glück, dass die Fans den Platz und das Spiel nach kurzer Zeit jeweils wieder freigaben.

Dieses Chaos hatte System und war harmlos im Vergleich zum nigerianischen Tohuwabohu an diesem Abend. „Es hat gerade einmal für 20 Minuten guten Fußball gereicht“, stellte Vogts fest. Das Durcheinander fing damit an, dass die Nigerianer zu spät kamen und das Spiel mit 30 Minuten Verzögerung angepfiffen wurde. Wer zum Kader gehörte, blieb lange unklar – auch für Trainer Austin Eguavoen, Vogts’ Vorgänger und künftigen Assistenten. John Obi Mikel zum Beispiel, Michael Ballacks Mannschaftskollege beim FC Chelsea, war von seinem Klub für zwei Wochen verletzt gemeldet worden. Dann trat er überraschend an und ragte aus einem schwachen Team noch heraus. „Ich glaube nicht, dass Chelsea ehrlich zu uns war“, sagte Eguavoen. Mit diesen Anschuldigungen würden sich die zuständigen Stellen bald befassen, drohte daraufhin ein Sprecher des FC Chelsea.

Im Gegensatz zu Obi Mikel tauchte Obafemi Martins nicht auf, obwohl er von Newcastle United eine Freigabe erhalten hatte. Dabei fand das Spiel doch extra in London statt, um den vielen in England spielenden afrikanischen Profis entgegenzukommen. „Ich weiß nicht, wo er ist“, sagte Eguavoen. „Dies ist die schlimmste Form von Respektlosigkeit. Ich werde das nicht auf sich beruhen lassen.“

Vogts reagierte nüchtern auf all die großen Worte. „Wir brauchen bessere Organisation, auf und neben dem Platz“, sagte er. „Das ist meine Aufgabe.“ Er werde die Kommunikation mit den europäischen Klubs seiner Spieler verbessern. Dreieinhalb Jahre läuft sein Vertrag. Wohnen wird Vogts in Deutschland und in Nigeria. Eguavoen hatte für den neuen Mann noch einen Rat. „Er muss Geduld haben“, sagte der nigerianische Trainer. „Unsere Probleme sind nicht typisch nigerianisch. Sie sind typisch afrikanisch.“

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