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Sport: Willkommen in der Zone

Der Berliner Schriftsteller und BFC-Dynamo-Fan Andreas Gläser hat eine andere Sicht auf die Sache mit dem Derby gegen Union

Wenn in den 70ern die Fenster unserer Wohnung in Prenzlauer Berg offen standen, kam es an manchem Nachmittag vor, dass vom benachbarten JahnSportpark eine gehörige Portion Fußballstimmung zu uns herein schallte; manchmal stockte unser familiärer Nachmittagsspaziergang inmitten hunderter Anhänger vom BFC Dynamo. Dass ich nicht schon als Sechsjähriger zum Kiezverein ging, sondern erst Jahre später, halte ich im Nachhinein für so absurd, als wäre ich erst mit zwölf eingeschult worden. Als ich um ’78 regelmäßig die Heimspiele besuchte, kam mir zu Ohren, dass es da noch einen anderen Berliner Verein gäbe, der sich 1.FC Union nannte und beliebter wäre. Der BFC sei der Verein vom Ministerium des Inneren, auf der Tribüne säßen die Herren der Staatssicherheit, der Polizei und des Zolls; der 1. FC Union dagegen wäre der Arbeiterverein, weil er vom Gewerkschaftsbund FDGB, vom Transformatorenwerk TRO und dem Kabelwerk KWO getragen wurde.

Dieses herbei Politisierte genügte für eine stetig wachsende Rivalität. Dabei spielte es für viele Achtjährige bis 18-Jährige viel eher eine Rolle, dass es bei Union, an der Alten Försterei, keine Aschenbahn gab, wodurch die Stimmung einfach besser war. Völlig egal, welcher Staats- oder Stadtteilpolitiker auf der Ehrentribüne saß. Als BFCer wurde ich von einigen Union-Fans wiederholt als Bullenkind bezeichnet. Die Gruselgeschichten, die im Vorfeld der Derbys kursierten, bestätigten sich während der Straßenbahnfahrt zum neutralen Stadion der Weltjugend: Eins in die Fresse und Omas selbst gestrickter Weinrot-Weißer war weg, so fing es für viele BFC-Fans an!

So um ’80 herum gab es viele Derbys in der Meisterschaft und im Pokal, Union verlor alle Auseinandersetzungen, auf dem Rasen und auf den Straßen. Tausende Unioner hatten kurz vor uns das Stadion verlassen, hunderte BFCer rannten ihnen hinterher. Der wiederholt funktionierende Überraschungseffekt bescherte die Machtübernahme. Das Volk schwafelte vom Betrug des BFC durch diverse Delegierungen und machte derartige Vorwürfe gerne an Reinhard „Mäckie“ Lauck fest, der ’67 aus dem Bezirk Cottbus zu Union und ’73 zum BFC wechselte, weil Union abgestiegen war und er als Nationalspieler einem ungeschriebenen Gesetz entsprechend nicht in der 2. Liga zu treten hatte. „Mäckie“ sagte, dass er international spielen wolle. Die Beweggründe, den Verein zu wechseln, waren damals kaum andere als heute. Überhaupt kamen sehr viele Talente als Jugendliche zum BFC, nur ein Fünftel aller Spieler, die die zehn Meistertitel errangen, kamen als über 18-Jährige nach Hohenschönhausen, und dann auch nur von Oberligaabsteigern oder Zweitligisten. Ich musste kein großer Anhänger der Zone sein, um das übrige Volk für sein diffuses Gestänker gegen Staat und Stasi nicht leiden zu können.

’81/’82 erlebte der BFC seinen sportlichen Zenit. Er spielte im Jahn-Sportpark oft vor 20 000 Zuschauern und mehr, und zwar nicht nur, wenn Dynamo Dresden und deren Fans kamen, und auch nicht nur, wenn es gegen Union ging, denn die spielten ohnehin einige Jahre in der 2. Liga. Der BFC hatte alle Chancen der Welt, den Zauber weit über die erste Hälfte der ’80er zu erhalten. Kein Berliner kehrte dem BFC den Rücken zu, weil er gegen spätere Landesmeistercup-Sieger wie Aston Villa knapp ausschied. Doch die größten Förderer waren auch die Totengräber. Dabei hatte der BFC parteiische Schiedsrichter überhaupt nicht nötig. Wir brauchten keine sechs, sieben Punkte Vorsprung, weil einer oder das bessere Torverhältnis genügte. Aber für Stasi-Chef Mielke gab es immer einen Anlass, dem BFC den Titel zu garantieren. 35 Jahre DDR, die zehnte Puhdys-Platte, 750 Jahre Berlin. Die einst loyalen Zuschauer blieben weg, die Fans wurden Hooligans.

’86 wurden die Unioner als Aufsteiger Siebter, auch aufgrund der Spieler, die vom wunderbaren Serienmeister zu ihnen gekommen waren; Olaf Seier, Ralf Sträßer... Der BFC hat Union immer bevorzugt behandelt.

Zur Jahrtausendwende sah alles ganz anders aus, die Fans von Union unterstützten ihre Mannschaft in der 2. und die des BFC die ihre in der 6. Liga. Seit Monaten stimmen sich nun viele Fans auf das neuerliche Derby in Köpenick ein, das heute nach viereinhalb Jahren wieder einmal stattfindet, in der viertklassigen Oberliga Nord. 12 000 Zuschauer werden erwartet, den vermutlich 3000 in der BFC- Kurve soll die besondere Aufmerksamkeit eines Großteils der 1000 Polizisten gelten, die auf Informationen bezüglich des Krawalltourismus verweisen.

Dieser Wahnsinn ist auch das Resultat der weitestgehend einseitigen Berichterstattung. Denn obwohl im Sportforum rassistische Parolen nicht widerspruchslos hingenommen werden und sich das Klima deutlich entspannt hat, wird unermüdlich das Klischee vom Nazi-Hooligan bedient. Dass sich der Verein im Alltag zum Beispiel mit der Bildungs- und Arbeitsmarktoffensive „BFC 2010“ um die Integration seiner Fans bemüht, und damit bundesweit nahezu einzigartig dasteht, findet nahezu keine Erwähnung. Stattdessen dürfen sich die unterschiedlichsten der 1000 Teilnehmer des gestrigen Fußballgedenkturniers für den vor anderthalb Jahrzehnten in Leipzig durch eine Polizeikugel getöteten Fan Maik Polley kollektiv kriminalisiert fühlen, weil diese Veranstaltung, die bisher zweimal ohne Vorkommnisse stattgefunden hat, pauschal als Hooligan-Turnier tituliert wird.

Beim heutigen Derby gerät das sportliche Drumherum in den Hintergrund. Deutschland bereitet sich auf die WM vor. Es läuft auf die Spaltung Berlins in Nord und Süd hinaus. Ich grüße meine Freunde hinter dem eisernen Vorhang!

Andreas Gläser (40) ist Schriftsteller, lebt in Berlin und hat das Buch „Der BFC war schuld am Mauerbau“ (Aufbau-Verlag) geschrieben.

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